Interview

„Wenn sich keiner traut es zu erzählen, wir tun‘s!“

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«Berlin – Tag & Nacht» wurde vor einigen Tagen 12 Jahre alt. Eine lange Zeit, in der die Daily Soap von RTLZWEI sich immer wieder verändert und dem Zeitgeist angepasst hat. Darüber sprachen wir mit Marion Leygnac-Lübbertsmeier, Executive Producer Redaktion Entertainment & Soaps RTLZWEI, und Miriam Ulrich, Executive Producerin filmpool entertainment.

Vor zwölf Jahren startete RTLZWEI die tägliche Serie «Berlin – Tag & Nacht». Die ersten Einschaltquoten waren nicht gut, wie haben Sie in dieser Zeit schlafen können?
Miriam Ulrich: Zu dieser Zeit war ich noch nicht für «Berlin - Tag & Nacht» verantwortlich, aber ich kann mir vorstellen, dass die Nervosität groß war. Ein neues Format auf die Beine zu stellen und dann auch noch in dieser Größenordnung, bedeutet für alle Beteiligten die Investition von großer Leidenschaft, viel Kraft und Herzblut. Die Hoffnung auf Erfolg war sicherlich hoch. Wir können sehr dankbar sein, dass die damaligen RTLZWEI-Verantwortlichen gegen alle Widerstände mutig durchgehalten und an die gemeinsame Vision von «Berlin - Tag & Nacht» geglaubt haben. Am Ende war dies die richtige Strategie und der Anfang einer außergewöhnlichen Erfolgsstory.

Marion Leygnac-Lübbertsmeier: Auch ich war damals noch nicht bei RTLZWEI, erst beim Start von «Köln 50667» Anfang 2013. Es war insgesamt eine spannende und aufregende Zeit. «Berlin - Tag & Nacht» war eine revolutionäre Innovation in der TV-Landschaft, damals hat die ganze Branche gespannt auf uns geschaut. Dass wir in diesem Jahr den 12. Geburtstag von «BTN» mit über 3000 Folgen feiern dürfen, zeigt, dass Durchhaltevermögen und Vertrauen in eine Marke belohnt wird. Einfach großartig!

Welche Veränderungen haben die Serie am meisten beeinflusst?
Marion Leygnac-Lübbertsmeier:
Zu einer gesunden Entwicklung gehören Veränderungen – kleine und größere. Auch bei «BTN». Sei es auf optischer, aber auch auf redaktioneller Ebene. Vor allem welche Themen erzählt werden und wie spielt eine große Rolle in der Entwicklung von «BTN». Mit der Geschichte um Milla und Mike und die Totgeburt ihrer Tochter Hope sind wir inhaltlich wie spielerisch heute auf einer ganz anderen Ebene angekommen: die Beerdigung, das Teilen des Schmerzes mit dem Partner… Das haben die Darsteller fantastisch gespielt. Wir hinterfragen mehr, sind vielschichtiger geworden und damit relevanter als je zuvor. «BTN» entwickelt sich stets weiter, bleibt sich dabei aber treu.

Miriam Ulrich: Unser Ziel ist es, stets am Puls der Zeit zu sein. Das heißt modern, gesellschaftspolitisch relevant und die Veränderungen der Gesellschaft abbildend. Dies führt unweigerlich und stetig zu inhaltlichen Anpassungen. Wir versuchen diese moderat in die Sendung zu integrieren. Wir wollen den Zuschauer fordern aber nicht überfordern und ihn auf eine gemeinsame Reise mitnehmen. Sicherlich gibt es Veränderungen, und auf diese spielen Sie wahrscheinlich an, die einen offensichtlichen und für jeden bemerkbaren Einfluss auf die Sendung haben. Die nachhaltig prägendste Entwicklung haben wir in den letzten zwei, drei Jahren vollzogen. Inhaltlich gehen wir nun mehr in die Tiefe, erzählen intensiver und relevanter. Die Geschichten dürfen größer, kritischer und dichter sein. Dabei bleiben wir unserem Motto treu: „Wenn sich keiner traut es zu erzählen, wir tun‘s!“ Auch optisch haben wir uns in den letzten Jahren weiterentwickelt. Durch die Streamingdienste mit ihrem qualitativen fiktionalen Angebot verändern sich die Sehgewohnheiten der Zuschauer. Wir möchten natürlich weiterhin konkurrenzfähig bleiben und haben deshalb auf eine neue Kamera umgestellt und die Kameraführung angepasst. Auch dies tun wir moderat und drehen kontinuierlich an dieser Stellschraube.

