Serdar Somuncu hat vor vielen Jahren aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ vorgelesen, ist Stand-Up-Komiker und gern gesehener Gast in zahlreichen Fernsehsendungen. Seit Herbst 2020 talkt er wöchentlich mit seinem Kollegen Florian Schroeder im Podcast «Schroeder & Somuncu», der vom rbb-Sender radioeins produziert wird. Anlässlich einer Live-Veranstaltung, die in Berlin im Tippi am Reichstag stattfand, wurde er Gegenstand medialer Berichterstattung.
Der sechste Talk auf der Bühne mit Kamera drehte sich zunächst um die Geschichte von Somuncu. Er stellte fest, dass er durch die Corona-Pandemie des Öfteren gegen 19.00 Uhr gerne einen Schluck Alkohol trank. Der Mann aus Köln berichtete, dass er sich deshalb mit einem Suchtexperten unterhielt und auch derzeit fastet sowie auf Alkohol verzichtet. Das war einer Frau im Publikum allerdings zu wenig Kabarett, weshalb sie aufstand und fragte, wann denn der lustige Teil des Abends kam.
Somuncu teilte mit, er werde der Dame zehn Euro geben, wenn Sie gehen würde. Der Komiker verschwand hinter der Bühne und kehrte mit seinem Geldbeutel zurück. Die ältere Frau, wie sich später herausstellte, wollte ihre Eintrittsgebühr von 40 Euro zurückhaben. „Ich gebe Ihnen 50 Euro, damit Sie nie mehr wiederkommen“, teilte Somuncu der Frau mit und übergab ihr das Geld. Inzwischen ging die Frau an die Öffentlichkeit und beschwerte sich unter anderem über diesen Move, aber auch darüber, dass Florian Schroeder sie wegen ihrer angeblichen C&A-Jacke auslachte. Schroeder bat um Entschuldigung, da dies nicht seiner Vorstellung der Kunst entspräche.
Das erscheint durchaus paradox: Eine Frau sitzt in einer Kabarettveranstaltung und wird Teil eines Comedy-Programmes, indem sie sich lauthals einmischt. Die beiden wechseln vom Ernsten ins Spaßige, kommen also der Dame nach, und werden später dafür verurteilt, obwohl sie klarstellten, dass das Publikum ihrer Meinung nach keinen Anspruch auf den Inhalt des Programms haben dürfen. Zahlreiche Clickbait-Medien waren sich auch nicht zu schade, die Geschichte so darzustellen, als sei der Rauswurf nicht gerechtfertigt. Ein Medium bot sogar der älteren Dame Raum, die Geschichte noch einmal aus ihrer Sicht zu erzählen – wobei eigentlich schon alles gesagt war.
In einer jüngeren Ausgabe von «Schroder & Somuncu» wehrte sich der «Blaue Stunde»-Moderator, dass die Einmischung des Publikums in eine Vorstellung nicht hinnehmbar sei. „Ich bin nicht Ihr Dienstleister“, sagte er im Tippi am Kanzleramt. Er verteidigte sich mit dem Hinweis, dass Störer wie beim Fußball (Nackte Menschen, die das Spiel unterbrechen) und im Tennis (Beim Aufschlag störende Geräusche machen) weggeführt werden. Schließlich ist man nicht Teil der Vorstellung, man habe aber gleichzeitig das Recht sich hinterher zu beschweren, so Somuncu weiter.
Eine Kabarett-Veranstaltung wurde Wiebke Hüster nicht zum Verhängnis, die 1965 in Bremen geborene Journalistin, Autorin und Kritikerin wurde vom deutschen Choreographen Marco Goecke tätlich angegriffen. Nicht nur Hüsters Verlag, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, sondern andere berichteten ausführlich über den Vorfall, den die studierte Ballett-Expertin zur Anzeige brachte.
Für die Journalisten aus dem Feuilleton ist das Thema herrlich: Sie picken sich zahlreiche Details heraus, die man beleuchten kann. Zunächst hieß es, Hüster sei mit einem Hundekotbeutel beworfen worden, dann wurde mitgeteilt, sie habe den Dreck auf die rechte Wange bekommen. Was steckt hinter der Auseinandersetzung? Die Theater-Kritikerin hat zahlreiche Werke von Geocke verrissen. So hieß es in der aktuellen Vorstellung, man werde „beim Zuschauen abwechselnd irre und von Langeweile umgebracht“, denn das Werk sei „eine Blamage und Frechheit“.
Dass die Medien dieses Thema so aufbauschen, könnte vielleicht auch mit der High Society in der Stadt Hannover zusammenhängen. Schließlich sind solche Vorfälle im Theater oder Oper nicht existent, und die Akademiker sollten doch in der Lage sein, ihre Kontroversen untereinander friedlich zu lösen. Stattdessen wird Goecke zum Täter, doch man befindet sich nicht in einer Spielunke auf St. Pauli, sondern in Hannover.
Man könnte meinen, dass das Thema ein Dauerbrenner für die dpa-Schlagzeilen ist oder zumindest in allen Facetten in der Bild-Zeitung auftaucht. Stattdessen haben die belesenen überregionalen Blätter das Thema immer und immer wieder aufgegriffen. Die „Zeit“ widmete schlussendlich auch noch eine Kolumne dem Dackel, der Autor stellte fest, dass für eine „bizarre Hundekot-Aktion“ „ausgerechnet“ diese Rasse benutzt wurde. „Als hätten diese tollen Tiere es imagemäßig nicht schon schwer genug“, scherzte Autor Christoph Schröder in seiner Glosse.
Bei Somuncu war die extreme Verkürzung des Vorfalls der Boulevardblätter ein Problem, bei der Dackelkot-Attacke die Ausarbeitung der Hochkultur. Der normale Bürger beschäftigt sich also mit Kabarett, der Theatergänger mit Pöbeleien. Vielleicht gibt es schon in wenigen Monaten eine Theater-Inszenierung des Kot-Wurfes – das könnte dann beide Bürgerschichten interessieren.
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