Thomas Gottschalk und das deutsche Fernsehen sind zwei verschiedene Seiten der Medaille. Über Jahrzehnte war der gebürtige Bamberger nicht greifbar, zog zunächst nach München und schließlich vom Weßlinger See nach Malibu. Im Jahr 2004 übernahm er Schloss Marienfels in Remagen am Rhein. Gottschalk, einst mit dem bayerischen Rundfunk groß geworden, erlebte mit «Na sowas?» und «Wetten, dass..?» seinen Karrierehöhepunkt. Seine Abwesenheit, immerhin kam er sechs Mal im Jahr nach Deutschland zurück, machte ihn so besonders. Wer Gottschalk in Aktion sehen musste, der sollte das Zweite Deutsche Fernsehen einschalten. Mit dem Breitbandinternet wurde es allerdings immer einfacher, dass Berichte aus der Stadt der Träume nach Deutschland kommen. Früher musste man für einen Fernsehbeitrag noch zwei Satelliten anmieten, um die Bilder nach Deutschland zu bekommen, heute läuft das via Internet.
Die negativen Kritiken an «Wetten, dass..?» waren in den 2000ern schon geschrieben, ehe in den Messehallen das Licht ausging. Die Redaktion der Produktionsfirma kam ins Straucheln, wollte auf einen Jugendwahn aufspringen und das merkten die Fernsehzuschauer. Mit neuer Konkurrenz wie «Das Supertalent», das eigentlich eine kompakte Version der Gottschalk-Show war, wurde der Moderator sukzessiv ausgebotet. Die Zuschauer wechselten zu RTL, der Mythos Gottschalk sank (da er immer öfters im Boulevard zu sehen war) und mit dem Unfall des damals 23-jährigen Schauspielstudenten Samuel Koch sollte die Ära zu Ende gehen.
Das ZDF wollte eine einmalige Special-Ausgabe zum 70. Geburtstag von Gottschalk produzieren, doch die musste aufgrund der Corona-Pandemie um mehr als ein Jahr verschoben werden. Als diese dann im November 2021 auf Sendung ging, schalteten über 14 Millionen Fernsehzuschauer ein. Die Menschen wollten wieder einen Moderator sehen, der eher in sein Wohnzimmer kommt, als eine gut geprobte Show zu präsentieren. Rückblickend war die Ausgabe vom November 2021 eher mäßig, aber man hatte nach der Pandemie wieder Lust auf Lagerfeuer-Fernsehen.
Doch Gottschalk wird den Zeitgeist nicht aufhalten. «Wetten, dass..?» ist trotz zehn Millionen Fernsehzuschauer auch nicht mehr das, was es einmal war. Gottschalks Nachfolger, egal ob Wolfgang Lippert in den 90ern oder Markus Lanz zwischen 2012 und 2014 – sie konnten einfach nur scheitern.
Obwohl das Ende von «Wetten, dass..?» schon wieder in wenigen Jahren besiegelt sein wird, greifen die Fernsehsender auf zahlreiche Reboots alter Formate zurück. Zwischen Anfang 2021 und Mitte 2022 wurden 77 alte Formate in mehr als 30 Ländern neu aufgelegt. Das klassische Reboot ist ein Neubeginn einer Fernsehshow, bei dem versucht wird, dem ursprünglichen Konzept treu zu bleiben, aber auch junge Zuschauer an das Format anzupassen. Doch hier schwächelten die jüngsten Auflagen, gerade das deutsche Fernsehen setzt auf eine erloschene Liebe.
In Westeuropa und den Vereinigten Staaten von Amerika erlebten zahlreiche Formate eine Renaissance. Gleich zehn Mal wurde in den vergangenen zwei Jahren «Wer wird Millionär?» aus der Versenkung geholt. Unter anderem gehören Albanien/Kosovo, die arabische Welt, Bulgarien, Finnland, Griechenland/Zypern, das Hindi-sprechendes Indien, das Telugu-sprechende Indien, Israel, die Niederlande, Nigeria, Portugal, Serbien/Montenegro, Spanien, Sri Lanka, die Ukraine, die Vereinigten Staaten von Amerika und Uruguay zu den Bestellern neuer Episoden. Die Produktionsfirma Sony Pictures, Stellify Media und 2waytraffic haben seit 1. Januar 2020 Bestellungen aus 17 Ländern abgewickelt.
