Interview

Sabrina Fleisch: ‚Abnehmen beginnt im Kopf‘

von

Die Autorin hat sich auch mit der Suche nach Körperidealen beschäftigt. Menschen hegen den Wunsch nach Zugehörigkeit.

Hallo Frau Fleisch. Sie sagen, Sie lieben Essen. Ich auch – lieben wir nicht alle Essen?
Zu essen ist essentiell – nur weil man Essen braucht, um zu überleben, heißt es nicht, dass jeder die gleiche Leidenschaft für Ernährung, Lebensmittel oder das Kochen empfinden muss.

Es gibt genügend Menschen, die auch ab und zu auf eine Mahlzeit vergessen und dies eher als Mittel zum Zweck sehen. Ich persönlich beschäftige mich liebend gerne mit dem Thema Ernährung und probiere gerne neue Lebensmittel, Rezepte und Restaurants aus.

Für viele Menschen ist Übergewicht inzwischen normal. Viele Menschen essen aus Frust. Wie lässt sich das erklären?
Essen aktiviert das Belohnungssystem – es werden Glücksgefühle ausgeschüttet (Dopamin). Wenn Bedürfnisse unerfüllt sind, sich eine gewisse Unzufriedenheit abzeichnet, kann so mancher zu Lebensmittel greifen, um sich selbst ein gutes Gefühl zu verschaffen. Manche essen bei unangenehmen Gefühlen, wie Traurigkeit, Ärger, Angst oder Scham vermehrt, andere haben dabei überhaupt keinen Hunger.

Hier gilt es, Zusammenhänge zu erkennen und zu reflektieren, welche Gefühle vorherrschend sind, wenn man vermehrt isst. Wie fühle ich mich gerade? Habe ich wirklich Hunger oder steckt ein anderes Gefühl dahinter? Was brauche ich (wirklich)? Anschließend können neue Strategien entwickelt werden, um mit den Emotionen einen neuen Umgang zu lernen.

Unerfüllte Bedürfnisse wie Kontrolle, Autonomie, Anerkennung, Zugehörigkeit, Leichtigkeit etc. können aber genauso gut – neben dem Bedürfnis nach Schönheit – Gründe für den Wunsch einer Gewichtsreduktion sein. Auch hier gilt es herauszufinden, welche Bedürfnisse versucht werden, mit der Abnahme zu befriedigen. Denn auch oft nach dem erreichten Traumgewicht sind die gleichen Selbstzweifel und strafenden, fordernden Gedanken sowie Unzufriedenheit ein Thema und man versucht mit der nächsten Selbstoptimierungsmaßnahme gegenzusteuern.

In Ihrem Buch schreiben Sie über Fat-Shaming. Quotenmeter ist ein Medienmagazin und hat ausführlich beleuchtet, das Formate wie «Schwiegertochter gesucht», bei denen Menschen bloß gestellt wurden, nicht mehr funktionieren.
Durch Social-Media gibt es Plattformen, auf denen jeder Mensch seine Meinung äußern kann. Nun wird nicht mehr durch wenige Meinungsführer und Medieninhaber entschieden, was der Hörer oder Zuseher serviert bekommt. Dadurch können Missstände aufgedeckt werden – so empfinde ich es auch bei diversen Fernsehformaten, wie «Schwiegertochter gesucht» (Fat-Shaming), «Princess Charming» (Nötigung) oder «Germanys Next Topmodel» (Rufschädigung).

Nach wie vor gibt es Knebelverträge, die dafür sorgen, dass so manch Unmoralisches oder Verwerfliches unter Verschluss bleibt, trotzdem muss Unterhaltung den gesellschaftlichen Werten entsprechen, da die Gesellschaft schlussendlich entscheidet, wovon sie sich unterhalten lässt.

Zusätzlich sagt die Wahl des Fernsehprogrammes auch sehr viel über die Person selbst sowie dessen Moral- und Wertevorstellungen aus. Was für ein Mensch bin ich bzw. für was für einen Menschen werde ich gehalten, wenn ich dieses Format sehen? Möchte ich dieser Mensch sein? Für was stehe ich, wenn ich dieses Fernseh-Format sehe?

Da nun die breite Masse urteilen kann und wir durch das Internet auch den nötigen Treib-/Zündstoff haben, müssen Fernsehformate heutzutage noch mehr auf ihr Image achten, um längerfristig erfolgreich zu sein.

