Die Kino-Kritiker

Mit Alkohol zum «Rausch»

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Wie wird man am schnellsten alkoholkrank? Der Film erhielt den Europäischen Filmpreis.

Auf der Leinwand wird gerne über den Durst getrunken: Ob James Bond einen Martini bestellt (geschüttelt, nicht gerührt), «The Big Lebowski» an seinem ‚White Russian‘ nippt oder Marilyn Monroe und Tony Curtis in «Manche mögen’s heiß» einen ‚Manhattan‘ mixen. Und dann sind da noch die Alkoholiker-Melodramen, die uns vor Augen führen, wohin übermäßiger Alkoholkonsum führen kann - von «The Lost Weekend» bis «Leaving Las Vegas». Einen ganz anderen Weg ging der Däne Thomas Vinterberg («Das Fest»), der sich von einer Theorie des norwegischen Philosophen Finn Skårderud inspirieren ließ. Dieser behauptet, dass der Mensch mit einem halben Promille Alkohol im Blut geboren wird, zu wenig, um wirklich optimal zu ‚funktionieren‘. Um dieses Defizit auszugleichen, könne man versuchen, seinen Blutalkoholspiegel konsequent bei 0,5 Promille zu halten. Gemeinsam mit Tobias Lindholm schrieb Vinterberg mehrere Jahre am Drehbuch zu «Der Rausch» mit dem Ziel, weder für noch gegen den Alkoholkonsum Stellung zu beziehen. Doch es kam anders.

Vier Freunde wagen das Experiment
Martin (Mads Mikkelsen) ist ein ausgebrannter Geschichtslehrer. Auch mit seiner Frau Anika (Maria Bonnevie) hat er Probleme. Seine Kollegen Tommy (Thomas Bo Larson), Nikolaj (Magnus Millang) und Peter (Lars Ranthe) sind nicht minder frustriert. Auf einer Party kommt es zu einem Besäufnis, bei dem Nikolaj den anderen von der 0,5-Promille-Theorie erzählt und das Experiment vorschlägt, jeden Tag so viel Alkohol zu trinken, bis dieser Wert erreicht ist. Zunächst scheint der heimliche Versuch der vier zu gelingen. Sie haben gute Laune! Vor allem Martin ist voller Tatendrang, er kann seine Schüler wieder begeistern und auch Anika wundert sich über ihren verwandelten Mann. Die vier Freunde beschließen, den Pegel zu erhöhen. Um die Kontrolle über ihren Konsum zu behalten, soll alles genau dokumentiert werden. Doch es wird ein Fass ohne Boden. Einer verliert die Kontrolle, wird alkoholkrank und stirbt. Bei der Beerdigung geben sich die anderen wieder dem Rausch hin. Auch sie sind nicht mehr Herr ihrer Sinne.
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Männer in der Midlife-Crisis
Alkoholismus ist zweifellos eine der schlimmsten Krankheiten, vor deren persönlichen und gesellschaftlichen Folgen viele noch immer die Augen verschließen. Das Bierchen zum Mittag und das Glas Wein am Abend gehören zum Alltag wie das tägliche Brot. Und wer daran zugrunde geht, die Kontrolle verliert und süchtig wird, ist selbst schuld - so scheint es zumindest. Dabei haben sich die Mechanismen längst verselbstständigt. Harte Drogen sind verboten, Haschisch immer noch halbillegal, Zigarettenraucher werden seit Jahren gemaßregelt, nur Alkohol ist und bleibt (neben Medikamenten) gesellschaftsfähig, und wer zu einem feierlichen Anlass das selbstverständliche Glas Champagner ausschlägt, macht sich verdächtig und ist sowieso ein Spaßverderber. Dieser ambivalente gesellschaftliche Zustand wird in «Der Rausch» eindrucksvoll ausgelotet. Nichts wird beschönigt oder angeprangert. Die Dinge nehmen einfach ihren Lauf, und wenn die vier Jungs plötzlich im Alkoholrausch sind, gute Laune verbreiten und sogar ihre Umwelt positiv beeinflussen, ertappt man sich dabei, wie sympathisch man diese Männer findet, die eigentlich in einer tiefen Midlife-Crisis stecken, die psychotherapeutisch behandelt werden müsste. Doch bald ist Schluss mit lustig, die Stimmung wird ernster, denn das Experiment entgleitet ihnen zusehends.

Mads Mikkelsen in einer seiner schönsten Rollen
„Der Teufel hat den Schnaps gemacht, um uns zu verderben. Ich hör‘ schon, wie der Teufel lacht, wenn wir einmal am Schnaps sterben“, sang einst Udo Jürgens und drückte damit die ganze Hoffnungslosigkeit aus, wenn wir uns verlieren. Dass Alkohol im Übermaß die Persönlichkeit verändern kann, scheinen viele nicht zu wissen oder vielleicht auch nicht hören zu wollen. Auch das vermittelt der Film, vor allem durch die Figur, die Mads Mikkelsen spielt. Wie er die Stimmungsschwankungen rüberbringt, ist phänomenal. Als Bond-Bösewicht in «Casino Royale» wurde Mikkelsen 2006 weltberühmt. Jetzt ersetzt er Johnny Depp als Gellert Grindelwald in «Phantastische Tierwesen 3». Eine seiner besten Rollen wird aber sicher die des Martin in «Der Rausch» bleiben. Mit Thomas Vinterberg dreht er 2021 bereits «Die Jagd» - ebenfalls eine spannende Gesellschaftsstudie über eine Hexenjagd auf einen Mann, der sich als Kinderschänder verdächtig gemacht hat. Auf weitere Zusammenarbeiten mit den beiden in der Zukunft kann man also nur hoffen.

Fazit: Männer in der Midlife-Crisis, denen nichts Besseres einfällt, als sich immer mehr zu betrinken. Das kann nicht gut gehen. Aber «Der Rausch» will weder anklagen noch beschönigen und ist gerade deshalb besonders entlarvend und schmerzhaft. Dafür gab es gleich vier Europäische Filmpreise, unter anderem für den ‚Besten Film‘ und den ‚Besten Hauptdarsteller‘.

«Der Rausch» ist am Dienstag, den 18. Juli, um 22.50 Uhr im Ersten zu sehen. Er kann auch in der ARD Mediathek gesehen werden.

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