Die Kritiker

«Sarah Kohr – Irrlichter»

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Dreht Sarah Kohr durch? Es hat den Anschein. Bei einer Prügelei in einem Bus ergreift sie Initiative für die Angreifer und prügelt einen Fahrgast fast krankenhausreif. Bei ihrer Verhaftung verhält sie sich unkooperativ und dann hält sie ihrem Freund, Staatsanwalt Anton Mehringer, auch noch ein Messer an den Hals. Der glaubt dennoch, dass Sarah einen Grund für ihr Handeln hat.

Stab

Darsteller: Lisa Maria Potthoff, Herbert Knaup, Matthias Matschke, Lasse Myhr, Kjell Brutscheidt, Lilli Fichtne, Wanda Perdelwitz, Corinna Kirchhoff, Alexandru Cîrneală, Sarah Masuch, Alexander Wipprecht
Regie: Mike Marzuk
Drehbuch: Timo Berndt
Kamera: Patrick D. Kaethner
Schnitt: Zaz Montana
Musik: Alex Komlew
Nach «Sarah Kohr: Geister der Vergangenheit» und dem grandiosen Actionritt «Sarah Kohr: Stiller Tod» ist der inzwischen achte Spielfilm der Reihe um die taffe Ermittlerin aus Hamburg leider ein Rückschritt für die Serie. Nicht, dass dieser achte Spielfilm schlecht wäre. Das ist er nicht. Aber er muss sich an seinen beiden Vorgängerproduktionen messen lassen, die Maßstäbe gesetzt haben. In diesem Zusammenhang sei explizit «Stiller Tod» genannt, ein Film, der nicht mehr und nicht weniger das Kunststück vollbracht hat, Lisa Maria Potthoff als die Action-Spezialistin des deutschen Kriminalfilmes zu etablieren. Lisa Maria Potthoff prügelt sich, hängt an Hauswänden, rennt, wird beschossen: Es ist ein einziger Trip. Dass schon ihr Nachfolger «Geister der Vergangenheit» dieses Tempo, diese Tour de Force für Sarah Kohr, nicht wiederholen konnte, ändert nichts an der Tatsache, dass auch «Geister der Vergangenheit» die Hauptfigur immer wieder bis an ihre Grenzen, und manchmal darüber hinaus, ihrer physischen Handlungsfähigkeit drängt. Beide Spielfilme sind in einer Art inszeniert, der man eventuelle Handlungslöcher leicht verzeiht. Die Filme sind einfach viel zu krachend in Szene gesetzt, als dass man das Haar in der Suppe suchen mag.

Bei «Sarah Kohr – Irrlichter» sieht dies leider etwas anders aus. Es ist das Drehbuch, dem es nicht gelingt, die Spannungskurve konstant steigen zu lassen. Im Reigen eher gemächlich agierender deutscher TV-Ermittler, die kraft der Autorität ihres Amtes böse Buben in die Knie zwingen, agiert Sarah Kohr auch im aktuellen Film in einem Tal aus Blut, Schweiß und Tränen, allerdings legt sie einige Pausen ein. Aber alles der Reihe nach.

Prügel-Sarah!

Sarah Kohr verprügelt in einem Bus einen Mann. Der gerät in einen Streit mich zwei Corona-Maßnahmenleugner. Der erkennt die beiden auf einem YouTube-Video, dass sie selbst hochgeladen haben und in dem sie damit prahlen, wie sie einen Virologen vor seinem Haus körperlich massiv bedrängen. Statt dem Mann zu Hilfe zu kommen, schlägt sich Sarah auf die Seite der Angreifer. Die können vor der eintreffenden Polizei entkommen, Sarah wird verhaftet. Ihr Freund, Staatsanwalt Anton Mehringer, ist der Auftritt Sarahs unerklärlich. Glaubt er zunächst, sie würde möglicherweise für den Staatsschutz undercover ermitteln, schwört seine Verbindungsbeamtin beim Staatsschutz Stein und Bein, dass Sarah nicht für sie arbeitet. Auf Sarahs Computer finden sich Website-Protokolle, die belegen, dass sie seit geraumer Zeit Darknet-Seiten abonniert hat, auf denen durchaus militante Coronaleugner unverholen Gewaltfantasien teilen. Im Gefängnis gibt sich Sarah nicht nur verschlossen: Sie nutzt eine Unachtsamkeit Mehringers bei einem Besuch und hält ihm ein Messer an die Kehle. So gelingt es ihr, aus dem Gefängnis zu entkommen. Sie ist aber nicht allein. Eher versehentlich ermöglicht sie ihrer Mitgefangenen Corinna Kirchhoff ebenfalls die Flucht - und nimmt ihr Angebot eines sicheren Verstecks an. Corinna soll einen Undercover-Ermittler ermordet haben. Einen Ermittler im Corona-Maßnahmenleugner-Milieu. Corinna behauptet, es sei Notwehr gewesen. Sarah hat jedoch Zweifel, dass die verängstigte, mit der Situation der Haft vollkommen überforderte Corinna tatsächlich eine Mörderin ist. Wie dem auch sei, Corinna führt sie in ein sicheres Versteck, wo Sarah die beiden Männer aus dem Bus wieder trifft – sowie Felix Morgenroth, einen Ingenieur, der der Welt beweisen will, dass Corona ein einziger Bluff gewesen ist.

