Die Kritiker

«Helen Dorn – Das Recht zu schweigen»

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Der Tod eines Militärtechnikentwicklers gibt Helen Dorn Rätsel auf. Der Mann wurde während der Jagd erschossen. Der Schütze mag untergetaucht sein, es gibt jedoch keinen Hinweis auf eine absichtliche Tat. Zumindest Helens Vorgesetzte haben kein Interesse daran, dem Fall allzu viel Aufmerksamkeit zu widmen.

Stab

REGIE und DREHBUCH: Friedemann Fromm
KAMERA: Heinz Wehsling
MUSIK: Christoph Zirngibl
SCHNITT: Richard Krause
BESETZUNG: Anna Loos, Ernst Stützner, Tristan Seith, Nagmeh Alaei, Sina Martens, Peter Lohmeyer, Ursina Lardi, André Szymanski, Stipe Erceg, Christoph Tomarek
Da sitzt Rolf Kanther, Chef einer mittelständigen, auf Militärtechnik spezialisierten Firma, mit seiner Tochter auf einem Hochsitz. Vater und Tochter haben sich lange nicht gesehen. Es sind einige Dinge in der Vergangenheit vorgefallen, die zu einer Entfremdung der beiden geführt haben. Rolf wirkt sehr um seine Tochter bemüht. Er macht ihr keine Vorhaltungen wegen der Vergangenheit, er gibt sich vielmehr selbstkritisch und, wenn auch auf eine etwas unbeholfene Art, liebevoll. Zu dieser etwas unbeholfenen Art gehört, dass er ihr seine Uhr schenkt. Einfach so, als ein Zeichen, dass sie doch miteinander verbunden sind. Sein Bemühen wirkt echt – und wird doch jäh in dem Moment beendet, in dem ihn eine Kugel im in den Kopf trifft, die sein Leben beendet.

Aufgrund seiner Tätigkeit als Militärtechniker wird LKA-Kommissarin Helen Dorn mit der Untersuchung des Geschehens beauftragt. Da Sonja unter Schock steht und sich an Einzelheiten kaum erinnern kann, ist die Kriminaltechnik mehr denn je gefragt. Die jedoch findet Antworten, die sich in zwei Richtungen interpretieren lassen. Rolf Kanther wurde von einer Kugel getroffen, wie sie Scharfschützen verwenden. Demnach ist auch das Gewehr, von dem er getroffen wurde, eines, das auch Scharfschützen nutzen. Also ist doch alles klar, oder nicht? Mitnichten. Tatsächlich gibt es auch Jäger, die diese Munition und Waffen einsetzen, etwa dann, wenn sie aus großen Entfernungen heraus agieren. Es ist also möglich, dass ein Jäger versehentlich Rolf Kanther erschossen hat und dann geflohen ist. Helen Dorn empfindet diesen Gedanken als absurd. Ein Militärtechniker, der an Technologien arbeitet, die der Geheimhaltung unterliegen, wird zufällig Opfer eines Jagdunfalls, bei dem der Schütze ebenso zufällig ein Scharfschützenpräzisionsgewehr benutzt hat?

Allerdings gibt es keine Hinweise auf eine Gefährdungslage, mit der der Militärtechniker konfrontiert worden wäre. Zumindest keine akute. Nach der Tat gibt es auch niemanden, der sich zu eben dieser Tat bekennen würde. Abgesehen davon ist Kanthers Unternehmen kein großer Player auf dem Markt. Es ist eher ein spezialisierter Konfektionsbetrieb. Die von Helen kritisch beäugte Unfalltheorie erhält nach dem Selbstmord eines Vertrauten von Kanther schließlich Auftrieb. Alle Indizien inklusive eines Abschiedsbriefes deuten darauf hin, dass dieser Vertraute offenbar versehentlich seinen Chef erschossen hat. Da zu diesem Zeitpunkt der Handlung jedoch nicht einmal die Hälfte der Spielzeit vorüber ist, will sich Helen mit dieser Erklärung nicht zufriedengeben.

Schlaraffenland?