Fat-Shaming ist das eine, aber Heidi Klum macht doch mit Ihrem «Germany’s Next Topmodel» nichts anderes als Mädchen und Frauen falsche Körperideale zu vermitteln?
Zugehörigkeit ist eines der wichtigsten, menschlichen Bedürfnisse. Dafür vergleichen wir uns mit anderen. Hier lernen wir, wie wir zu sein haben, um dazugehören zu können. Vor allem, was derartige Relevanz zugeschrieben bekommt, weil es im Fernsehen läuft, wird als besonders wichtig empfunden.

Wir wollen anerkannt, gemocht und akzeptiert werden. Dies ist evolutionär bedingt nach wie vor vorhanden, da es in der Steinzeit überlebenswichtig war, einer Gruppe anzugehören, um überleben zu können.

In ärmeren Ländern ist es sexy, wenn der Mann oder die Frau mehr wiegt, weil es für Überschuss an Essen steht, was dort sehr rar ist. Bei uns gibt es mehr Lebensmittel als wie konsumieren können, bei uns ist Disziplin attraktiv, was wir mit einem schlanken Körper darstellen können. So geht es vor allem auch darum, was wir damit mehr oder weniger bewusst mit unserer Körperform über uns aussagen.

Inwieweit sind soziale Medien dafür verantwortlich, dass sich Menschen aufgrund Ihres Erscheinungsbildes schlecht finden?
Da sich vermehrt die Menschen öffentlich zeigen, die dem Schönheitsideal einer Gesellschaft entsprechen, entsteht oft ein verfälschtes Bild der Realität. Natürlich glauben wir, dass die meisten Menschen besonders schön oder schlank sind, wenn wir tagtäglich diese „perfekten“ Personen sehen, weil wir ihnen auf Instagram oder Tiktok folgen oder im TV sehen. Wir vergleichen uns nicht mit dem Gesellschaftsdurchschnitt, sondern einer ausgewählten „Elite“ von extrovertierten, selbstbewussten und attraktiven Menschen.

Im Fernsehen wird gekocht. Doch leider recht ungesund: viel Butter, noch mehr Olivenöl und andere Zusätze sind das Geheimrezept der Köche. Müsste «Rosins Restaurants», «Die Küchenschlacht» und andere Sendungen auch gesunde Alternativen aufzeigen?
Das Fernsehen ist nicht mehr die Haupt-Medienkonsum-Quelle – mittlerweile, vor allem bei der jüngeren Generation – werden auch gesunde Alternativen aufgezeigt. So gibt es auf Instagram, Youtube oder TikTok viele Accounts, die ausschließlich healthy Food-Content zeigen – ob dies gesunde Desserts sind, Ersatzprodukte für Butter oder Fleisch sowie die Ernährung eines ganzen Tages unter „What I eat in a day“.

Für jede Zielgruppe gibt es passende Formate, so ist die ältere Bevölkerungsschicht vermehrt am Fernsehgerät und wäre wahrscheinlich auch weniger an alternativen, modernen Kochsendungen interessiert. Unsere Ernährungsweise wird in den frühen Kindheitstagen geprägt und so ist für manch traditionelle und alt-modische Charaktere kaum nachvollziehbar, warum auf eine andere Art und Weise gekocht und gegessen werden soll.

Schließlich wird das gezeigt, was auch eine Zuschauerschaft hat und Einschaltquoten bringt. Für Fernsehsender ist es wichtiger, Geld zu verdienen als die Menschen gesund zu machen/halten. Wir sprechen hier von gewinnorientierten Unternehmen und nicht von wohltätigen Vereinen.

Abnehmen ist nicht nur eine Kopfsache, sondern auch Ausdauer. Sind Fitness-Programme, wie Sie im Internet und Fernsehen beworben werden, eine wirkliche Alternative?
Die Ernährung ist 80 % des Abnehmerfolges – daher ist Sport eine sehr hilfreiche Komponente, aber kein Allheilmittel. Schließlich erfordern die fast 1.200 Kalorien eines Big Mac Menüs (500 kcal Big Mac, + 440 Kcal Pommes + 200 Kcal Cola) rund (je nach Körpergröße und Gewicht) knapp 3 h Fußballspielen, mehr als 2 h laufen, 12 Stunden Wohnung putzen oder 8 Stunden intensiven Sex. Die Menge an Kalorien sind in der frei verfügbaren Zeit kaum abzutrainieren, daher ist die Ernährung ein wichtiger Faktor.

