Dieser Film wird momentan heftig diskutiert: «The Whale» von Darren Aronofsky über einen Mann, der an Essstörungen leidet, über 270 Kilo auf die Waage bringt und sich kaum noch bewegen kann. Für die einen ist es ein einfühlsames Drama über einen Menschen, der an Adipositas (Fettleibigkeit) leidet und von Depressionen geplagt wird. Die anderen sehen in «The Whale» die Bestätigung von Klischees und Vorurteilen, die zum sogenannten ‚Fatshaming‘ führen. Auch Betroffene sehen das durchaus unterschiedlich. Es bleibt also eine Frage der Sichtweise und vielleicht auch der Identifikation. Wobei hier letztlich das Schicksal eines einzelnen beleuchtet wird, der nicht unbedingt für alle übergewichtigen Menschen steht. Basierend auf dem gleichnamigen Theaterstück von Samuel D. Hunter verpflichtete Regisseur Darren Arononfsky («The Wrestler») denn früheren Actionstar Brendan Faser («Die Mumie») für die Hauptrolle. Der ließ sich in einen ‚Fettanzug‘ stecken und Gesichtsprothesen ankleben. Dafür gab es in diesem Jahr zwei Oscars in den Kategorien ‚Bester Schauspieler‘ und ‚Bestes Make-up‘.
Der Tod steht vor der Tür
Wegen der Liebe zu einem Mann hat Charlie (Brendan Fraser) vor Jahren seine Familie verlassen. Doch der Geliebte ist verstorben, seitdem leidet Charlie an Depressionen und Essstörungen. 270 Kilo wiegt er und mittlerweile jeder Gang wird zur Qual. Von der Außenwelt hat er sich abgeschirmt, lediglich über Online gibt der frühere Professor Schreibkurse, bedauert aber jedes Mal gegenüber seinen Studenten, dass seine eigene Webkamera defekt sei. Ganz klar, Charlie schämt sich für sein Aussehen. Nur die mit ihm befreundete Krankenschwester Liz (Hong Chau) schaut regelmäßig vorbei und umsorgt und ermahnt ihn. Charlie aber weiß, dass ihm nicht mehr viel Zeit bleibt. Der Tod steht schon vor der Tür, und das Einzige, was ihn noch antreibt ist eine Aussöhnung mit seiner Tochter Ellie (Sadie Sink), die er damals im Stich gelassen hat. Doch statt Mitleid bringt sie nur Enttäuschung und Wut für ihn auf. Der Sterbenskranke aber kämpft weiter um seine Tochter.
Der menschliche Untergang
Fast in all seinen Werken hat sich Darren Aronofsky mit aller Härte den menschlichen Untergang gewidmet. Ob durch Drogen («Requiem for a Dream»), für die Karriere («Black Swan») oder durch Gottes Hand («Noah») - die Selbstzerstörung ist ein zentrales Thema bei ihm. Insofern passt «The Whale» ins Œuvre von Darren Aronofsky. Brendan Fraser alias Charlie gerät zwar nicht an die Grenzen des Wahnsinns wie sonst so oft bei Aronofsky, aber ein selbstzerstörerisches Verhalten ist auch ihm vorzuwerfen, weil er seelische Konflikte mit Fressattacken kompensiert und damit über Jahre seinen Körper geschunden hat. Er hat die Kontrolle darüber verloren, wie er im Film einmal sagt. In solchen Momenten gewinnt die Figur vollstes Verständnis und Mitleid aus dem Publikum. Zumal weitere gesundheitliche Schäden entstanden sind und sich der körperliche Verfall nicht mehr aufzuhalten ist. Dieser Mann hat sich selbst zerstört, und der Film erzählt, wie es dazu kommen konnte, macht deutlich, dass kein Mensch unfehlbar ist. Jeder könnte in eine solche Situation geraten und untergehen.
Die Würde eines Menschen
Dennoch will man buchstäblich nicht in der Haut von Charlie stecken, und die Kamera fängt gnadenlos alles ein, etwa wenn er sich erheben will und nicht mehr in der Lage ist, heruntergefallene Dinge wieder vom Boden aufzuheben. Selbst der Waschvorgang unter der Dusche ist ein Kraftakt für Charlie. Gewiss kann man Aronofsky vorwerfen, er würde diesen Menschen wie ein Freak zur Schau stellen. Allein der Titel «The Whale» offeriert ja schon, man würde es mit einem monströsen und abschreckenden Wesen zu tun bekommen. Und doch weicht die ‚Sensationslust‘, mit der Leute womöglich ins Kino gezogen werden, stets der menschlichen Seite. Sie steht im Fokus, um Verständnis, Mitgefühl und Annäherung auszulösen. Irgendwann ist es einem auch völlig egal, wie dick Charlie ist. Man will nur, dass er seinen Frieden findet und seine Würde behält. Insofern hat Darren Aronofsky alles richtig gemacht. Im Zuge politischer Korrektheit bei der Besetzung von Filmen, könnten manche aber nun auf die Idee kommen, ihn mit dem Vorwurf zu konfrontieren, warum er für die Rolle des Charlie nicht tatsächlich einen entsprechend beleibten Schauspieler gesucht hat. Brendan Fraser und die Make-up-Crew Annemarie Bradley, Judy Chin und Adrien Morot wären dann bei den Oscars leer ausgegangen.
Fazit: Ein schmerzhaftes Drama, das unter die Haut geht. Der monströse Körper der Hauptfigur erschreckt, die verletzte Seele darunter aber berührt. Brendan Fraser bewältigt seine Rolle mit Bravour und hat den Oscar gewiss verdient.
«The Whale» ist im Kino zu sehen.
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