Seit über zehn Jahren recherchiert Ulrich Meyer mit seinem «Akte»-Team im Auftrag der Sat.1-Zuschauer. Doch Meyer kann auch anders: Quotenmeter.de sprach mit ihm über den «Talk der Woche», den er moderieren wollte, über «18:30», welches er aus der Taufe hob und über "Crime&Search" Formate.
Gehen wir weg vom Thema «Akte» und hin zu einem anderen Thema, was für Sie vielleicht nicht so einfach ist. Sie wollten den «Talk der Woche» bei Sat.1 moderieren…
…ja gut, aber auch solche Rückschläge gehören zu einem spannenden Fernsehleben. Sat.1 wollte eine Kollegin haben – ich habe Bettina Rust vor der ersten Sendung gratuliert und ihr alles Gute gewünscht. Jetzt haben wir alle schmerzlich gelernt, dass es im Privatfernsehen extrem schwierig geworden ist, so eine Sendung zu etablieren. Vielleicht sogar unmöglich. Wir fragen uns: Geht das überhaupt noch, den Zuschauer am Abend in einer Talkshow über zwei Werbeblöcke zu halten und damit noch eine Quote von 10 Prozent zu erreichen? Momentan eher nicht.
Wäre es mit Ihnen also auch nicht besser gelaufen?
Solche Fragen machen nur Magengeschwüre. Der Sender hat gesagt, wir nehmen eine Frau. Ich habe kurz nachgedacht, ob es eine beschleunigte Geschlechtsumwandlung gibt und ob ich das meinem näheren Umfeld antun will. Wollte ich aber nicht. (lacht).
Wie ist Ihr Verhältnis zu Roger Schawinski?
Danke, gut.
Sprechen Sie mit ihm über neue Formate?
Regelmäßig. Wir reden oft über neue Programmideen, neue Formate, fragen uns, was auf dem ein oder anderen Sendeplatz gut laufen könnte.
Mitte der 90er Jahre haben Sie bei Sat.1 die Nachrichtensendung «18:30» etabliert. Nach drei Jahren war aber Schluss – zum Bedauern vieler Zuschauer. Warum?
Danke, aber das ist einfach zu erklären. Ich habe meine eigene Produktionsfirma seit 1992. Wir hatten damals – also in den Jahren 1995 folgende – allein in Sat.1 drei Formate, die wöchentlich on-air waren. «Akte», «Fahndungsakte» und die Comedy «Deutschlands dümmste Gauner». Dazu kamen noch weitere Projekte für andere Sender. Es ist nicht wirklich optimal, wenn der Geschäftsführer des Unternehmens dann auch noch Nachrichtenkonferenzen, nachmittägliche Voraufzeichnungen, Kurznews zu machen hat. Meine Assistentin hat sich damals eine beinharte Gangart angewöhnt, meinen Tag in Viertelstunden-Abschnitte zerlegt und mich von einem Termin zum anderen gejagt. Nur so konnte ich das alles einigermaßen hinbekommen. Nach drei Vertragsjahren reichte es. Mit Fred Kogel, dem damaligen Sat.1-Geschäftsführer, habe ich besprochen, dass ich die Nachrichten abgebe.
Es kam dann Astrid Frohloff – da wirkten die Nachrichten oft wie eine Art „Pflichtaufgabe“. Bei Thomas Kausch sieht das anders aus: Da macht es Spaß zuzuschauen und auch die Quoten stimmen.
Nicht nur den Nachrichten ist ein Quantensprung gelungen. N24 sammelt und bereitet News rund um die Uhr auf. Thomas Kausch hat sehr mutig den Sprung vom ZDF zu Sat.1 gewagt, auch wenn er wusste, dass er künftig weniger Ressourcen zur Verfügung hat als beim ZDF. Der ganze Vorabend steht um etliches besser da als zu meiner Zeit. Das Lead-In war nie besser als jetzt mit «Lenßen & Partner». Das ist ein großer Vorteil für die Nachrichten. Da ist nicht die geringste Delle im Programm. Und klar: Thomas Kausch hat gezeigt, dass er auch im Privatfernsehen die Zuschauer bindet.
Sie haben vorhin schon über die «Fahndungsakte» gesprochen. Das war ja ein sinnvolles Format, denn es ist ja durchaus zweckmäßig Verbrechern auf diesem Wege das Handwerk zu legen. Trotzdem ist die Fahndungsakte seit Jahren nicht mehr im Programm. Was hat nicht mehr geklappt? Hat so ein Format denn überhaupt eine Chance, wenn wir jetzt «Aktenzeichen XY» außen vor lassen?
Im Fernsehen ja, im privaten Fernsehen weiß ich es noch nicht endgültig. Wir haben vor ein paar Wochen den «Polizeireport Deutschland» mit Percy Hoven auf RTL II produziert. Es hat sich gezeigt, dass sich trotz enormen Production Value, trotz großem Einsatz und hoher Zufriedenheit bei RTL II ein solches Format in der jungen Zielgruppe außerordentlich schwer tut. Meine Firma META productions hat die «Fahndungsakte» bei Sat.1 vier Jahre lang gemacht. Von 1997 bis 2000 mit circa 125 Ausgaben. Begonnen hatten wir mit dem Ende der Ära Eduard Zimmermann. Wir meinen, wir haben das Genre Crime & Search deutlich verjüngt. Und wir meinen auch beobachtet zu haben, dass sich einige von unseren Ideen bei Rudi Cerne und «Aktenzeichen XY» wieder gefunden haben.