Vor einigen Jahren haben Sie den Sendeplan angepasst und lassen «Berlin – Tag & Nacht» gegen die «Tagesschau». Bleiben Ihre Zuschauer zwischen 20.00 und 20.15 Uhr hängen?
Marion Leygnac-Lübbertsmeier: Die «tagesschau» ist keine Konkurrenz für uns (lacht). Wir halten unsere Zuschauer bis zum Ende der Folge.

Die Figuren-Entwicklung hat sich nach den ersten Jahren verlangsamt.
Miriam Ulrich:
Wir erzählen grundsätzlich schneller als andere Soaps. Der Zuschauer ist daran gewöhnt, dass die Drehzahl bei «Berlin - Tag & Nacht» höher ist und erwartet das auch. Nichtsdestotrotz fordert die verzweigte und sehr dichte Erzählweise ein langsameres Tempo, dem wir Rechnung tragen müssen. Sowohl die Figuren, als auch die Zuschauer danken es uns mit Treue und Beständigkeit.

Marion Leygnac-Lübbertsmeier: In Zeiten von Tiktok und Youtube Ahorts ist die Gefahr zu langsam zu erzählen groß. Sind längere Erzählbögen noch zeitgemäß? Reichen dem Zuschauer kleine Snippets? Das sind Fragen, die wir uns täglich stellen bzw. Entwicklungen, die wir täglich beobachten. Wir erzählen das echte Leben. Wir nehmen jeden Tag den Zuschauer mit auf eine spannende Reise voller Emotionen – Erfolgserlebnisse aber auch Pechsträhnen, in einer Mischung aus längeren und kürzeren Erzählbögen. Voice Overs sind ein sehr gutes Stilmittel, um effizient zu erzählen. Wir schauen ins Innere der Figuren und fühlen und erfahren das, was sie in einem bestimmten Moment nicht aussprechen mag oder kann. Das schafft Nähe und eine maximale Zuschauerbindung.

Wo wird heute «Berlin – Tag & Nacht» konsumiert? Wie viele Menschen schauen die Serie im linearen Fernsehen? Haben Sie Erfolge bei RTL+ und bei YouTube?
Marion Leygnac-Lübbertsmeier:
Wie allgemein im Bewegtbildmarkt sehen wir auch hier einen langfristigen Shift von linear zu den digitalen Kanälen, vor allem natürlich bei Formaten mit einer jungen Zielgruppe. Auch «BTN» ist da keine Ausnahme. Unsere beiden Soaps gehören zu den am meisten abgerufenen Inhalten bei RTL+. Über alle digitalen Kanäle hinweg kommen «BTN»-Inhalte jeden Monat auf fast 60 Millionen VideoViews.

Wie schlägt sich die Serie in den sozialen Netzen? Haben Sie auch Erfolge mit Instagram und TikTok?
Marion Leygnac-Lübbertsmeier:
Wir erzielen in den Social Media sehr hohe Reichweiten, auch noch bei Facebook übrigens, womit «BTN» ja damals groß geworden ist. Bei Instagram und TikTok hat das Format jeweils mehr als 700.000 Follower und auch Snapchat ist ein Kanal, den wir erfolgreich bespielen.

