Interview

Gwendolin Szyszkowitz-Schwingel: ‚Es kamen plötzlich viele Menschen aus unterschiedlichen Lebensrealitäten zusammen‘

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Die UFA-Produzentin sprach mit Quotenmeter über die neue MDR-Dokumentation, die auf die magische Zeit am Wochenende zurückblickt.

«Jung wild grenzenlos – Wochenende in den 90ern», das hört sich spannend an, Frau Szyszkowitz-Schwingel. Wovon handelt Ihr neues UFA-Projekt, welches seit 16. November in der ARD Mediathek zu sehen ist?
Von der magischen Zeit, die man als junger Erwachsene:r zwischen Freitagnachmittag und Sonntagabend erlebt. Dem Gefühl, an nichts denken zu müssen, im Moment zu leben und sich der Musik hinzugeben. Das Ganze natürlich mit vielen, ähnlich geschmacklos gekleideten und sehr gutgelaunten, Gleichgesinnten.

Sie und Ihr Team von UFA Documentary erkunden den Osten in den 90er Jahren. Welche Entdeckungen haben Sie machen können?
Dass wir uns an eine Zeit zurücksehnen, in der es kein Corona, keinen Klimawandel und keine Energiekrise gab. So unreflektiert das klingt, es war einfach wunderbar. Und wir haben entdeckt, dass wir viele der Songs immer noch ziemlich gut finden!

Inwieweit unterschied sich die Jugendkultur zwischen Ost- und West-Deutschland in den 90er Jahren?
Naja, in so ziemlich allen Punkten, die man sich vorstellen kann. Eine Liste anzufertigen, würde dieses Interview sprengen. Ich sag mal so: hier kamen plötzlich viele Menschen aus sehr unterschiedlichen Lebensrealitäten zusammen. Es gab genug zu trinken, zu rauchen und zu reden. Wenn dann noch der richtige Beat aus den Boxen wummert und es keine Sperrstunde gibt, geht echt gut was ab.

Sind diese kulturellen Unterschiede inzwischen verschwommen oder gibt es noch Bereiche, die klassisch Ostdeutsch sind?
Natürlich steckt in den Menschen, die in Ostdeutschland aufgewachsen sind, viel Erinnerung drin. Bestimmt bis an ihr Lebensende. Wir tragen doch alle die Vergangenheit in uns. Die Frage ist eher, wie man in der Gegenwart damit umgeht.

Kann man die ostdeutsche Kulturlandschaft überhaupt über einen Kamm scheren? Gera ist ja auch nicht gleich Greifswald.
Es war uns sehr wichtig, ganz unterschiedliche Menschen, Orte und auch Musikrichtungen zu mischen. Aber natürlich ist nicht alles auserzählt. Kurze Notiz und großen Dank an dieser Stelle an den mdr: wir produzieren gerne noch weitere Staffeln!

Hat sich die Kultur auch dementsprechend vermischt, dass nach der Wende zahlreiche Westdeutsche auch in den Osten zogen?
Ich glaube, sie war in Teilen auch schon während der Mauer vermischt. Natürlich marginal, aber das hat eben nicht funktioniert, ein Land von dem Sound der restlichen Welt zu trennen. Und klar – nachdem die Grenze offen war, ist plötzlich ganz viel möglich gewesen. Ich bin erst Anfang der 2000er nach Berlin gezogen, aber ich kann mich genau erinnern, mit wieviel Tatendrang die „ostdeutschen“ Stadtteile damals erobert wurden.

Sie arbeiten bei «Jung wild grenzenlos – Wochenende in den 90ern» mit zahlreichen Kompars:innen zusammen. Nach welchen Kriterien haben Sie die Darsteller:innen ausgesucht?

Nach der Ähnlichkeit mit unseren Protagonist:innen. Das Casting war so gut, dass ich selber darauf hereingefallen bin. Bei der ersten Rohschnittsichtung habe ich mir gedacht: boah krass, das ist ja geiles Archivmaterial. Und dann habe ich gemerkt, dass das schon die neu gedrehten Sequenzen waren. Es war mir leicht peinlich und gleichzeitig war ich stolz auf unsere Authentizität.

Rammstein-Gitarrist Paul Landers erinnert sich, Paul van Dyk erzählt von früher. Wie konnten Sie solche Top-Gesichter für die Produktion gewinnen?
Dank der Freundschaften unseres Autors Alexander Kühne. Man kennt sich. Schon lange. Das macht natürlich Vieles einfacher. Und Alex schreibt auch in einer Art und Weise – seine Dokus, seine Bücher – da finden sich viele wieder. Großartiger Weise wahrscheinlich auch diese tollen Künstler.

Die 90er waren eine verrückte Zeit – würden Ihre Zeitzeug:innen gerne noch einmal zurückreisen?
Ich fahre den Bus! Ja klar. Wir alle. Ich glaube wir wollen nicht nur zurück in diese Zeit, wir wollen vor allem doch auch manchmal zurück in dieses Leben. Die Leichtigkeit, die damals so allgegenwärtig war. Alles ist möglich, ich muss nur an die nächste Hausecke in den Club. Und der Kater war am nächsten Morgen nicht so schlimm wie heute!

Im Westen sind auch weiterhin die amerikanischen Trash-Songs wie „Barbie Girl“ beliebt. Haben die Ostdeutschen auch daran Gefallen gefunden?

Was „die Ostdeutschen“ so mögen, kann ich natürlich nicht wissen. Aber ich denke, der Song hat dann doch einigen gefallen. Dabei ertappt man sich ja auch in heutiger Zeit. Leider ist die Popmusik manchmal etwas stärker als die eigene Vorstellung von Intellektualität. Wobei: Gott sei Dank. 😃

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Jung wild grenzenlos – Wochenende in den 90ern» ist in der ARD Mediathek verfügbar.

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