Kein Weihnachtsfest ohne Disney. Es gehört längst zur Kino-Tradition, dass der Micky-Maus-Konzern schon zur Adventszeit ein neues Trickfilmwunder ins Rennen schickt, um vor allem das Familienpublikum abzuholen. Natürlich muss das nun auch «Strange World», dem 61. Film aus der sogenannten Rubrik ‚Meisterwerke‘, gelingen. Bei einem Budget von etwa 120 Millionen US-Dollar muss diese Prestige-Produktion also einiges bieten können. Vor allem visuell kann «Strange World» überzeugen, erzählerisch bewegen sich die Regisseure Don Hall (Oscar für «Baymax – Riesiges Robowabohu») und Qui Nguygen («Raya und der letzte Drache») jedoch auf sicheren Pfaden, auch wenn man sich äußerst auffällig darum bemüht, so viel Diversity mit einzubauen wie nie zuvor in einem Disney-Film.
Familienzusammenführung in der Fremde
Einst rühmte sich Familie Clade damit, großer Entdecker und Abenteurer zu sein. Bis es zu einem Generationskonflikt kommt. Während Familienoberhaupt Jaeger Clade (Originalstimme: Dennis Quaid) bei einer Entdeckungstour noch über die verschneiten Berge weiterwill, um zu sehen, was sich dahinter verbirgt, begnügt sich sein Sohn Searcher (Originalstimme: Jake Gyllenhaal) damit, eine wundersame Pflanze gefunden zu haben. Diese Pflanze könnte zu Hause alle Energieprobleme lösen, weshalb er so schnell wie möglich zurückwill. Die Wege von Vater und Sohn trennen sich also. Von Jaeger fehlt seitdem jede Spur, Searcher ist sesshaft geworden und konnte mit der Wunderpflanze in seinem Land tatsächlich einen technischen Fortschritt in Sachen Energieversorgung vorantreiben. Bis das Gewächs langsam verfault. Das Problem muss tief im Boden legen, weshalb Searcher zu einer Mission ins Innere der Erde aufbricht. Mit dabei sind auch Ehefrau Meridan (Originalstimme: Gabrielle Union) und der gemeinsame Sohn Ethan (Originalstimme: Jaboukie Young-White). Tief unter der Erde erwartet das Team eine fremde Welt mit erstaunlichen Kreaturen, von denen sie zuerst angegriffen werden. Gerettet werden sie von niemand anderen als dem verschollen geglaubten Jaeger.
Anleihen bei Autoren großer Abenteuer
Seit jeher hat man sich bei Disney nicht nur aus Märchen bedient, sondern auch bei den großen Autoren der Science-Fiction- und Abenteuerliteratur. Mit «20.000 Meilen unter dem Meer» nach dem Roman von Jules Verne entstand 1954 etwa ein aufwendiger Realfilm bei Disney. Zwei der letzten klassischen Zeichentrickfilme, «Atlantis: Das Geheimnis der verlorenen Stadt» von 2001 und «Der Schatzplanet» von 2002, gingen in eine ähnliche Richtung, und gewiss gehört auch die völlig verkorkste Realverfilmung von Edgar Rice Burroughs Mars-Helden «John Carter» von 2012 dazu. Abenteuerreisen ins Fantastische, und wenn sich das noch mit einer Familiengeschichte wie jetzt in «Strange World» verbinden lässt, hat man zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Doch genau das führt diesmal zu einem ewigen Hin und Her, was sich erzählerisch schnell erschöpft. Zuerst eine optisch aufreizenden Actionszene, dann eine emotionale Dialogszene der Figuren, um über familiäre Konflikte zu sprechen, danach folgt wieder Action, anschließend wird’s wieder gefühlig und dialogreich - so geht das abwechselnd ewig weiter. Erst zum Ende rücken wieder große Umwelt- und Energiefragen mit einer lehrreichen Erkenntnis in den Vordergrund.
Mehr Diversity bei Disney
Es sind also etliche Themen, die hier aufgetischt werden und aktueller nicht sein könnten. Dazu passt es auch, dass Diversity bei Disney nun ganz großgeschrieben wird. Alle ethnischen Gruppen scheinen in der Figurenvielfalt vertreten zu sein. Papa Searcher ist weiß, Ehefrau Meridan (im Deutschen von TV-Star Dennenesch Zoudé gesprochen) ist dunkel, und ihr gemeinsamer Teenager-Sohn Ethan hat sich in einen Jungen verliebt und ist ganz klar schwul. Das wird hier ganz selbstverständlich integriert und nicht einmal in Frage gestellt. Disney hat mit dieser Vorgehensweise nochmals einen gewaltigen Sprung nach vorn getan, denn es gab beim Konzern auch mal ganz andere Zeiten, in denen klassische Rollenbilder hochgehalten werden mussten. In «Strange World» wird also ein ganz anderer Familienkonflikt verhandelt, den man aber schon als ‚typisch Mann‘ bezeichnen kann. Es geht darum, was sich Väter wünschen, Söhne aber nicht bereit sind zu geben. Der alte Jaeger verlangt von seinen Sohn Searcher wie er ein raubeiniger Abenteurer zu werden. Stattdessen lässt der aber lieber (magische) Pflanzen gedeihen. Nun erwartet Searcher von seinem Sohn Ethan, ebenfalls Farmer zu werden, was der natürlich nicht will. Die große versöhnliche Botschaft kann am Ende nur heißen, jeden so zu lassen, wie es sein will. Leben und leben lassen – keine besonders neue, aber versöhnliche Message, mit der gewiss jeder zufrieden den Kinosaal verlassen wird.
Fazit: Was zunächst wie eine modernisierte Neuverfilmung von Jules Vernes «Reise zum Mittelpunkt der Erde» anmutet, entpuppt sich außerdem als Familienstory mit typischem Generationskonflikt. Eine bonbonfarbene Unterwelt sorgt für optische Reize, Dialogszenen mit ordentlich Emotionen sollen indes berühren. Tricktechnisch stark, erzählerisch schwach.
«Strange World» ist ab 23. Dezember 2022 bei Disney+ zu sehen.
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