Die Kritiker

«The Protégé»: Jane Wick schlägt zu

von

Annas Ziehvater wird ermordet. Das verwundert nicht. Er hatte Feinde, denn er war ein Profikiller. So hat er auch Anna zu seiner Spezialistin des Tötens ausgebildet. Und Anna nimmt den Tod ihres Ziehvaters sehr persönlich.

The Protégé

GB/USA 2021
Ot: The Protégé
Deutscher HE-Titel: The Protégé – Made for Revenge
REGIE: Martin Campbell
BESETZUNG: Maggie Q, Michael Keaton, Sam Jackson, Robert Patrick, Patrick Malahide Ori Pfeffer, Tanja Keller, Ray Fearon
DREHBUCH: Richard Wenk
PRODUKTION: Moshe Diamant, Arthur Sarkassian, Robert van Norden, Chris Milburn
KAMERA: David Tattersall
SCHNITT: Angela M. Catanzaro
MUSIK: Rupert Parks
In Deutschland ist «The Protégé» im Oktober 2021 als DVD- und BD-Premiere auf dem Heimkinomarkt erschienen. Damit ist er ein gutes Beispiel für die Veränderungen, die der Kinomarkt in den letzten rund zehn Jahren erlebt hat. In den Nullerjahren hätte gar nicht erst die Frage im Raum gestanden, ob «The Protégé» im Kino angelaufen wäre oder nicht. Natürlich wäre er dort gelandet. «The Protégé» ist kein B-Film. Hinter der Kamera hat Martin Campbell gestanden, bekannt als Regisseur zweier Bond-Filme («GoldenEye», «Casino Royale»). Die Kamera selbst bediente David Tattersall (Kameramann von George Lucas' «Episode I – III»); und auch die Besetzung mit Maggi Q, Samuel L. Jackson, Michael Keaton ist nicht schlecht. Vielleicht fehlt der ganz große Aufmerksamkeitserreger, bei den Dreien aber weiß man, was man bekommt. Wäre solch ein Film, sagen wir, 2002 auf DVD als Premiere erschienen, hätte man in der Regel davon ausgehen können, ups, da ist wohl etwas daneben gegangen, weshalb auf die teure Kinoauswertung verzichtet wurde. Heute aber sagt ein Nicht-Kinostart gar nichts mehr über die Qualität eines Filmes wie diesem aus. Und zwar wirklich nichts!

«The Protégé» ist vielmehr eine typisch britische Mid-Budget-Produktion für den internationalen Streaming- und HE-Markt (Kinostarts nicht ausgeschlossen). Die Budgets dieser Art von Filmen ist nichtschlecht, meist bewegen sie sich zwischen 20 und 40 Mio Dollar. Es sind also alles andere als typische B-Filme. Und ganz ehrlich, als Außenstehender blickt man oft durch die Finanzierung nicht wirklich durch. Da sind Beteiligungsgesellschaften involviert, die eher an kurzfristigen Steuerabschreibungen als an langfristigen Gewinnen interessiert sind, dann sind da die Rechteeinkäufer, die diese Filme langfristig auf ihren Heimatmärkten (Streaming, lineares TV, HE-Markt) ausschlachten, und so weiter. Der Unterschied zum klassischen B-Film besteht in der Qualität. Man arbeitet mit Kino-Namen vor und hinter der Kamera. Das generiert Interesse, das garantiert die guten Plätze im Streamingregal, dafür gibt es wiederum mehr Geld von den Rechtenehmern.

Dass das Publikum inzwischen auch von kleineren Filmen A-Schauwerte erwartet, was natürlich wieder Kosten in die Höhe schnellen lässt, die ja auch irgendwie erst einmal wieder refinanziert werden müssen … das ist eine andere Geschichte, die an anderer Stelle diskutiert werden soll.

