Ob am frühen Montagmorgen ein vernehmbares Aufatmen im Großraum München ist nicht überliefert, sicherlich dürften die Verantwortlichen von ProSieben und Sat.1 mit Erleichterung die Nachricht über die Einigung im Autorenstreik in den USA aufgenommen haben. Die Unterföhringer Sender füllen bekanntlich noch immer große Teile ihres Programms mit Lizenzware aus Übersee. Abseits fiktionaler US-Serien ist die neue TV-Saison in diesen Tagen heiß gelaufen, was sich an zahlreichen Reality- und Factual-Formaten im Privatfernsehen ablesen lässt.
Womit uns der Weg zu «The Voice of Germany» führt, wo in den vergangenen vier Tagen dreimal die Primetime von dem runderneuerten Format belegt wurde. Die als Castingshow getarnte Musiksendung, in deren Mittelpunkt weniger die Talente als die Juroren stehen, hat seit Jahren eine Laufzeit die bis knapp 23:00 Uhr heranreicht. So auch der Staffelstart am vergangenen Donnerstag, der mit 12,6 Prozent für derzeitige ProSieben-Verhältnisse zwar seht gut ausfiel, aber im Sendungs-internen Vergleich eben auch so schlecht wie noch nie. Die Reichweite belief sich auf 1,59 Millionen, was ebenfalls kein Wert ist, für den sich ein «TVOG»-Auftakt feiern lassen würde. Zumal am Sonntag die vorgezogene ProSieben-Ausgabe vom Donnerstag auf 1,37 Millionen und 10,9 Prozent zurückfiel.
Aber ProSieben hat bekanntlich ein Ass im Ärmel, um die ernüchternden Zahlen aufzuhübschen. Statt auf die von der AGF ausgewiesene durchschnittliche Sehbeteiligung zu verweisen, zieht man die sogenannte Nettoreichweite zu Rate. Es geht dabei um die Anzahl der Personen, die mit einem Programm mindestens einmal erreicht wurden – erfasst werden also auch Menschen, die durch das Programm zappen. Hier durfte sich ProSieben am Donnerstag über 4,44 und am Sonntag über 3,78 Millionen Zuschauer freuen. Gemeinsam mit den durchaus ordentlichen Einschaltquoten liest sich das natürlich deutlich besser und lässt sich an Werbekunden einfacher vermarkten. Durch eine lange Sendezeit erhöht sich entsprechend auch die Chance mindestens einmal in Kontakt mit dem fast dreistündigen Format zu kommen. Dass das Publikum die Sendung vollständig verfolgt, scheint aber offensichtlich nicht gegeben zu sein – eher im Gegenteil.
3,81 Millionen Zuschauer – so die Nettoreichweite laut Sat.1 – schalteten am Mittwoch übrigens bei «Das große Backen» ein. Der Backwettbewerb wechselte vom Sonntagvorabend in die Primetime, weswegen ein Vergleich zu früheren Staffeln schwieriger fällt. Die durchschnittliche Reichweite fiel mit 1,30 Millionen etwas schwächer als in der Vorwoche aus, auch die Einschaltquote lag mit 8,6 Prozent in der klassischen Zielgruppe auf einem Tiefststand. Sollte sich die Back-Sendung auf diesem Niveau einpendeln, wäre der Versuch, das Format mit Moderatorin Enie van de Meiklokjes in die Primetime zu hieven, jedenfalls gescheitert. Am Sonntagvorabend performte «Das große Backen» stets besser.
Interessant ist auch ein Blick auf «Blamieren oder Kassieren», auch wenn es für ein Fazit nach nur einer RTL-Ausgabe natürlich deutlich zu früh ist. Der «TV total»-Ableger startete am Donnerstag in seiner neuen Heimat und ist als Programmfüller vor den Europapokalspielen vorgesehen. Anders als ProSieben hat RTL knackige rund 25-minütige Folgen produziert, bei der Unterföhringer TV-Station dauerte das Format mehr als doppelt so lange. Der Kölner Sender darf auf einen gelungenen Neustart blicken, denn es schalteten knapp zwei Millionen Menschen ein, in der Zielgruppe waren 12,1 Prozent möglich. «Blamiere oder Kassieren XL» bewegte sich stets um die Millionen-Marke, zum Ende hin sogar deutlich darunter. Auch die Marktanteile fielen im Laufe der Staffel von anfangs 12,7 auf miserable 4,4 Prozent, die aber auch gegen das Halbfinale zwischen Deutschland und Frankreich bei der Frauen-Europameisterschaft 2022 gemessen wurden. Es bleibt abzuwarten, wie sich die Quoten bei RTL entwickeln werden.
Deutlich klarer fällt das Bild bereits bei einem anderen ProSieben-Neustart in diesem Spätsommer aus: «Wir gegen die! Die Kebekus Geschwister Show». Diese startete zwar mit tollen 12,7 Prozent, doch selbst die Sendezeit bis nach 23:00 Uhr konnte nicht dafür sorgen, dass die Quoten hoch blieben. Vielmehr stürzten sie auf 9,4 und 7,9 Prozent ab. Die Reichweite war von Anfang an eher überschaubar, lag sie bei der Premiere bei 1,03 Millionen. Die beiden weiteren Ausgaben der Spielshow sorgten für 0,67 und 0,60 Millionen Seher – für ProSieben offenbar so wenig, dass man noch nicht mal eine Nettoreichweite kommunizierte.
Bei RTL ist derweil «Das Sommerhaus der Stars» und die mit Spannung erwartete BBC-Adaption «Die Verräter» angelaufen. Vor allem das «Sommerhaus» legte mit 14,2 Prozent Marktanteil einen guten Start hin. Mit Blick auf die Gesamtreichweite muss man aber festhalten, dass man erneut an Boden verlor. Letztmals knackte man die Zwei-Millionen-Marke im Oktober 2021, im Jahr davor übersprang die Reality-Show in schöner Regelmäßigkeit diese Hürde. Es mag sein, dass sich in den vergangenen Jahren die lineare TV-Nutzung rapide geändert hat, was zum Verfall der Reichweiten – nicht nur bei RTL – geführt hat. Ein weiterer Grund ist aber auch, dass RTL inzwischen um 22:15 Uhr «RTL Direkt» sendet und so «Das Sommerhaus der Stars» in den späten Abend gestreckt wird. Endeten die Folgen im ersten Corona-Jahr noch gegen 23:00 Uhr, lief die neueste Folge bis 23:29 Uhr – für manch arbeitstüchtigen Fernsehzuschauer womöglich zu spät, um die Sendung zu beenden.
Deutlich kürzer fiel die Sendezeit der ersten «Die Verräter»-Folge aus, die am Mittwoch zwischen 20:15 und 22:30 Uhr zu sehen war. Die Reichweite fiel mit 1,93 Millionen Zuschauer ab drei Jahren deutlich höher aus als am Tag zuvor. «Das Sommerhaus» musste sich mit 1,60 Millionen begnügen. Nun hängt die Reichweite natürlich von mehr Faktoren als der Sendezeit ab, beispielsweise könnte sie in diesem Fall auch an der Neugierde für das vielbesprochene Format liegen. Auf der anderen Seite der Medaille steht für «Die Verräter» aber nur eine Zielgruppenquote von 10,8 Prozent zu Buche. Angesichts einer nahezu identischen Reichweite bei den 14- bis 49-Jährigen («Sommerhaus»: 0,58 Mio. / «Die Verräter»: 0,57 Mio.) lässt sich bei der Sendelänge von einem Reichweitenkiller und einem Quotenheilsbringer sprechen.
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