Schon vor über zwei Jahren wurden negative Nachrichten über die chinesische Smartphone-Applikation TikTok bekannt, die einst als musical.ly bekannt war und schließlich von Konkurrenten ByteDance gekauft wurde. Das Programm der chinesischen Entwickler kann weitaus mehr als die in Westeuropa angebotene Funktionen. Douyin, so der chinesische Name, ist ein Datenmonster, das eines der besten und umfangreichsten Programme der Welt ist. Die Macher von Google, Facebook und Twitter beneiden ByteDance um ihren hervorragenden Algorithmus, der dazu führt, dass Anwender stundenlang Videos streamen. Man könnte fast sagen, dass aus China der Endgegner von Social Media kommt.
Doch TikTok, so wie musical.ly seit August 2018 in Deutschland heißt, ist für seine Zensur bekannt. Aus diesem Grund gab es auch ein Raunen als die «Tagesschau»-Redaktion des Norddeutschen Rundfunks (NDR) einen Kanal eröffnete. Dieser fungiert in Westeuropa ohne Einschränkungen, aber in China sind die Inhalte nicht abrufbar. Immerhin regiert in Fernost nur die Kommunistische Partei unter Staatspräsident Xi Jinping, der zuletzt mehrfach die Verfassung zu seinen Gunsten ändern ließ. Bis in den Dezember herrschte in dem Land ein strenger Corona-Lockdown, der erst durch Massenproteste, gelockert wurde.
So herrscht die Order von ganz oben: TikTok hat doch bitte für die chinesische Regierung Videos entweder zu löschen oder so zu versehen, dass sie nicht mehr gefunden werden. Das hat nichts mehr mit Algorithmen zu tun, sondern das ist Zensur. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Inhalte von Corona-Demos in Deutschland in China nicht abrufbar sind. Schon vor Jahren deckte Netzpolitik.org die Funktionsweisen des sozialen Netzwerks auf. Ein Moderator teilte ein Video in sechs verschiedene Kategorien ein. Harmlose und unterhaltende Beiträge bekommen ein Feature-Update, normale Videos werden ignoriert, teilweise eingeschränkt und unwichtige Inhalte werden aussortiert. Dazu gibt es noch die Möglichkeit, das Video bei der Suche unauffindbar zu machen und neben der Löschung auch den User mit seinem Beitrag in eine Echo-Kammer zu stecken. Menschen mit Autismus, dem Downsyndrom und weitere Minderheiten sollen unter sich bleiben, Videos zur Lage der Uiguren werden aussortiert.
Vor wenigen Wochen hat Tesla-Chef und Twitter-Neubesitzer Elon Musk die sogenannten „Twitter-Files“ aus dem Sack gelassen. Er habe die Dokumente nicht selbst ausgewertet, sondern den renommierten amerikanischen Journalisten Matt Taibbi (Rolling Stone, Substack), Bari Weiss (New York Times, Die Welt), Lee Fang (The Intercept) und dem Autor Michael Shellenberger zur Verfügung gestellt. Der Inhalt ist brisant: Die Verantwortlichen von Twitter haben mehrfach die Inhalte von Personen und Themen eingeschränkt.
Das erfolgte nicht nur auf eigenen Wunsch, sondern auch auf den Hinweis von Regierungen. Vor acht Jahren als Russland die Krim annektierte, hat Twitter pro-ukrainische Accounts auf Anfrage von Russlands Kreml ausgeblendet. Das bedeutet im Grunde, dass die Benutzer unsichtbar geschalten wurden, sozusagen wurden sie mundtot gemacht. Im selben Jahr wurden Dokumente und Korruptionsvorwürfe gegen den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan offline genommen. Erst im Februar 2021 wurden Accounts in Indien blockiert, die die Regierungspartei BJP kritisierten.
Der damalige Twitter-Geschäftsführer habe sich also nicht nur mit dem politischen Feind arrangiert, sondern sich gemeinsam in ein gemachtes Bett gelegt. Zwar begründete Twitter seine Entscheidungen mit der Order von staatlichen Entscheidern und jeweiligen Gesetzen im Land, das unterscheidet aber den Dienst auch nicht mehr von einer App wie TikTok. Erst im Dezember wurde bekannt, dass bei dem ByteDance-Konzern vier Mitarbeiter auf persönliche Profile von Nutzern eingedrungen sind und diese ausgeblendet haben. Allerdings geht Twitter in diesem Punkt auch nicht besser vor: Es werden direkte Kritiker ausgeblendet.
Selbst beim amerikanischen Wahlkampf zwischen Donald Trump und Joe Biden mischte Twitter mit und versuchte Meinungen über Bidens Sohn auszublenden. In der Corona-Pandemie war das Unternehmen ebenfalls aktiv und blendete Stimmen aus, die nicht den Experten der Regierungen gefolgt sind. Social Media hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Die Tools, die uns schlaue Unternehmen auf die Computer und Smartphones brachten, werden für einen Informationskrieg benutzt. Wie können wir Nutzer unterscheiden zwischen echtem Diskurs und gelenkter Meinung? Die Twitter-Files zeigen eindeutig, dass man den globalen Playern der Welt nicht trauen sollte. Vielleicht ist der Ausweg aus diesem Problem der Konsum von handelsüblichen Tageszeitungen – die gibt es zum Glück ohne Zensur.
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