Die Kritiker

«Tatort: Das geheime Leben unserer Kinder»

von

Miriam Schenk und Paul Wolf waren mit ihren fast erwachsenen Kindern Zoé und Benno über Jahre hinweg eine gut funktionierende Patchworkfamilie. Dass es Risse gibt, kommt erst zum Vorschein, als Bennos bester Freund Christopher getötet wird.

Stab

BESETZUNG: Eva Löbau, Hans-Jochen Wagner, Susanne Borann, Christian Schmidt, Caroline Cousin, Aniol Kirberg, Dalila Abdallah, Kai Ivo Baulitz
REGIE: Kai Wessel
BUCH: Astrid Ströher
KAMERA: Andreas Schäfauer
MUSIK: Jens Grötzschel
Der Anreißer dieser Rezension ist ein wortwörtliches Zitat aus der Inhaltsangabe dieses Freiburger «Tatort»es aus der ARD-Mediathek. Sie ist kurz, knapp, präzise und steht erst einmal für sich neutral. Da gibt es also ein Ehepaar. Mann und Frau brachten jeweils ein Kind aus einer früheren Verbindung mit in die Ehe. Ein guter Freund der Kinder wird ermordet. Durch den Mord und der daraus entstehenden emotionalen Extremsituation gerät das Bild der gut funktionierenden Familie infrage. Glückwunsch an die Presseabteilung der ARD, besser lässt sich die Handlung eines Filmes nicht zusammenfassen. Auf der anderen Seite gibt es da aber auch nicht viel mehr zusammenzufassen, denn da ist sonst nicht viel.

Da sind also Zoé und Benno, zwei Kinder aus durchaus abgesicherten Verhältnissen, die allerdings durch ihre Shampooallergie und ihren Third-Hand-Kleidergeschmack von der ersten Minute an verraten, dass sie mit dieser konsumistischen TikTok-Welt auf Kriegsfuß stehen. „Ich würde gerne von der Welt was sehen, bevor sie untergeht“, sagt Benno denn auch bei Minute 14.53, wenn er seinen leiblichen Vater, der offenbar wohlhabend ist, um Geld für eine Reise bittet. Dass er dieses Geld gar nicht direkt für eine Reise braucht, wie er seinem Vater vorgaukelt, ist zu diesem Zeitpunkt leider schon bekannt. Und zwar aus einem Telefonat von Benno und Zoé mit einem schmierlappigen Gierlappen, dem sie Geld schulden. Und zwar einem schmierlappigen Gierlappen von der Sorte, die man am liebsten von hinten sieht. Auf der anderen Straßenseite. In einer anderen Stadt. Sprich: Was immer geschehen ist, die jungen Leute sind nicht einfach irgendwo hineingeraten. Sie haben sich mit echt üblen Leuten eingelassen. Was, man darf 1 und 1 zusammenzählen, natürlich auch im direkten Zusammenhang mit Christophers Tod steht. Da der im Rhein voll bekleidet gefunden wird, wissen die Ermittelnden von Anfang an, dass er wohl nicht fürs Seepferdchen geübt hat und dabei in tiefe Gewässer geriet. Nein, hinfort gemeuchelt von bösen Buben wurde er, der nun eine alleinerziehende, an den Rollstuhl gefesselte Mutter zurücklässt (das denkt sich der Autor dieser Zeilen nicht aus, Christophers Mutter sitzt im Rollstuhl und ist alleinerziehend, anders wäre es ja nicht tragisch genug). Da Christopher Bennos bester Freund war (siehe Zusammenfassung), überrascht es nicht, dass der Schmierlappen und das Verbrechen irgendwie wohl in einem Zusammenhang stehen. Was diesem Film aber irgendwie egal ist. Ja, der Junge ist tot, schade für ihn, aber die eigentlichen Opfer sind ja Zoé und Benno.
Bitte?

Ja, als solche will die Inszenierung die beiden darstellen. Oder zumindest als verlorene Seelen in einer Welt der Auflösung. Was derart nicht funktioniert, dass das Zuschauen Schmerzen bereitet.

Wir haben zwei junge Leute (Abiturienten) aus abgesicherten Umfeldern, in denen sie geliebt werden. Ja, Miriam Schenk und Paul Wolf lieben ihre Kinder tatsächlich, und zwar nicht nur die Frucht der jeweils eigenen Lenden. Die lieben auch das jeweilige Bonuskind! Die beiden schlagen ihre Kinder nicht, machen ihnen keine Vorschriften bezüglich ihrer Zukunftspläne, sie sorgen dafür, dass die Kühlschränke gefüllt sind und selbst in Krisenzeiten die Wohnung beheizt wird.

Gut, wir als Zuschauer erfahren auch, dass es ein paar schwarze Wolken über der Ehe gibt. Das ist nicht schön. Aber, und das ist der Punkt, egal, wie Mama Patchwork und Papa Patchwork zueinander stehen, egal, welche Leichen da im Keller liegen mögen - ihre Liebe zu Zoé und Benno ist davon nicht betroffen. Die beiden sind die gottverdammten Vorzeigeeltern des Jahres in ihren Bemühungen darum, keine A****krampenelten zu sein.

Gegen wen, Herrgott noch einmal, begehren diese beiden Bürgerkindchen auf? Ja, die Welt ist bekloppt geworden, die Klimaerwärmung ist echt, Klimawandelleugner leider auch und die FDP hat das Verkehrsministerium. Eine Fahrt durch den Westerwald und ein Blick auf die vielen, vielen toten Hügel, auf denen sich totes Holz tonnenweise stapelt, sind ein realer Beweis dafür, dass die Welt ein Problem hat. Also, möchte man Zoé und Benno zurufen, schwänzt freitags fürs Klima die Schule oder klebt euch auf Autobahnen fest. Alles cool. Junge Menschen – Zukunftsängste - das Nichtverstehen der Bräsigkeit der alten Säcke lässt sie tatsächlich verzweifeln.

Aber was will uns die Geschichte dieses «Tatort»es sagen? Was wollen Zoé und Benno, diese verstrahlten Pappschachteln, eigentlich? Ja, sind hadern mit Dingen, die geschehen. Bitte. Aber warum lässt man sich dann mit Schmierlappen ein, die 100 Meter gegen den Wind schmierlappig stinken? Haben Zoé und Benno denn nie einen «Tatort» gesehen und wissen daher nicht, dass die Welt jenseits ihrer gymnasialen Lehrmauern voll von Schmierlappen ist, denen ihre Zukunftsängste egal sind und denen es nur um eines geht: GELD? Hat eigentlich niemand bei den Planungen des Filmes gemerkt, dass diese beiden Figuren nicht, aber so gar nicht funktionieren? Nicht eine Sekunde lang?

Mannomann, wer in diesem Film auch nur im Ansatz so etwas wie Spannung erwartet, wird enttäuscht. «Das geheime Leben unserer Kinder» ist ein «Tatort» aus der Bubble bürgerlicher, gentrifizierter Altbauwohnungherrlichkeit, in der man wirklich glaubt, dass junge Menschen wie Zoé und Benno tatsächlich so ticken wie Zoé und Benno. So verloren zwischen Fahrradketten und gutbürgerlicher Bio-Küche.

Es ist ein Trauerspiel.

Am Sonntag, 14. Mai 2023, 20.15 Uhr, Das Erste

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