Hintergrund

Das Jüngste Quoten-Gericht: Quoten-Washing von ProSiebenSat.1

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Immer montags blickt Quotenmeter auf die Quoten-Highlights und Marktanteil-Flops der zurückliegenden Woche. Diesmal geht es um Medienpolitik, denn man muss die Feste feiern, wie sie fallen.

Grundsätzlich sind Zuschauer- oder Klickzahlen zu Streamingtiteln mit Vorsicht zu genießen, da die Ergebnisse meist von den Streamingdiensten, bei denen die Titel zu sehen sind, selbst für die Auswertung sorgen. So gibt Netflix zwar wöchentlich Top10-Listen für Filme und Serien heraus, nennt dafür aber nur für den globalen Markt Sehstunden. So liegt aktuell in den Film-Charts «For People» mit 55,65 Millionen Sehstunden auf dem ersten Platz. Das bedeutet umgerechnet, dass der Film, der eine Laufzeit von knapp zwei Stunden besitzt, rund 28 Millionen Mal geschaut wurde. Daraus lässt sich aber nicht ableiten, ob dies auch der Wahrheit entspricht. Möglicherweise steuerten auch 100 Millionen Menschen den Film ab, brachen ihn nach kurzer Zeit aber wieder ab, weil der Titel nicht gefiel – es bleibt ein großes Feld der Spekulation.

Weswegen die Vorrede, hier soll es schließlich um TV-Quoten gehen, nicht wahr? Lange Zeit galten im Gegensatz zu den Streamingzahlen Reichweiten und TV-Quoten als handfestere Kennziffer, da die Daten unabhängig ausgewiesen und von einem repräsentativen Panel entstammen. In letzter Zeit häuft sich aber die Betrachtung der sogenannten Netto-Reichweite, also die Reichweite an Zuschauern, die mindestens eine Minute am Stück geschaut haben. Vor allem die ProSiebenSat.1-Gruppe greift angesichts massiv rückläufiger Zahlen immer häufiger auf diese Angabe zurück

Bestes Beispiel: Sat.1 gab am Montagmorgen eine Pressemitteilung zum Staffelstart der Abnehmsendung «Leben leicht gemacht – The Biggest Loser» heraus. Darin war zu lesen, dass sich die Sendung im Vergleich zum Vorjahr „deutlich“ gesteigert habe. Die Nettoreichweite in diesem Jahr betrug 4,27 Millionen, im vergangenen Jahr waren es 3,98 Millionen Zuschauer. Die Krux an der Sache liegt auf zwei Ebenen. Zum einen begann die Sendung am gestrigen Sonntag um 16:30 Uhr und dauerte bis zur Primetime. Im vergangenen Jahr fehlte die erste Stunde, denn Start des Staffelauftakts war um 17:30 Uhr, was einer Sendungsdauer von einer Stunde und 51 Minuten ergibt – im Vergleich zu rund zwei Stunden 41 Minuten in diesem Jahr, also etwa 50 Minuten mehr Sendezeit. Ob dann eine Steigerung um 300.000 Zuschauern, die mindestens eine Minute gesehen haben, einer „deutlichen Steigerung“ entspricht, liegt wohl im Auge des Betrachters.

Zum Zweiten ziehen wir die Sehbeteiligungen heran, die tagtäglich die Arbeitsgemeinschaft Videoforschung (AGF) ausweist, und damit die durchschnittliche Nutzung einer Sendung beschreibt. Sie berechnet sich personenindividuell als Anteil der Nutzungsdauer an der Dauer des Auswertungselements. Hier ergibt sich für den Staffelauftakt von «Leben leicht gemacht» eine Reichweite von 1,29 Millionen Zuschauern (vorläufig gewichtete Daten), die auf 1,37 Millionen nachgewichtet wurde. Für den gestrigen Sonntag wies die AGF 1,23 Millionen Zuschauer aus, also etwas weniger Menschen. Zur Erinnerung: Die Sendung dauerte aber auch eine Stunde länger. In der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährige lagen die Sendungen quasi gleich auf, 0,39 Millionen (2022) gegenüber 0,38 Millionen (2023). Die Marktanteile unterschieden sich aber – und jetzt ist auch dieser Text beim Sat.1-Sprech angekommen – deutlich. Vergangenes Jahr standen 7,1 Prozent zu Buche, in diesem Jahr waren es 8,8 Prozent.

Aber auch hier möchte Sat.1 nicht mit den klassischen Werten der AGF-Ausweisung mitgehen, sondern passt sich der aktuell in der Branche geführten erweiterten Zielgruppe der 14- bis 59-Jährigen an, da sich das Programm des Bällchensenders an ein älteres Publikum wendet. Hier wird aus einem deutlichen Unterschied von 1,7 Prozentpunkten aber nur noch eine Differenz von 0,7 Punkten. 2022 wurden 7,3 Prozent gemessen, vor 24 Stunden lag der Wert bei 8,0 Prozent – die Qualität der „deutlichen“ Steigerung liegt somit wie oben im Auge des Betrachters, oder eben in der Formulierung der Presseabteilung. Hier spricht man im Übrigen auch von einem „legendären“ Abnehmwettkampf“, für den im Vorfeld mit dem schwersten Kandidaten aller Zeiten geworben wurde. Man kann ihm nur wünschen, dass sich sein Gewicht wie die Sehbeteiligungen von Sat.1 verhält – langsam und kontinuierlich abnehmend – und nicht wie beim Jo-Jo-Effekt per Nettoreichweiten plötzlich wieder in die Höhe schnellen.

In den kommenden Wochen dürften die Berechnenden der Nettoreichweiten wieder auf Hochtouren arbeiten, denn bei ProSieben starten «Germany’s Next Topmodel» und «Wer stiehlt mir die Show?» in neue Staffeln – aus Medienpolitischer Sicht dürfte dann vor allem spannend werden, welche Zielgruppe sich ProSieben diesmal aussucht, um neue Rekorde aufzustellen. Die Feste müssen schließlich gefeiert werden, wie sie fallen.

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