Die Kino-Kritiker

«Blood & Gold»: lautes, fetziges, dreckiges Kino

von

Erst hängen sie Heinrich an einem Baum auf. Als Warnung an andere fahnenflüchtige Soldaten. Dann wollen sie die Frau vergewaltigen, die ihm das Leben gerettet hat. Keine Frage, es ist an der Zeit, in ein paar Ärsche zu treten!

Stab

Deutschland/Tschechien 2022/23
Regie: Peter Thorwarth
Drehbuch: Stefan Barth
Besetzung: Robert Maaser, Alexander Scheer, Marie Hacke, Jördis Triebel, Sion Bubbel, Stephan Grossmann, Christian Kahrmann
Produzenten: Christian Becker, Amara Palacios
Musik: Jessica de Rooij, Hendrik Nölle
Effekte: Jiri Maran, Miroslav Miclik, Martin Pryca
Stunt Koodinator: Josef Jelínek
Eine tiefe Verbeugung vor Peter Thorwarth. 1999 hat er dem Ruhrgebiet mit «Bang Boom Bang» einen ewigen Klassiker geschenkt. Dann hat er vor zwei Jahren mit dem «Stirb langsam»-im-Flugzeug-Vampirslasher «Blood Red Sky» bewiesen, dass Deutschland krachendes Action-Kino beherrscht. Und nun lässt er mit «Blood & Gold» nicht mehr und nicht weniger als einen dreckigen, räudigen B-Kracher aufs Publikum los, der sich einen feuchten Kehricht um historische Genauigkeit scherrt und sich daran delektiert, miese SS-Schergen auf allen möglichen Wegen ins Jenseits zu befördern. «Blood & Gold» ist so etwas wie der hinterfotzige, kleine Bruder von Quentin Tarantinos «Inglorious Basterds». Wo Tarantino Pulp behauptet, sich dann aber doch als intellektuelles Kopfwerk selbstverliebt feiert, gibt es von Thorwarth visuell einfach ordentlich was auf die Fresse.

Der Krieg liegt in seinen letzten Zügen. Heinrich ist auf der Flucht. Der Soldat ist desertiert. Irgendwo im Osten. Seine Frau und sein Sohn sind in Hagen bei einem alliierten Bombenangriff ums Leben gekommen. Wie durch ein Wunder hat seine kleine Tochter diesen Angriff jedoch überlebt. Heinrich, ein gebrochener Mann, will nach Hause. Als ihn die Schergen des SS-Obersturmbandführers von Starnfeld stellen, ergibt er sich dem Schicksal. Wir sind die Verbrecher, schleudert er ihnen entgegen. Dieser Mann ist am Ende und als sie ihn aufhängen, ist das halt sein Schicksal.

Doch Heinrich hat Glück im Unglück. Da der SS-Mann Schreck Heinrich leiden sehen will, bringt der den Galgenstrick so an, dass Heinrich qualvoll ersticken und ihm die Gnade eines Genickbruchs verwehrt bleiben soll. So lassen sie ihn am Baum hängen und ziehen weiter – was die junge Bäuerin Elsa beobachtet, die Heinrich vom Strick abschneidet und ihm somit das Leben rettet. Auf ihrem kleinen, ärmlichen Hof lebt sie mit ihrem Bruder, der das Down Syndrom hat. Irgendwie hat sie ihn vor den Nazis und ihrem Traum der Säuberung bewahren können. Im Gegensatz zu ihrem Vater, der die Nazis verachtete – und den sie darum abgeholt und ermordet haben. Heinrich ist geschwächt. Elsa pflegt ihn. Beide gehen davon aus, dass die SS-Einheit, die Jagd auf Heinrich gemacht hat, weiterziehen wird. Die Amerikaner stehen quasi schon vor der Tür; wer kann, zieht sich zurück. Allerdings haben die beiden die Rechnung ohne die Gier gemacht. Diese Einheit nämlich hat gar kein Interesse daran, einfach weiterzuziehen, denn in Elsas Dorf lebte einst eine jüdische Familie. Die wurde in der Pogromnacht vertrieben. Doch nun geht das Gerücht um, der Vater habe versucht, seine Familie freizukaufen. Mit Gold. Und dieses Gold wollen sich die SS-Leute unter den Nagel reißen. Also quartieren sie sich im Dorf ein. Da es an Nahrung mangelt, werden einige von ihnen am folgenden Tag raus zu den Bauern geschickt. So klopfen SS-Männer auch an Elsas Tür. Und weil Elsa attraktiv ist, entschließen sie sich, die junge Frau zu vergewaltigen. Das kann Heinrich, der sich auf dem Dachboden versteckt, nicht zulassen. Er mag keine Waffe haben. Aber er hat eine Heugabel und er ist stinkwütend!