Regisseur Friedemann Fromm beweist einmal mehr, dass er zu den Guten in den teutonischen Kriminalfilmgefilden gehört. Der Stuttgarter, der in diesem Jahr 60 Jahre alt wird, hat ein halbes Dutzend «Tatort»e inszeniert, war an «Weissensee» als Autor und Inszenator beteiligt, die Serie «Tod von Freunden» entstammt seiner Feder. Vergessen ist heute sein Ausflug ins Actiongenre 1999 mit dem Thriller «Schlaraffenland». «Schlaraffenland» erzählt die Geschichte von einer Gruppe Jugendlicher, die nachts in ein Einkaufszentrum einbrechen, um dort etwas Spaß zu haben. Dumm für sie, dass ein Wachmann durch ihren Einbruch eine Chance sieht, den Tresor auszuräumen – und ihnen den Diebstahl anzuhängen, was im Verlauf der Handlung eine tödliche Eskalationsspirale in Gang setzt. Leider ist der Film seinerzeit in den Kinos eher mittelprächtig gelaufen, sodass Fromm die große Kinokarriere verwehrt geblieben ist und stattdessen das Fernsehen seine Rechnungen bezahlt. Gut fürs Fernsehen, denn Fromm weiß, wie man Wendungen inszeniert, Spannung aufbaut, aber auch Unwahrscheinlichkeiten durchaus charmant verpackt.

Diese Unwahrscheinlichkeit findet sich Fromms aktuellen Film in der Figur des Richard Dorn wieder. Richard, der Vater von Helen, war selbst Polizist. In den ersten Spielfilmen wurde das Verhältnis der beiden als distanziert dargestellt. Richard, früh Witwer geworden, musste Helen alleine großziehen und überzeugte nicht gerade als Vater des Jahres. Im Verlauf der Zeit aber kommen sich Vater und Tochter in der Serie nicht nur näher, Richard folgt seiner Tochter nach deren Umzug von Düsseldorf nach Hamburg sogar an die Alster, um ihr nahe sein zu können. Genau dieser Vater stolpert nun in die Ermittlungen seiner Tochter und verpasst denen eine Wendung, die tatsächlich, nun ja, etwas sehr zufällig erscheint. Fromm ist als Inszenator jedoch schlau genug, diese Zufälligkeit nicht einfach passieren zu lassen, sondern den Faktor Zufall zu thematisieren. So integriert er ihn in die Handlung und verhindert das eines Gefühls, als würde hier nur ein Drehbuchloch gefüllt. So entwickelt sich eine an Wendungen reiche Geschichte, in der Zufälle durchaus eine Rolle spielen, um eben diese Wendungen zu erzeugen: überstrapaziert wird das Prinzip Zufall jedoch nicht. Vielmehr folgt die Geschichte dem Motto, dass ein Plan noch so gut sein kann, es aber dennoch nicht möglich ist, alle Unwägbarkeiten zu bedenken: Wie das Auftauchen eines pensionierten Polizisten, der etwas erkennt, was niemand anderem als ihm jemals aufgefallen wäre. Oder dass die Ermittlungen ausgerechnet von einer Empathie geforderten Kommissarin mit Gehorsamsdefizit geleitet werden, die auch dann weiter ermittelt, wenn ihre Vorgesetzten den Fall zu den Akten legen wollen. So nimmt die Story bald eine Richtung auf, die wirklich so niemand vorhersehen vermag. Vielleicht ahnt man sehr rasch, wer von den handelnden Figuren Dreck am Stecken kleben hat und welche nicht. Das aber mindert die Spannung nicht, wenn es um die Frage des Warums geht!

Das alles ist recht temporeich inszeniert, ohne auf große Action zu setzen. Das Tempo entsteht durch die Montage, durch Szenenwechsel und durch die besagten Wendungen. Ganz nebenbei überrascht die Handlung mit einigen humorvollen Momenten, die aus der Interaktion der Protagonisten der Serie, Helen Dorn, ihrem Kriminaltechniker Weyer und der Gerichtsmedizinerin Isabella Alighieri heraus entstehen. Das überrascht, schließlich gehört «Helen Dorn» für gewöhnlich nicht zu den Serien, für die es eine Extra-Humorsteuer zu entrichten gäbe. Da es jedoch bei kurzen Momenten bleibt, die schlicht den Figuren etwas mehr Menschlichkeit verleihen, wirkt der Humor nie wie ein Fremdkörper, der der Serie aufgedrückt worden wäre, um ihr etwas von ihrer oft innewohnenden Grimmigkeit zu nehmen.

Fazit: Unterm Strich überzeugt der neueste Fall dank seiner überraschenden Geschichten, seinem Tempo und seinem gut aufgelegten Darstellerensemble.

Am Samstag, 11. Februar 2023, 20.15 Uhr, ZDF

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