Sport ist aber nicht nur für das Ziel abzunehmen wichtig, sondern vor allem für die Gesundheit – vom Herz-Kreislaufsystem, bis hin zum verbesserten Immunsystem und Blutbild. Auch die mentale Stärke korreliert mit der physischen Stärke. Sportbegeisterte sind willensstärker, belastbarer und ausdauernder. Auch sensiblen oder unsicheren Menschen wird Sport, auch oft Kraftsport empfohlen, um sich geistig und körperlich zu stärken.

Können Podcasts und Hörspiele dazu führen, dass man sich mehr bewegt?
Einerseits kann hier massive Persönlichkeitsentwicklung erfolgen, wenn die richtigen Podcasts gehört werden. Wissen ist Macht, so kann Bildung einem den nötigen Antrieb geben, um kurzfristig unangenehme Gefühle auszuhalten, um langfristig ein Ziel zu erreichen. Wenn wir für uns einen Sinn entdecken, eine Motivation finden, sind wir bereit auch einen anstrengenderen Weg zu beschreiten. Wie schon Viktor Frankl sagte: Wer sein Warum kennt, erträgt auch jedes Wie. So kann man trotz Schamgefühlen in das Fitnessstudio gehen, daher kann man trotz eines anstrengenden Tages noch die Energie aufbringen, um eine Runde spazieren gehen, somit greift man zum vegetarischen, gesünderen Mittagsangebot, obwohl einem die Salamipizza besser schmecken würde.

Des Weiteren kann ein Podcast oder Hörbuch auch ein guter Zeitvertreib beim Sportmachen selbst sein. Audioangebote, wenn man Sport vorwiegend alleine und nicht im Team betreibt, können hervorragend beim Joggen, Kraftraining oder Bodyweight-Training zuhause gehört werden und einem die Anstrengung versüßen und durch eine interessante Ablenkung sogar ausdauernder werden lassen.

Helfen Apps und Smartphones zum Tracken des Essens und Sports? Würde man ohne diese Dinge weniger Sport treiben?
Tracking-Apps sind sehr hilfreich, denn diese spornen uns an. Sie helfen uns, zu erkennen, wie gut unsere Fortschritte sind, können Dopamin (Belohnungsglücksgefühle) auslösen, wenn wir unsere Tagesziele erreichen und uns somit auch stärken. Bei einem Vorhaben, wie beim Abnehmen, braucht es einen Plan sowie Teilziele, die mit konkreten Maßnahmen erreicht werden können. Diese ersichtlich zu machen, um auch auf dem Weg dorthin immer wieder belohnt zu werden und die Resultate auch schriftlich zu sehen, lässt uns durchhalten, macht uns stolz und erhöht die Erfolgschancen.

In der Pandemie waren zahlreiche Sportvereine geschlossen. Haben Sie in Ihrem Umfeld gemerkt, dass die Menschen mit ihrem Gewicht hadern?
Ja, die Schließung von Sportvereinen und Fitnessstudios hat nicht nur Ventile für Angst, Stress und Wut genommen, sondern auch Energie- und Kraftquellen. Neben der vermehrten Unsicherheit in der Gesellschaft wurden auch die gewohnten Bewältigungs- und Lösungsstrategien zum Teil genommen, indem vieles nicht mehr möglich war. Somit musste man sich neue Wege suchen, um mit Unzufriedenheit oder dem Gefühlschaos umzugehen.

So eine Umstellung braucht Zeit und nicht alle Vorlieben und Interessen konnten mit den Alternativen gleich gut befriedigt werden. Nicht nur die Anzahl an Depressionen stieg, auch die Suizidrate, Angststörungen und Beziehungskonflikte verzeichneten einen rasanten Anstieg. Es war eine herausfordernde Zeit, bei der die Gewichtszunahme ein Symptom, eine nach außen sichtbare Begleiterscheinung, der vorherrschenden Gefühle, aber nicht die Ursache und auch nicht das Kernthema war/ist.

Danke für Ihre Zeit!

“Abnehmen beginnt im Kopf: Mit Achtsamkeit, Motivation und Freude zum Wohlfühlgewicht“ ist im Buchhandel erhältlich.

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