«Berlin – Tag & Nacht» war stets dafür bekannt, dass man die Probleme der Menschen bis 30 Jahren erzählte. Welche sind das heute?
Marion Leygnac-Lübbertsmeier:
Wir erzählen nicht nur Probleme (lacht) Wir erzählen das, was bewegt – positiv, wie negativ. Vor zwölf Jahren waren es andere Themen als heute, klar. Es macht uns aus, dass wir mit der Zeit gehen. Beispiele: Nicht nur bei RTLZWEI, sondern auch bei «BTN» hat Hass Hausverbot. Gekoppelt an unsere Schulwelt können wir „No Hate Speech Movement“, die Initiative gegen Hass und Hetze im Netz, großflächig bei «BTN» bespielen. Für das Thema Sex-Positivity, in dem es darum geht alle Formen der sexuellen Identität und Aktivität zu respektieren, steht der Charakter Franzi Neumann, und mit unserem Strang um die 17-Jährige Sina, die unter einer bipolaren Störung leidet, behandeln wir die Thematik Mental Health. Das hätte es vor zwölf Jahren in der Form nicht gegeben.

Miriam Ulrich: Wir haben das Glück, dass wir eine starke und langjährige Fangemeinde haben, die mit unseren Figuren erwachsen geworden ist. Das heißt, dass wir jetzt ganz organisch Geschichten jenseits der 30 erzählen. Dies spielt uns natürlich in die Karten, da das Fernsehpublikum im Schnitt älter wird. Dennoch dürfen wir die jungen Menschen des Instagram/TikTok/YouTube-Zeitalters nicht vergessen , die genau auf diesen Plattformen ihr Leben teilen und mitunter auch verbringen. Zwischen „gesetzt“ und „verrückt“ muss alles dabei sein. Ein Spagat, der uns ständig auf Trab hält. Grundsätzlich befassen wir uns als Soap mit zwischenmenschlichen Problemen und Freuden, die so alt sind, wie die Menschheit selbst. Alle Geschichten sind eigentlich schon einmal da gewesen. Die Kunst und Herausforderung besteht darin, Liebe, Lüge, Leidenschaft, Freundschaft, Zusammenhalt, Trennung u.v.m. in eine neue Form zu bringen. Neue Konstellationen zu finden, neue Ansätze zu wagen und anzureichern mit aktuellen gesellschaftlichen Wandlungen, wie z. B. zu zeigen, wie Diversität als Normalität gelebt wird, was besonders den jungen Zuschauern wichtig ist und womit wir einen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten können und wollen.

Klammern Sie gewisse Themen aus? Beispielsweise gehört keine Figur der „Letzten Generation“ an…
Marion Leygnac-Lübbertsmeier:
«BTN» macht aus, dass wir viele Themen bespielen, die Tabuthemen sind. Wir warten nicht ab, sondern sind am Puls der Zeit und scheuen uns nicht unangenehme oder polarisierende Themen aufzugreifen. Der Umweltschutz spielte bei «BTN» schon mehrfach eine große Rolle. Wir hatten eine tolle Aktion mit dem WWF, als die Street-Art-Künstlerin Hera von Herakut dem kultigen BTN-Hausboot einen neuen Look verpasst hat. Aber auch privat setzen sich unsere Stars unter dem Hashtag #umweltliebe ein.

Miriam Ulrich: Das einzige Thema, das wir bisher ausgeklammert haben, ist Corona. Ansonsten ist es uns wichtig alle notwendigen und oft auch unbequemen Themen in die Sendung einzubinden. Wir bieten mit unseren Geschichten einen bunten Blumenstrauß an gesellschaftsrelevanten Themen. Schon bevor sich „die letzte Generation“ auf die Straße geklebt hat, hat sich unsere Rolle Toni an den Baum gekettet. Umweltschutz, Tierschutz, Sexismus, steigende Lebenshaltungskosten, Generationenkonflikt, Sex-Positive-Bewegung, all diese Themen haben wir schon erzählt, als sie gerade erst anfingen in der Gesellschaft ein Thema zu werden.

