Stab
USA 2022REGIE und DREHBUCH: Zach Cregger
PRODUKTION: Roy Lee, JD Liftshitz, Raphael Margules, Amon Milchan
EXECUTIVE PRODUCER: Justin Long
MUSIK: Anna Drubich
KAMERA: Zach Kuperstein
SCHNITT: Joe Murphy
BESETZUNG: Georgina Campbell, Bill Skarsård, Justin Long, Matthew Patrick Davis, Richard Brake, Jaymes Butler
Tess (hervorragend: Georgina Campbell) hat eine ziemlich anstrengende Fahrt hinter sich. Sie ist auf der Flucht aus einer ziemlich miesen Beziehung, die hinter ihr liegt. In Detroit hat sie ein Vorstellungsgespräch bei einer Dokumentarfilmerin. Wenn das Gespräch erfolgreich verlaufen sollte, hat sich der Stress der langen Fahrt gelohnt. Tess hat über eine Buchungs-App ein kleines Häuchen für sich reserviert. Es ist später Abend als sie ankommt; es regnet, so sieht sie nicht, in was für einer heruntergekommenen Gegend sie gelandet ist. Doch das ist noch nicht alles. Beim Versuch, in das Haus zu gelangen, lässt sich die Tür nicht öffnen. Stattdessen steht da plötzlich Keith (Bill Skarsård) in der Tür. Der junge Mann hat bereits geschlafen, er wirkt verwirrt. Auch er hat das Haus gebucht. Allerdings über eine andere App. Wegen einer Messe sind quasi alle Hotels in der Stadt ausgelastet. Kurzerhand unterbreitet er Tess das Angebot, die Nacht im Haus mit ihm zu verbringen. Auf den ersten Blick wirkt Keith etwas seltsam, wortkarg. Auf der anderen Seite agiert er mit einer fast schon altmodischen Höflichkeit gegenüber Tess. Die ist alles andere als begeistert und annehmen will sie das Angebot eigentlich auch nicht. Andererseits wirkt Keith harmlos. Also nimmt sie das Angebot an.
In den USA hat der Film über 45 Mio Dollar eingespielt, bei Kosten von gerade einmal 4,5 Millionen Dollar. «Barbarian» gehört zu jener Art von Horrorfilmen, die im Kino eigentlich ganz anständig laufen und im Schatten der Blockbuster ebenso anständig über die Runden kommen. «Barbarian» sieht visuell einfach sehr gut aus; die Darsteller agieren auf einem überdurchschnittlichen Niveau und die Handlung ist weitaus komplexer als die kurze Inhaltsangabe erahnen lässt. Ganz nebenbei ist die Filmmusik von Anna Drubich exzellent und dürfte Freunde von John Carpenter entzücken. Weshalb Disney auf eine Auswertung des Filmes in Deutschland im Kino verzichtet hat, ist von Außen betrachtet nicht nachvollziehbar. Vor allem das Spiel mit den Konventionen macht den Film reizvoll, denn gerade in dem Moment, in dem man glaubt zu wissen, in welche Richtung sich der Film nun bewegt und in denen man so etwas wie einen Gewalt-Porno erwartet (solche Momente wurden früher gerne aus Filmen in diesem unserem Lande entfernt), bricht die Handlung den begonnen Handlungsstrang ab, wechselt die Szenerie und erzählt eine zweite Geschichte, die mit den Geschehnissen in Detroit auf den ersten Blick nichts zu tun hat. Was natürlich nicht stimmt. Aber wie diese Geschichten zusammengeführt werden, das ist verdammt clever gemacht. Tatsächlich besteht der Film aus insgesamt vier Kapiteln. Jedes dieser Kapitel hat seinen ganz eigenen Stil in der Ausleuchtung, der Farbdramaturgie, der Kameraführung - ja sogar die Bildformate variieren. Dennoch gelingt es Regisseur Zach Cregger (und seinem Schnittmann Joe Murphy), diese unterschiedlichen Kapitel nach und nach organisch zu montieren. Überhaupt sind Kamera und Schnitt überdurchschnittlich gut. Cregger bevorzugt lange Einstellungen. Er gibt den Figuren Raum, um sich zu entwickeln. Und so, wie sie sich entwickeln, entwickelt der Film nach und nach Atmosphäre. Dass Tess das Haus nie hätte betreten sollen, das ist natürlich keine Überraschung. Die Frage, die die Spannung erzeugt, lautet denn auch: Warum hätte sie es nicht betreten sollen? Entsprechend setzt Regisseur Cregger auf unterschwellige Spannung. Die regelrechten Spannungsexplosionen sind denn auch mit Bedacht eher spärlich gesetzt. Wenn die Spannung aber explodiert, dann richtig!
Dass die Inszenierung im dritten Kapitel auch noch ganz nebenbei Platz für dunkelste Gesellschaftskritik findet, mag überraschen, es ist aber auch ein Beleg für die narrativen Qualitäten der Story. Einer Story, die nicht unbedingt neu ist. «Barbarian» begeistert vielmehr durch die Souveränität, mit der die Geschichte erzählt wird. Es ist die Ernsthaftigkeit, die die Geschichte den Figuren entgegenbringt. Es sind die wohlgesetzten Twists, die nie für sich stehen, sondern sich immer in die Handlung einfügen. Und es ist die Zeit, die sich die Story nimmt, um auch einmal über den Tellerrand seiner Grunderzählung (der Haunted House-Story) zu blicken. So ist der Spielort, die heruntergekommene Vorstadt von Detroit, nicht zurfällig ausgewählt worden, um etwas Sozialkritik zu behaupten. Nein, «Barbarian» findet tatsächlich einen Moment, in dem die Story den Niedergang der Stadt ganz in den Fokus rückt. Und dieser Moment, der viel mit dem Blick von Oben auf “die da unten” zu tun hat, der ist fast schon erschreckender als der Horror, den Tess im Haus erlebt.
Mit «Smile» hat ein inszenatorisch ganz ähnlicher Horrorfilm 2022 in Deutschland 1,3 Mio Zuschauer in die Kinos locken können. Auch und gerade die Horrorfilme aus dem Hause Blumhouse beweisen immer wieder, dass das Kinopublikum auf diese Art von Horrorfilmen steht, die anspruchsvoll in Szene gesetzt sind, die ihre Hauptfiguren ernst nehmen und die weniger ein Blutfest zelebrieren als vielmehr den Fokus auf einzelne Momente richten, die dann aber um so nachhaltiger erschreckend ausfallen. Im Hause Disney hat man dies aber offenbar anders gesehen und den Film kurz nach Weihnachten recht geräuschlos im Stream hochgeladen.
Im Stream auf Disney+
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