Warum hat die «Fahndungsakte» letztlich nicht funktioniert?
Sie hat funktioniert. Sie hat nicht überlebt, weil die Sendung – glaube ich – sieben verschiedene Sendeplätze und drei verschiedene Längen hatte. Die Quoten waren zufrieden stellend – aber irgendwann ist der Zahl derer im Sender, die für Fahndungsakte brannten, immer kleiner geworden. Am Ende waren wir zusammen mit der Polizei die Einzigen, die das Format noch richtig wichtig fanden.
Quotentechnisch lief «Polizeireport Deutschland» auch nicht der Renner…
Das war zu wenig, das muss man deutlich erkennen.
Also keine Fortsetzung.
Wir müssen noch mal nachdenken. Gerade jüngere Menschen empfinden TV-Hinweise auf Gefahren eher als Spielverderberfernsehen. Die wollen sich selbst die Hörner abstoßen oder sich nicht in ihre Lebensführung reinreden lassen. Älteren Menschen, die kein Hauseigentum etwa haben, ist es auch ziemlich egal, ob irgendwo in Einfamilienhäuser eingebrochen wird. Und ein Beispiel von Zuhause: Meine Frau guckt zwar «Navy CIS» und «CSI: Miami», aber sobald sie weiß, dass die Inhalte echt sind, mag sie solche Sendungen nicht alleine anschauen. Die Crime&Search Formate haben das Problem, dass sie nicht wirklich weiblich sind. Und das ist bei der Fernsehnutzung immer schlecht.
Sie sind selbst Fernsehmacher – sie beobachten die Branche sehr genau. Welche Formate haben momentan eine Chance auf dem Markt?
Alle Formate, die den Menschen darin unterstützen, mit dem merkwürdigen Leben da draußen, das wirtschaftlich immer schwieriger wird, zurechtzukommen. Hilfestellung und Lebenshilfe. Das ist nicht unbedingt neu – gebe ich zu. Aber sämtliche «Nanny»-Formate sind Beispiele dafür, dass viele Menschen nach Beistand, Unterrichtung, Anleitung lechzen. Und da ist meiner Meinung nach auch kein Ende in Sicht. Allerdings: Auch Romantic Comedys und „Ich versinke vor Glück im Boden“- Stoffen werden immer ihre Zuschauerinnen haben.
Romantisch wird es aber in Form von Telenovelas – und die überschwemmen derzeit den Markt…
Die Telenovelas sind am Nachmittag oder am frühen Abend sehr gut untergebracht. Ideal für ein weibliches, oft auch sehr junges Publikum, das zur Primetime anderes vorhat. Spannend wird es, wenn die ersten Telenovelas auslaufen und die Zuschauer ihr Herz neu verschenken sollen. Was wird funktionieren?
Und was gibt es momentan zu viel im TV?
Das sind immer die Formate, die nicht richtig ins Laufen kommen und deren Produktionszeiten trotzdem verlängert werden. Aber das ist das Schöne am Fernsehen: Der Zuschauer entscheidet. Der Souverän ist nicht der US-Investor, sondern der heimische Zuschauer. Hebt er den Daumen, schweigt die Kritik, die wirklich über Wohl und Wehe entscheidet.
Zum Ende stellen wir auch Ihnen kurze, knappe Sonntagsfragen:
Vor was haben Sie Angst?
Ich bin ein sehr furchtloser Mensch. Ich habe eigentlich vor gar nichts Angst.
Haben Sie irgendeine Macke oder einen Tick?
Selbstverständlich. Geradezu Monk-artig (lacht). Ich stehe immer mit dem rechten Fuß auf (lacht), habe mein Ritual, wenn ich im Teletext die Quoten abfrage. Und ich habe auch eine ganz bestimmte Uhr, die ich in der Sendung anlege. Ich bin ein Pflichtmensch, Steinbock, 1. Dekade – also eigentlich alles, was man sich an unbequemer Lebensführung vorstellen kann.
Welchen Menschen würden Sie gerne mal treffen?
Das sind viele, denn als Journalist freue ich mich sowohl über die Geschichten von bekannten Menschen als auch über Storys der Menschen von nebenan. Ich würde mich gerne mal mit dem Kölner Schriftsteller Frank Schätzing unterhalten. Er hat es von jetzt auf sofort gekonnt, deutsche Pageturner nach amerikanischem Vorbild zu schreiben.
Welche Fernsehsendung verpassen Sie nie?
Im Moment sind es alle «CIS- und CSI»-Formate. Oft auch nachts in der Wiederholung nach meiner Sendung.
Herr Meyer, besten Dank für das Interview. Quotenmeter.de wünscht Ihnen weiterhin alles Gute und noch eine lange Zeit mit der «Akte».