Wieso haben Sie eigentlich Corona in «Berlin – Tag & Nacht» ausgeklammert? Inzwischen sind ja solche Erzählstränge Quotengift.
Marion Leygnac-Lübbertsmeier: Wir haben uns direkt zu Beginn von Corona gegen die Thematisierung der Pandemie entschieden. Man kann uns das vorwerfen, wenn man möchte. Aber ich sehe bis heute so gut wie nie unterhaltende Serien oder Spielfilme, die Corona zum Thema machen oder in denen Masken getragen werden.

Miriam Ulrich: Die Menschen konsumierten den ganzen Tag über nur Horrornachrichten. Über die Medien oder in ihrem eigenen Umfeld haben sie den Schrecken selbst erlebt. Ich war und bin der Überzeugung, dass sich der Zuschauer nach einem anstrengenden Tag von seinen Problemen erholen soll. Wir haben ihm also die Möglichkeit gegeben, sich 48 Minuten am Tag in eine Welt ohne Corona zu begeben. An dieser Stelle gilt natürlich der größte Dank unserem wundervollen Team vor und hinter der Kamera, das es unter größter Anstrengung und Doppelbelastung geschafft hat, die Serie mit sehr wenigen Abstrichen weiter zu produzieren – so, als hätte fast kein Corona existiert. Gegen alle Widerstände hat das gesamte Team eine wahre Meisterleistung vollbracht, besonders unter der Prämisse, dass «Berlin - Tag & Nacht» von Party, Freizügigkeit und direkten menschlichen Begegnungen aller Art lebt. Alles Dinge, die eigentlich unter Corona nicht möglich waren.

Die Kollegen von RTL lassen von der UFA gerne kleine Miniserien produzieren. Wäre das auch etwas für Sie?
Marion Leygnac-Lübbertsmeier: Das wäre ja das exakte Gegenteil einer Daily Soap, die über viele Jahre läuft. Interessante Idee, aber für uns derzeit kein Thema.

«Köln 50667» wurde inhaltlich komplett überarbeitet. Diesen Weg wollen Sie aber nicht irgendwann gehen?
Marion Leygnac-Lübbertsmeier: Wir passen das Format kontinuierlich an. Ein größerer Relaunch ist absehbar nicht geplant und gemessen an der Quotenentwicklung derzeit auch nicht notwendig.

Wie zufrieden sind Sie eigentlich mit der Wahrnehmung im Feuilleton? Müssen die RTLZWEI-Soaps dort wieder eine größere Rolle spielen?
Marion Leygnac-Lübbertsmeier:
Haben wir dort je eine Rolle gespielt? Wollen wir das überhaupt? Wichtig ist, dass wir eine Rolle im Leben unserer Zuschauerinnen und Zuschauer spielen. Das ist weiterhin der Fall und das macht uns auch zu einem interessanten Kooperationspartner für Institutionen oder Initiativen, die unsere Zielgruppen erreichen wollen, zum Beispiel die Bundeszentrale für politische Bildung oder, im Falle von «Köln 50667», die Deutsche Krebshilfe. Unsere Form des Erzählens ist immer noch beliebt. Über die Jahre sind die Figuren Freunde geworden, Vorbilder, sie gehören zum Leben dazu. Man ist mit Joe, Milla und Krätze groß geworden.

Was ist in den nächsten zwölf Monaten bei «Berlin – Tag & Nacht» geplant? Haben Sie schon fixe Ideen?
Miriam Ulrich:
Ja, wir haben einen Plan, wohin die Reise gehen soll. Wir stellen die Serie für die Zukunft auf. Einige Figuren werden uns verlassen, neue werden hinzukommen.

Marion Leygnac-Lübbertsmeier: Starke, fesselnde und innovative Geschichten – also absolut BTN-like. Mehr verrate ich auch nicht. Einfach einschalten und dranbleiben.

Vielen Dank für Ihre Zeit!

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