Das Vereinigte Königreich ist inzwischen so etwas wie führend für diese Art von Produktionen. 2015 etwa warb der Actionthriller «Survivor» mit Milla Jovovich in der Rolle einer fälschlich eines schweren Verbrechens beschuldigten Regierungsmitarbeiterin und Pierce Brosnan in der Rolle eines Killers um Aufmerksamkeit. «Unlocked» bot mit Michael Apted einen Top-Regisseur und brachte vor der Kamera Noomi Rapace, Orlando Bloom, Michael Douglas, John Malkovich und Toni Colette zusammen. Hinter «The Protégé» steht mit Millennium Media ein Veteran dieser Art von Filmen. Als Nu Image begann man in den frühen 90ern Mockbuster zu drehen; die Macher hinter dem Namen hatten ihr Handwerk bei den Königen des Videothekenfilmes der 80er erlernt, der Cannon Film Group. Die Filme von Nu Image waren in ihrem Sektor erfolgreich, es haftete ihnen aber der Geruch des B-Filmes an. Cannon Film ging unter, als man in der A-Liga mitspielen wollte und mit Filmen wie «Masters of the Universe» und «Superman IV» Schiffsbruch erlitt und in die Pleite schlitterte. Um den Geruch des B-Films abzuschütteln, entstand somit aus Nu Image heraus 2001 Millennium Films und mit Millennium Films das Konzept, mit höheren Budgets so etwas wie das Mittelfeld des Entertainment-Betriebes zu bespielen. Ein Actionfilm wie «16 Blocks» etwa konnte Bruce Willis als Hauptdarsteller führen (2005 war das noch ein guter Name), das Geld wurde durch eine international breit aufgestellte Finanzierung wieder reingeholt. Ein Geniestreich in der Geschichte von Millennium Films dürfte die Wiederauferstehung von «Rambo» gewesen sein. Nachdem Stallone seine brach liegende Karriere mit «Rocky Balboa» sensationell reanimiert hatte, finanzierte Millennium Films auch die Rückkehr seiner zweiten Kult-Figur auf die Leinwand mit einem übersichtlichen Budget – und spülte inhaltlich nichts weich. Nein, ein erwachsener Actionfilm für ein erwachsenes Publikum.

Millennium Films beziehungsweise Media ist eines der letzten Studios, das tatsächlich noch das „Mittelfeld“ des Kinos bespielt. «Massive Talent» brachte Nicolas Cage zurück zum A-Film, «Killer's Bodyguard» entwickelte sich zu einem Sensationserfolg, mit der «Has Fallen»-Reihe (angefangen mit [Olympus Has Fallen]]) hat Millennium sogar eine ganz eigene, erfolgreiche Kinoreihe etabliert (die «Expendables»-Reihe basiert auf den feuchten Träumen von Jungs, die in den 80ern in die Videotheken stürmen und als alte Männer die Heroen ihrer Jugend noch einmal zusammen auf der Leinwand sehen wollten, sie stellt einen Sonderfall dar).

«The Protégé» ist nun ein Film, an dem sich einige der Produktionsmechanismen schön erkennen lassen, mit denen Produktionsfirmen wie Millennium das Mittelfeld heute bespielen. Da wird also mit Samuel L. Jackson geworben. Okay. Nur spielt der den Ziehvater, der, die Inhaltsangabe spoilert es, erschossen wird. Wenn er also der Grund dafür ist, dass Ziehtochter Anna loszieht, um Rache zu nehmen – wird er wohl nicht am Ende Filmes den Weg allen Daseins gehen. Sprich: Der Film beginnt mit Sam Jackson; er darf danach auch eine sehr schöne, emotionale Szene mit Maggi Q abliefern. Außerdem gibt es noch eine Rückblicksequenz zu einem späteren Zeitpunkt. Dann ist er aber auch schon hinfort. Ein Vollprofi wie Sam Jackson braucht für solche Szenen, wenn sie gut vorbereitet sind, drei Tage. Michael Keaton derweil hat zwar deutlich mehr Szenen, doch seine größere Rolle setzt erst ein, nachdem schon rund die Hälfte der Spielzeit vorbei ist. Ja, Keaton war länger in die Produktion involviert, aber so viel länger nun auch nicht. Lediglich Maggie Q musste demnach für die gesamte Drehzeit bezahlt werden. Und die macht ihren Job anständig als eine Art Jane Wick, die sich durch die wenig innovative, aber kurzweilige Handlung ballert, prügelt, tritt. Tatsächlich nämlich gibt es über die Handlung wenig zu berichten. Anna wurde als Kind Zeugin eines ziemlich daneben gegangenen Coups in Hanoi, bei dem alle Beteiligten umgebracht worden sind. Außer Moody (Sam Jackson), der bei dem Massaker nicht vor Ort war. Der entdeckt das Mädchen, das sich in einem Schrank versteckt hat. Statt das Kind seinem Schicksal zu überlassen, nimmt er es mit nach London und bildet Anna zu einer Killerin aus. Zusammen bilden sie ein Team, dessen Spezialität darin besteht, Leute aufzuspüren, die nicht aufgespürt werden wollen. Wie einen russischen Mafiaboss in London, der bald ein ziemlich toter Mafiaboss ist. Jenseits ihres Killerdaseins lebt Anna das Tarnleben einer Buchhändlerin, die sich auf hochwertige, antiquarische Erstausgaben spezialisiert hat. Niemand ahnt, dass sich hinter der Fassade der Literaturfreundin eine eiskalte Mörderin verbirgt, die bald selbst ins Visier von Killern gerät, die ihren Ziehvater ermorden und denen sie nur durch Zufall entkommt. Anna vermutet, dass der Anschlag mit eben dem Coup zusammenhängt, der sie 1991 in Hanoi mit Moody zusammenführte. So trifft sie Michael Rembrandt (Keaton), ebenfalls einen Profikiller, der für die Auftraggeber des Anschlages auf Moody arbeitet, der jedoch ganz offenbar ein persönliches Interesse an Anna hegt – und zwar explizit an der gebildeten Buchhändlerin.

