Die Kino-Kritiker

«Goodnight Mommy»: Die Frau mit dem anderen Gesicht

von

Nach der Scheidung ihrer Eltern leben die Zwillinge Lukas und Elias bei ihrem Vater. Nach längerer Zeit sollen sie wieder einmal einige Tage bei ihrer Mutter, einer ehemaligen Schauspielerin, verbringen. Die trägt nach einer OP einen Gesichtsverband und für Elias steht bald schon fest: Die Frau unter dem Verband – ist nicht ihre Mutter.

Stab

USA 2022
REGIE: Matt Sobel
BESETZUNG: Naomi Watts, Cameron & Nicholas Crovetti, Peter Herrmann
KAMERA: Aleander Dynan
SCHNITT: Michael Taylor, Maya Maffioli
MUSIK: Alex Weston
PRODUKTION: Playtime, Animal Kingdo, Big Indie Pictures im Auftrag von Amazon Studios
PRODUZENTEN: Joshua Astrachan, David Kaplan, V.J. Guibal, Nicolas Brigaud-Robert
DREHBUCH: Kyle Warren nach einer Vorlage von Veronika Franz und Severin Fiala
Wem die Ausgangssituation von «Goodnight Mommy» bekannt vorkommt, irrt nicht. «Ich seh Ich seh» war vor knapp zehn Jahren ein internationaler Sensationserfolg des österrischen Kinos. Das Autoren-Regiegespann Veronika Franz und Severin Fiala hat den Film seinerzeit auf das unvorbereitete Publikum in seiner ganzen Wucht losgelassen. Veronika Franz und ihrem Neffen Severin Fiala hat der Thriller den Weg in das internationale Filmgeschäft geebnet. So haben sie zuletzt für die von M. Night Shyamalan konzeptionierte Apple+-Serie «Servant» mehrere Episoden kreiert; außerdem inszenierten sie 2019 für die wieder auferstandene, legendäre Horrorfilmschmiede Hammer den Horrorthriller «The Lodge». Zwar mag «Ich seh ich seh» in Deutschlands kein großer Multiplex-Hit gewesen sein, unter Genrefilmfans aber genießt das Werk auch hierzulande durchaus einen guten Ruf, auch wenn der Film nicht in Gänze überzeugen kann. Dazu später mehr.

Nun haben die Amazon Studios ein Remake des österreichischen Spielfilmes in Auftrag gegeben. Aber Hand aufs Herz: Hat irgendjemand seinen Start auf Prime wirklich mitbekommen? Bereits im September 2022 erlebte der Film seinen Start auf der Streamingplattform, ohne eine nennenswerte Ankündigung als Regaltitel. Was eben umso mehr irritiert, bedenkt man, dass es sich um eine Original-Prime-Produktion handelt, also ein Amazon Original. Gut, es gibt Filme, für die man sich als Produzent später schämt. Filme, die sich irgendwo auf ihrem Weg von der Idee zum fertigen Werk aus welchen Gründen auch immer verloren haben. Solche Titel bewirbt man dann eben nicht, sondern erfüllt Verträge (zu denen zum Beispiel die Pflicht zur Veröffentlichung gehört) – und dann möchte man nie, nie wieder an dieses Werk erinnert werden.

Spoiler: «Goodnight Mommy» gehört definitiv nicht zu diesen Filmen!
Da sind also Elias und Lukas, zwei Jungs, die von ihrem Vater der Mutter übergeben werden. Das Ehepaar ist geschieden, dennoch sprechen sie keinesfalls böse übereinander. Vielmehr bittet ihr Vater die Jungs sogar, sich anständig bei ihrer Mutter, die sie schon seit längerer Zeit nicht mehr gesehen haben, zu verhalten. Ihre Mutter hat derweil gerade eine OP überstanden: eine Gesichts-OP. Hadert sie als Schauspielerin etwa mit dem Älterwerden und hat ihr Gesicht deshalb etwas aufgefrischt? Oder gibt es vielleicht andere Gründe? Auf jeden Fall wirkt ihre Mutter, die aufgrund der noch frischen OP-Narben eine Maske tragen muss, seltsam distanziert. In der Erinnerung der Jungs ist ihre Mutter ein warmherziger, humorvoller Mensch. Die Frau im Haus aber wirkt verkrampft, stellt Regeln auf (so dürfen die Jungs einige Räume nicht betreten und eine Scheune im Garten ist vollkommen tabu) - und überhaupt wirkt sie gereizt. Immer wieder kommt es zu kleineren, aber nachhaltigen Konflikten zwischen den Dreien. Bis Elias den Gedanken ausspricht, dass die Frau, die sich als ihre Mutter ausgibt, gar nicht ihre Mutter ist!

Wie das österreichische Original verschließt sich auch das amerikanische Remake bis zum letzten Akt einer klaren Genrezuordnung. Ist «Goodnight Mommy» ein Drama? Ein Psychothriller? Ein Horrorfilm? Diese ungeklärte Frage lässt das amerikanische Remake gegenüber dem Original sogar punkten. Bei aller Liebe zur österreichischen Vorlage wirkt der 2014 entstandene Originalfilm in vielen Szenen sperrig und inszenatorisch maximal auf dem Niveau eines ZDF-Montagskrimis. Es fehlt der Inszenierung an Eleganz, sie wirkt äußerst kühl. Das gilt sowohl für die Inszenierung der Räume als auch der Figuren. Anders die US-Fassung, die den Hauptfiguren einen viel größeren emotionalen Raum zugesteht. Auch die Kamera und die Ausstattung inszenieren eine warme Umgebung, die eben nie aus sich heraus bedrohlich wirkt. Gerade dieser Kontrast ist es, der die Geschichte in der US-Version trägt. Was, wenn in diesem angenehmen Umfeld der Horror eingezogen ist?



«Goodnight Mommy» ist lediglich in einem Punkt zu kritisieren: Die Story entspricht fast 1:1 der des Originals. Das gilt nicht nur für die Namen Lukas und Elias, die aus der österreichischen Version übernommen worden sind. Das gilt vor allem auch für die Auflösung der Story. Dies macht den Film letztlich für alle Zuschauerinnen und Zuschauer, die das Original kennen, uninteressant. Die, die das Original nicht kennen, bekommen von Amazon allerdings einen elegant inszenierten Spannungsfilm präsentiert.

«Goodnight Mommy» ist bei Amazon Prime verfügbar.

Kurz-URL: qmde.de/141541
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