Die Kritiker

«Himmel und Erde»

von

Die ZDFneo-Instant-Serie über ukrainische Flüchtlinge in Deutschland ist eine Zumutung - im besten Sinne des Wortes.

Instant-Fiction, das klingt ja schon ein bisschen wie Instant-Kaffee – kein Premium-Produkt, sondern etwas für den schnellen Konsum, wenn nichts Besseres zur Hand ist. Tatsächlich verbirgt sich dahinter aber die konsequente Anwendung der heutigen Fernsehproduktionsmöglichkeiten. Nicht zuletzt dank umfangreicher Digitalisierungsprozesse und einer guten Vernetzung von Kunst, Kommerz und Produktions-Know-how können Serien, die nur wenige Sets wie ein paar Wohnungen oder Parks benötigen, um ihre Geschichten zu erzählen, recht schnell aufs Gleis gesetzt, geschrieben, gedreht, geschnitten und bald auch gesendet werden.

Die Corona-Pandemie ist sicherlich ein Brandbeschleuniger dieser Entwicklung gewesen. Binnen Wochen entstanden erste Serien über soziale Distanzierung in Großstädten, merkwürdig leere Straßen, Einsamkeit und neue Kontakte, als jeder für sich in seiner Wohnung war und nicht so recht wusste, wie es weitergehen sollte. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Verunsicherung haben diese Projekte auch ihren Zuschauern Halt gegeben und Identifikationsmöglichkeiten eröffnet: Jeder ist gerade ratlos, unsicher und wahrscheinlich auch ein bisschen depressiv. So entstand vor den Fernsehgeräten eine verschworene Gemeinschaft: Zusammen kommen wir da durch. Natürlich lange, bevor Querdenker versucht haben, diese Einmütigkeit kaputt zu machen.

Keine zwei Jahre später suchte Europa die nächste Krise heim: der brutale Überfall Russlands auf die Ukraine veränderte binnen Stunden radikal das Leben von Millionen von Menschen. Viele von ihnen mussten ihr Heimatland verlassen und fliehen. Stunden oder Tage später hatten manche von ihnen den Weg nach Deutschland geschafft, in einem fremden Land, mit einer ungewissen Zukunft, nicht wissend, ob es ihr Heimatland in wenigen Tagen noch geben würde. Die fünfteilige ZDFneo-Serie «Himmel und Erde» will nun ihre Geschichten erzählen. Entstanden ist sie bereits im Frühjahr, im Nebel der sich überschlagenden Ereignisse, von ukrainischen Künstlerinnen und Künstlern in Deutschland, die mit ihr Geschichten von verlorener Heimat, Krieg und dem Leben als Flüchtling erzählen wollten.

Eine Serie, die ins Herz ihrer Zuschauer zielt: Besonders beeindruckend ist Folge zwei – «I’m out of here». Da stehen zwei junge Ukrainerinnen mitten in der Nacht an einer Berliner Hauptstraße und wühlen sich durch Klingelschilder. Die erste Unterkunft wird von einem zwielichtigen Typen verwaltet, der sofort eine Unterschrift unter einem Dokument fordert, das die beiden gar nicht lesen können. Ein Reinfall. Zum Glück kommen sie anschließend nahtlos in einer coolen WG unter. Jaroslava blüht dort bald auf, doch ihre jüngere Schwester bleibt distanziert, hört lieber in ihrem Zimmer russische Hörbücher, anstatt mit den anderen Tischtennis zu spielen. Als sie sich doch einmal in den Park bequemt, eskaliert die Situation: Denn der woke Mitbewohner kann sich mit dem Gedanken an Waffenlieferungen nicht so recht anfreunden – „complicated, hard to explain“, während das Land seiner Mitbewohnerinnen von Putins Schergen in Schutt und Asche gebombt wird. Ein starkes Stück. Wie diese Serie. Danke für die Zumutung, ZDFneo!

Die fünf Folgen von «Himmel und Erde» sind am Dienstag, den 25. Oktober ab 20.15 Uhr bei ZDFneo zu sehen. In der ZDF-Mediathek sind sie bereits vorab verfügbar.

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