Um es klar zu sagen: Ohne Michael Keaton wäre «The Protégé» ein gänzlich normaler 08/15-Actionfilm, der brav die Rachetour der Hauptfigur bis zum explosiven Finale abarbeitet. Die Figur des Michael Rembrandt aber ist von sich aus schon nicht uninteressant. Ein Killer mit Manieren, gebildet, durchaus zum Romantischen fähig: Keaton bringt einen überraschenden Charme in die doch ansonsten recht vorhersehbare Story ein, den man so nicht unbedingt erwartet.

Gedreht wurde übrigens nicht eine einzige Szene des Filmes in London. In einen Filmstudio in Sofia steht vielmehr ein Straßenzug, der inzwischen x-fach als London herhalten musste. Auch das ist natürlich ein Kostenfaktor, mit dem man Geld spart. Martin Campbell, der dieses Jahr 80 Jahre alt wird, zeigt als Regisseur einmal mehr, dass er Action geradlinig inszenieren kann. «The Protégé» bietet Actionfilmfreunden, die es bodenständig mögen, einen unterhaltsamen Abend. Verglichen mit seinem Comeback-Film ist «The Protégé» allerdings bestenfalls ein netter Zwischendurch-Happen. Zur Erinnerung. 2011 zerfetzte «Green Lantern» Campbells Karriere. Der Bond-Macher, der als junge Filmemacher erste Meriten als Regisseur diverser Episoden der Kult-Serie «Die Profis» sammelte, lieferte mit «Green Lantern» einen solch epischen Kinoflop ab, dass seine Karriere danach beendet schien. 2017 kehrte er allerdings mit «The Foreigner» ins Filmgeschäft zurück. Auch «The Foreigner» ist ein Film, der in diesen Text passt. X Produktions- und Beteiligungsgesellschaften haben die Gelder zusammengetragen; auch in diesem Fall handelt es sich um eine britische Produktion, die mit Jackie Chan und Pierce Brosnan über zwei A-Namen verfügt. «The Foreigner» wurde gleichfalls zu großen Teilen in Bulgarien gedreht und mögen Brosnan und Chan tatsächlich die Hauptrollen spielen, haben sie doch nur zwei Szenen zusammen, sodass die Produktionsplaner bei diesem Film eigentlich eine Nennung im Vorspann verdient hätten, haben sie die Termine der Stars doch so getaktet, dass der Film mit zwei großen Namen werben kann, die aber recht komprimiert, ihre Rollen in einem übersichtlichen Zeitplan absolviert haben. Der Unterschied zu «The Protégé» ist – Jackie Chan. Jackie Chan ist in «The Foreigner» in der Rolle eines in London lebenden Einwanderers zu sehen, dessen einzige Tochter bei einem Anschlag einer irischen Terrororganisation, die den Frieden in Nordirland ablehnt, ums Leben kommt. Als guter Bürger glaubt er anfangs an das Gesetz. Wenn er jedoch erkennt, dass die Ermittlungen der Polizei (offenbar politisch gewollt) ins Leere laufen, beginnt er, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen. Um es kurz zu machen: Es gibt keinen anderen Film, in dem Jackie Chan so unfassbar abgefuckt wirkt wie in «The Foreigner». Er wirkt alt, jede Falte in seinem Gesicht scheint eine traurige Geschichte zu erzählen. Er ist auch kein Superheld. Er mag einen Mann mit Vergangenheit darstellen, aber wenn er sich prügelt, wenn er schießt, wenn er blutet, dann spürt man die Verzweiflung, die diesen Mann antreibt. Und dann ist da Brosnan, der einen ehemaligen Terroristen darstellt, der als Politiker Karriere gemacht hat – und der auf den ersten Blick gelackt wirkt, wie ein Karrierist, der eine Chance gesehen hat. Wie sich diese Figur aber entwickelt, wie sie wirklich tickt, das ist faszinierend und absolut unvorhersehbar. «The Foreigner» ist zwar auch „nur“ ein Mittelfeld-Actionfilm, er wird jedoch von zwei Hauptfiguren getragen, die mitreißen und deren Klasse weit über das Erwartbare hinausgeht. Im Vergleich dazu ist «The Protégé» dann eben doch „nur“ Unterhaltung.

Am Montag, 23. Oktober 2023, 22.15 Uhr im ZDF

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