Die Schwäche dieses Spielfilmes liegt gar nicht so sehr in der Tatsache begründet, dass man als Zuschauer recht schnell ahnt, in welche Richtung die Handlung wohl laufen mag. Auch «Stiller Tod» und «Geister der Vergangenheit» sind keine shakespearesken Großdramen oder verschachtelte Hercule Poirot-Kriminalspiele. «Irrlichter» scheitert daran, dass man der Truppe um Felix Morgenroth nie wirklich glaubt, dass sie auch nur annähernd so etwas wie einen Plan hätten. Auch ihr Verhalten (etwa der vollkommen unnötige Angriff auf den Virologen zu Beginn der Handlung) lässt die Truppe eher deppenhaft erscheinen. Matthias Mattschke bemüht sich zwar seiner Figur Felix Morgenroth so etwas wie Tiefe, ja sogar tragische Züge zu verleihen. Aber die Truppe als solche wirkt nie wirklich in sich geschlossen. Sicher mag das Argument ziehen, dass Fanatiker selten rational handeln – was sie nicht weniger, sondern möglicherweise sogar noch gefährlicher macht. Ein Fanatiker, egal welcher Farbe, mit einer Knarre ist und bleibt ein Fanatiker mit einer Knarre. Die Inszenierung findet aber keinen Ansatz, diesen Fanatismus wirklich greifbar zu machen. Vielmehr versucht die Geschichte, das Tun der Figuren dadurch zu erklären, dass sie eine Hintergrundgeschichte auf ihre Leiber geschrieben bekommen. Eine tragische Geschichte. Tragik funktioniert immer. Aber diese Geschichten wollen nicht wirklich zünden. Viele Menschen haben Schicksalsschläge bis hin zum Verlust ihrer Existenzgrundlagen während der Lockdown-Phasen erlebt. Die Frage, die im Raum steht: Warum haben sich die meisten Menschen mit diesem Schicksal arrangiert, einige aber nicht. Weshalb sind ausgerechnet diese insgesamt vier Fanatiker, die offenbar einen Anschlag (?) durchführen wollen, der der Welt die Augen öffnen soll, an einem Punkt angelangt, an dem sie Gewalt als legitimes Mittel betrachten, um ihre Ansichten durchzusetzen? Wie gesagt, die Handlung versucht es über ihre Hintergrundgeschichten zu erklären. Das aber funktioniert nicht, weil eben die entscheidenden Fragen unbeantwortet bleiben. Außerdem gelingt es der Story nicht, die Offenlegung ihrer Hintergrundgeschichte in den Erzählfluss zu integrieren. Die Handlung muss de facto Pausen einlegen, in denen die handelnden Figuren ihre Geschichten erzählen.

Geht es dann zur Sache, findet der Film zu den Stärken der Reihe. Stärken wie körperbetonten Actionszenen, bei denen die Kamera stets nah an den handelnden Figuren bleibt und ihre Schmerzen regelrecht greifbar macht. Und geht es dann zur Sache, entwickelt sich schnell Tempo. Schade nur, dass die Inszenierung – aus den bekannten Gründen – dieses Tempo nicht über die gesamte Spielzeit vorantreiben kann.

Am Dienstag, 27. Dezember, 20.15 Uhr, ZDF

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