Eine feste Regel, wann ein Format vom Fernsehfriedhof reaktiviert wird, gibt es nicht. In einigen Ländern liegen zwischen Absetzung und Neuauflage nur wenige Monate, bei anderen Fernsehsendern dagegen im «Who the Wants to Be A Millionaire»-Fall bis zu 20 Jahre. In den Vereinigten Staaten von Amerika bestritt ABC mit Regis Philbin bis zu fünf Abende die Woche, die Abnutzungserscheinungen traten schnell ein. Das Format wurde inhaltlich massiv umgebaut und jahrelang bei den lokalen Fernsehstationen ausgestrahlt. In Deutschland gewährte man dem Format zum einen Pausen, zum anderen gehört Günther Jauch zu den beliebtesten Moderatoren des Landes. Während Jauch Stück für Stück andere Sendungen wie Ski-Springen, «stern tv» und «Menschen» abgab, blieb er seiner Quizshow immer treu.
Durch die Fusion zu riesigen Produktionsfirmen wurden neue Synergien ausgenutzt. Banijay, ITV Studios, Fremantle und Sony Pictures sind die weltweiten Anführer im westeuropäischen Markt. Diese Unternehmen beschäftigen inzwischen auch Mitarbeiter, die die Formatkataloge kuratieren diese Produktionen. In Zeiten von Pandemie, Krieg, Inflation und Energiekrise erlebt ein Format wie «Der Preis ist heiß» eine völlig neue Dynamik. «Hast du Töne», im Original «Name That Tune» kehrte in den USA nach 36 Jahren zurück, «5 Mal fünf» («Lingo») in Italien nach 28 Jahren und auf der britischen Insel nach 33 Jahren. Am häufigsten ist eine Rückkehr eines Formates tatsächlich in Europa nach zehn Jahren zu beobachten. Sollte ein Format in einem Land besonders erfolgreich funktionieren, löst das oft eine Kettenreaktion aus.
Es widersprechen sich allerdings die Experten. Clara Thompson von K7Media sagt, dass ein Reboot einer solchen Unterhaltungsshow durchaus sinnvoll sei, indem man ihr einen modernen Anstrich verpasst. Siobhan Crawford von Glow Media glaubt, dass der harte Wettbewerb vom linearen Fernsehen und Streaming an dieser Entwicklung Schuld hat. Alte Unterhaltungsshow sind erprobt, können aus einer Bibliothek heraus gekauft und schnell umgesetzt werden. Bei großen Formaten steht viel auf dem Spiel, weil einige Fernsehzuschauer hohe Erwartungen haben und es kontinuierlich mit dem Original vergleichen.
Doch nicht immer sind Neuauflagen ein sicheres Pflaster. Ein Format wie die ZDF-«Hitparade» könnte heutzutage nicht mehr funktionieren. Die Musik ist dank Streaming allgegenwärtig, 13 Songs in rund 45 Minuten abzufeuern, lockt heute keine Fernsehzuschauer mehr an. Die Bagger-Aktionen bei «Wetten, dass..?» mögen ein warmes Gefühl an kalten Tagen geben, doch nach einigen Wiederholungen ist die Luft draußen. Daher erreichen Reboots nie die Zuschauerzahlen, die sie in ihrer Hochphase verzeichnen konnten. Das liegt zum Teil daran, dass der Markt heutzutage nicht nur beim Fernsehen völlig übersättigt ist. Neben linearen Fernsehen und Streaming buhlen auch Computerspiele, Live-Plattformen und Social-Media um Aufmerksamkeit. Im Schnitt überlebt ein Remake drei Staffeln, danach wird der Stoff wieder eingestellt. Es könnte also durchaus sein, dass Gottschalk im kommenden Jahr das letzte Mal seine Unterhaltungsshow präsentiert. Und wie es mit Jörg Dräger und «Geh aufs Ganze» im Jahr 2024 weitergeht, steht ebenso in den Sternen. Zumindestens die 2023-Ausgaben sind gesichert.
Aber neue Formate, die solche Reichweiten erreichen, lassen sich auch mit einer Hand abzählen. Am Beispiel der Sat.1-Talkshow «Britt», die nach knapp zehn Jahren wieder punkten soll, lassen sich zahlreiche Fehler erkennen. Man möchte nicht mehr den rauen Ton von früher aufleben lassen. Zudem fehlt der Sendung auch Mitarbeiter, die schon früher an den erfolgreichen Produktionen mitarbeiteten. Sollte man Schlüsselpositionen mit früheren Mitarbeitern besetzten, können diese engere Fristen halten, viele Entscheidungen fällen und auf ihr sicheres Baugefühl hoffen.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel