Debatte

Zeit für: «Wer stiehlt mir Wetten, dass?»

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Thomas Gottschalk will nach 2023 nicht weiter machen mit «Wetten, dass..?» - die Zeit der Samstagabendunterhaltung sei vorbei. Warum er falsch liegt, und das ZDF gut beraten wäre, den Showdino mit einer neuen Ausrichtung zukunftsfähig zu machen. Diese liegt praktisch nebenan. Ein Kommentar von Mario Thunert.

„Wetten, dass Thomas Gottschalk Wetten, dass auch 2024 moderiert?“ Nicht wenige Zuschauer*innen und Medienbeobachter*innen hätten vor einigen Tagen wohl viel Geld darauf verwettet, dass dem so sein würde. Jetzt ist klar: Die Wette wäre verloren gegangen, denn der Showmaster macht nach dem 25. November 2023 endgültig Schluss mit der Sendung. Begründen tut er dies mit der Aussage, dass die Zeit für das Ende gekommen sei. Und Gottschalk mag recht haben, dass das Format in seiner jetzigen Form mit dem Zuschnitt auf ihn als Showgott nur noch eine begrenzte Halbwertszeit als Retrofeel-Event hat und gehabt hätte. Dies aber mit dem Ende der abendländischen Samstagabend-Unterhaltung gleichzusetzen, wie es der Entertainer tut, erscheint aus der Perspektive eines Gottes zwar konsequent, aus der Perspektive des linearen Fernsehens jedoch verheerend fatal. Denn (Live-)Event-Shows wie der von Frank Elstner erschaffene Klassiker sind in der Zukunft eine der letzten überlebenswichtigen Chancen für das Fernsehen, noch eine Bastion mit Alleinstellungsmerkmal und damit eine Alternative zu den Streamingdiensten darzustellen. Die Devise muss also heißen: Weiter machen, weiter wetten - doch wie?

Will man die Sendung in Zukunft weiterführen, wäre die größte Herausforderung, einen adäquaten Moderator/eine adäquate Moderatorin zu finden. Doch dass genau dies eine fast unerfüllbar erscheinende Herkulesaufgabe darstellt, bewies die (letztlich gescheiterte) Nachfolgersuche 2011/2012, innerhalb derer sich das ZDF zahlreiche Absagen einfing. Ein Lösungsmodell, welches schon damals von Medienbeobachtern/Medienbeobachterinnen diskutiert wurde, war der Einsatz wechselnder Moderatorinnen/Moderatoren. Und genau dieser Ansatz könnte auch 2024 einen Ausweg aus dem Dilemma bieten. Mehr noch, es könnte zugleich die letzte große Chance für die Show sein, die ihre dramaturgischen Probleme behebt und ihr einen unumgänglich erscheinenden Kurswechsel ermöglicht. Im Unterschied zu 2012 gibt es nämlich inzwischen ein erprobtes Konzept, das aus der Not von «Wetten, dass..?» eine Tugend, ja, gar ein bahnbrechendes Erfolgsrezept gemacht hat, und welches nun dem Showdino zur Anleihe dienen kann. Es liegt quasi vor der Nase des ZDF, am Sonntagabend bei der Konkurrenz aus Unterföhring.

Dort auf ProSieben läuft seit 2021 die von Florida-TV entwickelte und produzierte Quizspiel-Unterhaltungssendung «Wer stiehlt mir die Show?», die sich mit teils über 20 Prozent Marktanteil rasch zu einem der größten TV-Hits der letzten Jahre entwickelt hat und entgegen Gottschalks These eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass die Primetime-Unterhaltung im deutschen Fernsehen lebt. Markantestes dramaturgisches Gimmick, welches die Basis des Erfolgs darstellt, ist der Kampf des Moderators Joko Winterscheidt um seine Sendung, die er innerhalb einer Challenge von Quizspielen an die Gewinnerin/den Gewinner zu verlieren droht. Setzt sich ein prominenter Teilnehmer im Endspiel gegen ihn durch, moderiert er/sie die nächste Ausgabe. So kommt es nicht nur zu einem spannenden von Ungewissheit geprägten Wettbewerb mit relevanter Konsequenz, in dem es um etwas geht (nämlich um die Moderation und Gestaltung der nächsten Show), sondern auch zu einem mehr oder minder kontinuierlichen Wechsel der Moderation des vertrauten Konzepts, innerhalb dessen die Rahmung der Show immer neue, eigens auf die jeweiligen Präsentatorinnen/Präsentatoren zugeschnittene Inszenierungsweisen, Formen, Erscheinungen und Ausprägungen annimmt, die viele Ausgaben zu einem einmaligen unverwechselbaren Ereignis machen (siehe Anke Engelke, Bastian Pastewka, Olli Schulz oder ein gewisser Thomas Gottschalk selbst). Darüber hinaus exerziert die Sendung vor allem in ihren Openings eine extrovertierte Selbstinszenierung und verkörpert einen aufwendigen Ausstellungswert, den sie aber mit einem selbstreflexiven Bewusstsein versieht, welches oft in selbstironischer Dekonstruktion mündet.

All dies sind konzeptionelle Faktoren, die sich anbieten, auf «Wetten, dass..?» übertragen zu werden, um aus der immer noch größten Unterhaltungsshow Europas eine zeitgemäße Variante zu machen, die ihr Grundpotenzial wieder episch zum Tragen bringt und in der Zukunft mit zwei bis drei Ausgaben im Jahr bestehen kann. Konkret hieße dies, die Konstellation, dass ein Moderator/eine Moderatorin (ggf. auch Moderations-Duos) seine/ihre Sendung an andere Moderationsanwärter*innen verlieren kann und folglich gegen sie verteidigen muss, auch zur Prämisse von «Wetten, dass..?» zu machen. Äquivalent zu den Quizspiel-Runden in «Wer stiehlt mir die Show?» wäre dann das Setzen auf die jeweiligen Wetten/Wettkandidaten die Währung, um Punkte zu sammeln bzw. um die nächste Show zu gewinnen oder zu verlieren. Hierbei würde dann in Sendung eins nach Gottschalk eine Moderatorin/Moderator die Ausgabe in ihrer/seiner eigenen Art und Weise (vor allem mit einem markanten Opening) inszenieren. Die Wettpaten (ebenfalls bekannte Moderatoren, Entertainer*innen Unterhalter*innen, Schauspieler*innen etc.), die zu Gast sind, fungieren als Herausforderer*innen, welche die nächste Ausgabe moderieren wollen, und gegen die die/der amtierende Moderator*in ihren/seinen Posten verteidigen muss, um auch die nächste Show wieder zu präsentieren. Denkbar wären in diesem Kontext verschiedene Szenarien, wie das Gewinnsystem aufgebaut ist. Eine Variante wäre, den Wettbewerbscharakter durch Eigenentscheidungen zu stärken. Hierbei könnten die Tipps 'Wette gewonnen/verloren', die zu jeder Wette abgegeben werden müssen, als Punkte gezählt werden - wer die meisten Punkte gesammelt hat, bekommt die nächste Show. Für die Paten der Wettkönige/königinnen wären Sonderpunkte denkbar. Alternativ ließe sich eine Art Setz-System (ähnlich wie bei der RTL-Variante mit Guido Cantz) etablieren, in denen die Moderations-Anwärter*innen Beträge/Punkte auf die Wettkandidaten/kandidatinnen setzen können, um diese zu vergrößern, potenziell aber auch zu verlieren – der/die mit dem größten Betrag/Punktekonto moderiert die nächste Ausgabe (der aktuelle Host zahlt natürlich auch Einsätze). Für das Setzen auf den/die Wettkönig*in greift wieder eine Sonderreglung. Auch innovativere Erweiterungen wie das Erspielen von Zeit oder Hilfsmittel seitens Wettpaten für ihre jeweiligen Schützlinge wäre eine Überlegung wert. Generell ließe sich zudem eine komplette Neu-Ausrichtung der Wett-Struktur vorstellen. Beispielsweise könnte nicht mehr darum gewettet werden, ob jemand eine Wette gewinnt, sondern wie hoch, also wieviel er/sie schafft bzw. wie schnell/in welcher Zeit/ Höhe/ Geschwindigkeit/Ausdauer etc. Dahingehend bestünde ebenfalls die Möglichkeit, die Wetten stärker zu öffnen und vom Zwang zu befreien, etwas noch nie Dagewesenes zu bieten, sondern eher Höchstleistungen in verschiedenen Bereichen, die dann auch im Wettbewerb zwischen verschiedenen Kandidaten innerhalb einer Wette stattfinden könnten. Im Zuge dessen ergäbe sich vielleicht auch die Option, Wettpate für die immer gleichen/oder wechselnden Kandidaten/Kandidatinnen über einen Abend zu werden, die dann in mehreren Wetten gegeneinander antreten. Dadurch kann sich der Schauwert und die Aktionsgeladenheit der Wetten steigern, die bspw. auch stärker in Außenbereichen aufwändig aufgebaut und in Szene gesetzt werden, um die Spektakel-Wirkung wieder zu erhöhen (ähnlich wie in der Anfangszeit von Schlag den Raab, als mit Helikoptern zu Golfplätzen und Schwimmbädern geflogen wurde). Zu Bedenken ist allerdings, dass sich «Wetten, dass..?» vom Charakter damit dramaturgisch Formaten wie «Klein gegen Groß» oder «Schlag den...» noch stärker annähern und überschneiden würde.

Mit welchen konzeptionellen Feinjustierungen auch immer; Alles in Allem könnte die Übernahme der «Wer stiehlt mir die Show?»-Dramaturgie für «Wetten, dass..?» nicht nur das Gottschalk-Nachfolge-Problem lösen, indem es die Eintrittsschwelle für zukünftige Teilzeit-Moderatoren/Moderatorinnen senkt bzw. deren Zugang erleichtert, sondern auch den Faktor der zunehmenden Belanglosigkeit der Wetten und der erlahmenden Routine aufbrechen, indem sie einmalige und wechselnde Live-Events mit stärkerer Wettbewerbsrelevanz schafft. Durch die Mischung der Florida TV-Prämisse mit «Wetten, dass..?» und der dazugehörigen Erweiterung um das Live-Moment, würde sich auch für diese eine neue Dimension und Größenordnung erschließen, in der sie sich aber ernster nehmen müsste. Vielleicht hat das Team von Florida ja Lust, diese Zukunftsvision zur Aufrechterhaltung der größten Unterhaltungsshow Europas mitzugestalten und ihr den Charakter für zukünftige Generationen zu implementieren. Ich würde einschalten an einem Samstagabend, wenn es heißt: «Wer stiehlt mir Wetten, dass?».

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