«Blood & Gold» ist ein dreckiger Tripp, der keine Gefangenen macht. Die SS-Männer mögen ja Mörder und Vergewaltiger sein, die Menschen im Dorf aber haben auch ihre Leichen in ihren Kellern liegen. Man sollte nun meinen, dass die SS die besseren Karten um einen angeblichen Goldschatz besitzt. Doch wenn es um Gier geht, entwickeln auch normale Menschen Abgründe, die erschrecken. Und dann ist da Heinrich, der eine, den niemand auf der Rechnung hatte.
«Blood & Gold» ist nicht nur ein dreckiger Trip. «Blood & Gold» ist auch ein Adrenalinzünder. Dies ist nicht nur einem Drehbuch zu verdanken, das keine Atempause kennt. Das Drehbuch ist schlau genug, den Darstellerinnen und Darstellern Momente zu bieten, die der Story jene Tiefe verleihen, die den Film davor bewahren, zu einem reinen Hack'n'Slash-Actioner abzurutschen.

Eine besondere Erwähnung hat in diesem Zusammenhang vor allen anderen Alexander Scheer verdient. Scheer ist von Starnfeld, ein schwarzbemantelter SS-Mann mit der obligatorischen Gesichtsmaske, unter der er eine entstellte Fratze verbirgt, die sein dreckiges Inneres nach Außen trägt. Natürlich ist dieser von Starnfeld eine Comicfigur, der seine Vorbilder ganz klar im ersten «Indiana Jones» findet. Aber in Scheers Spiel findet sich nicht nur eine menschliche Dunkelheit wieder, die von einem veritablen Fanatismus begleitet wird. In Scheers Spiel leuchtet immer auch ein Hass durch, dessen Ursprünge definitiv aus einer emotionalen Verletzung herrühren. Die Pointe (verbunden mit einem sanften Spoiler): Das Drehbuch erklärt diesen Hass sogar, aber statt betreutes Zuschauen zu praktizieren und dies blumig zu erklären, setzt das Drehbuch auf die Intelligenz der Zuschauerschaft. Man muss schon genau hinhören, um es zu verstehen. Respekt dafür!

Für Hauptdarsteller Robert Maaser könnte der Film zum großen Sprungbrett werden. Der Modellathlet (er war einmal Weltmeister in einer Rhönrad-Disziplin!) hat bereits einiges an bemerkenswerten Titeln in seiner Filmografie vorzuweisen. Man sah ihn in «Mission Impossible – Rogue Nation» oder als deutschen Piloten in «1917». Sogar für einen indischen Actionkracher, «Shivaay», stand er vor der Kamera. Diese Rollen dürfte er jedoch weniger seines schauspielerischen Talentes wegen erhalten haben, sondern vielmehr seines blendenden Aussehens und seiner erstaunlichen Physis wegen. Dass er allerdings ein guter Schauspieler ist, darf er nun in der Hauptrolle der Netflix-Produktion beweisen. Dieser Heinrich ist kaputt. Eigentlich ist es egal ob er lebt oder stirbt, denn irgendwie ist er längst ein wandelnder Leichnam. Maaser verkörpert Heinrich in der Tradition gebrochener Helden des klassischen Actionkinos. Er ist der Mann, der eigentlich nicht mehr kämpfen will, den jedoch äußere Umstände zwingen, noch einmal in den Kampf zu ziehen, was ihn sehr, sehr wütend macht.

Aber auch die weiteren Darsteller haben ihre Momente. Stephan Grossmann etwa in der Rolle des Orts-Bürgermeister: Kriechend und unterwürfig stellt er einen Schleimer dar, der ja bekanntlich keine andere Wahl hatte als mitzumachen. Jochen Nickel ist als Dorfpfarrer ein kaputter Typ, der seinen Glauben verloren hat. Doch über allem steht Jördis Triebel in der Rolle der gierigen Sonja, eine Frau, die sich wie die SS-Männer von Gier treiben lässt. Allerdings ist sie schlauer und gerissener – und sie weiß unauffällig zu agieren: Es ist schließlich 1945, da vermutet niemand hinter der Fassade einer deutschen Hausfrau solche Abgründe, wie sie in Sonja schlummern.



Das Drehbuch stammt von Stefan Barth, einem Autor, der vor über 20 Jahren schon einmal Action Made in Germany zu verantworten hatte: Als einer der Hauptautoren der Serie «Der Clown». Auch diverse «Alarm für Cobra 11»-Drehbücher stammen aus seiner Tastatur. Das Gros seiner Arbeit besteht jedoch aus Brot- und Butter-Werken à la «Die Heiland»; sogar eine Kerstin Gier-Verfilmung, «Auf der anderen Seite ist das Gras viel grüner», findet sich in seiner Filmografie. «Blood & Gold» basiert auf seinem eigenen Roman «Es war einmal in Deutschand». Das Problem: So etwas wie «Blood & Gold» gehört zu der Art von Filmen, die in Deutschland normalerweise nicht gedreht werden. In den USA wäre einer wie Barth wahrscheinlich ein guter Name für harte, knackige Geschichten ohne Blabla. Hierzulande jedoch musste der Autor erst auf Netflix warten, einen amerikanischen Streamingdienst, der die Spielregeln neu definiert und auf der Suche nach international verwertbaren Geschichten dann eben auch «Blood & Gold» ins Programm aufgenommen hat.

Unterm Strich ist «Blood & Gold» natürlich nichts für Schöngeister oder Arthauskino-Fans. Wer aber lautes, fetziges, dreckiges Kino liebt, hat keine Entschuldigung dafür, sich «Blood & Gold» entgehen zu lassen.

Seit 26. Mai 2023 auf Netflix

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