Hallo Frau Brauner! Sie haben den Dokumentarfilm «Mord. Macht. Medien. Der Fall Jens Söring» produziert. Worum geht es in dieser True-Crime-Story?
Ich habe die dreiteilige Doku-Serie gemeinsam mit der argonfilm produziert im Auftrag NDR und dem SWR. Es geht um den äußerst brutalen Mord an dem Ehepaar Derek und Nancy Haysom im Jahr 1986 in Lynchburg, Virginia. Sie waren die Eltern der damaligen Freundin des Deutschen Jens Söring, der in Virginia studiert hat und, dessen Vater damals im diplomatischen Dienst tätig war. Wir haben dazu bereits einen Podcast, «Das System Söring», gemacht, der bislang über 1,5 Millionen Mal abgerufen wurde. Eine True Crime- Serie war im Prinzip die logische Folge, und ich bin dem NDR und dem SWR sehr dankbar dafür, dass sie sich des Themas gemeinsam mit der argonfilm und uns angenommen haben.
Die gemeinsame Entwicklung und Arbeit an dem Stoff für die ARD-Crime-Time war ausgesprochen konstruktiv und effektiv. Hier gilt es neben Katarina Rahn von der argon, vor allem auch das Autor:innen/Regie-Team des NDR lobend hervorzuheben: Willem Konrad, Benjamin Wozny und Elena Kuch.
Mir wurde mitgeteilt, dass Sie zunächst die Rechte für eine fiktionale Umsetzung beschaffen wollten. Warum wurde Ihnen dies verwehrt?
Die Antwort auf diese Frage wüsste ich auch gern. Vielleicht hat man jemanden gesucht, der für die Rechte mehr bezahlen kann bzw. wollte. Sie sind ja vergeben worden. Nachdem ich aber bereits so viel Zeit und Recherche in diesen Fall investiert habe, wollte ich die Ergebnisse auch veröffentlicht wissen. Und da die CCC nicht unbedingt ihre Expertise im Dokumentarfilmbereich hat, bin ich zur AVE (heute argonfilm), respektive zum damaligen Geschäftsführer Walid Nakschbandi, gegangen, mit dem ich schon einige Projekte in den verschiedensten Funktionen zusammen gemacht habe: Z. B. meine n-tv-Sendung «Seite 17», «Jüdisch in Europa», «Die ALDI-Brüder», «CRESCENDO #makemusicnotwar». Und so kam es dann zuerst zum Podcast (der argon-verlag gehört wie die AVE zu Holtzbrinck) und dann zu der NDR/SWR-Serie, also den drei Teilen, die ab 31. Oktober in der ARD Mediathek zu sehen sein werden und dem knappen 100-Minüter im linearen Fernsehen am 1. November. Das gesamte Team hat sehr aufwendig recherchiert. Wir haben mit Polizeiermittlern der ersten Stunde aus den USA und Großbritannien, mit ehemaligen Vertrauten von Jens Söring, mit Forensikern, Staatsanwälten, Journalist:innen, Politikern gesprochen. Wir haben die Gerichtsakten akribisch studiert, psychiatrische Gutachten und andere Originaldokumente wie Briefwechsel und Tagebucheintragungen eingesehen.
Sie haben sich letztendlich für eine Dokumentation entschieden. Ist True-Crime ohnehin spannender als Krimis?
Aus meiner Sicht auf jeden Fall. Ich bin ein obsessiver «Medical Detectives»-Fan.
Zahlreiche Opfer der Justiz haben sich schon oft medial inszeniert – nun auch Jens Söring. Versucht man mit dem persönlichen Schicksal Geld zu verdienen oder möchte man sich nur Gehör verschaffen?
Im Falle von Jens Söring geht es um zwei Dinge: Zum einen möchte er Geld damit verdienen. Und er möchte, dass die Welt an seine Unschuld glaubt. Aber das Urteil und die Haftdauer wurden von amerikanischen Gerichten x-mal überprüft und die kamen immer zum Schluss: Er war es. Und auch nach all meinen Recherchen komme ich zum Schluss, dass Sörings Unschuldsnarrativ voller Fehler ist. Unser Podcast und die ARD-Crime-Time-Serie zeigen eindrucksvoll, wie Söring und sein Freundeskreis wirkungsvoll Medien und Politik gesteuert haben, um sein Narrativ in die Welt zu bringen. Ihm ist die Absolution der Medien und der Öffentlichkeit extrem wichtig - nicht zuletzt, weil das auch die Basis für seinen Lebensunterhalt ist.
Gibt es Gründe, dass man an der Unschuld von Jens Söring Zweifeln könnte?
Dafür gibt es jede Menge Gründe. Hören Sie sich unseren Podcast «Das System Söring» an oder noch besser: Schauen Sie unsere Doku und bilden Sie sich selbst ein Urteil.
Nach 33 Jahren kommt Jens Söring aus der Haft frei: Wie verändert das einen Menschen?
Das kann ich nicht beurteilen. Söring war erst bereit, unserem Autor:innen-Team ein Interview zu geben, nachdem seine vertragliche Exklusivität am 31.12.2023 ausläuft. Das hat er uns schriftlich mitgeteilt.
Ob dies im Zusammenhang mit der Netflix-Dokuserie über ihn steht, die einen Tag nach unserer ARD-Mediathekenveröffentlichung on air ist, nämlich am 1. November, vermag ich auch nicht zu beurteilen.
Welche Rolle spielen die Medien bei diesem True-Crime-Fall?
Die Medien spielen hier eine ganz große Rolle und deshalb widmen wir uns ihnen auch sehr akribisch in Bezug auf die Rezeption des Falles. Viele sind recht unkritisch mit Jens Söring, immerhin einem rechtskräftig verurteilten Doppelmörder, umgegangen und haben ihn sein Unschulds- und sein Justizopfernarrativ einfach ohne kritisches Hinterfragen erzählen lassen. Dazu muss man fairerweise aber auch sagen, dass sich die Geschichte nach der Tat durch die vielen Geständnisse und Widerrufe, die fehlenden eindeutigen Beweise, aber die zahlreichen Indizien und durch die vielen Personen, die sich im Nachhinein in den Fall haben involvieren lassen, als sehr komplex darstellt. Mit dem einmaligen Lesen irgendeines schnell zusammengestellten Dossiers ist es nicht getan. Man braucht wirklich sehr lange, um sich in den Fall und die zahlreichen Akten einzuarbeiten, um ihn in seiner ganzen Komplexität zu verstehen und die vielen Details richtig einzuordnen.
Sie haben zahlreiche exklusive Interviewpartner getroffen und unveröffentlichte Akten eingesehen. Warum haben sich die Menschen Ihnen geöffnet?
Ich persönlich habe sehr lange gebraucht, um an die Menschen heranzukommen, die uns ihr Vertrauen geschenkt haben. Sörings Narrativ ist sehr mächtig - und der Dokumentarfilm «Das
Versprechen» hat einen großen Anteil daran, wie Leute in Deutschland auf den Fall blicken. Ich konnte meinen Gesprächpartner*innen klar machen, dass ich für den Podcast so objektiv wie möglich an den Fall herangehen und keinesfalls ohne die notwendige journalistische Recherche Sörings Unschuldsnarrativ stützen werde. Außerdem haben sie nach und nach gemerkt, wie tief sich meine Kolleg:innen und ich in den Fall eingearbeitet haben. Das Gefühl hatten sie bei vielen anderen Filmemacher:innen und Podcaster:innen wohl nicht.
True-Crime wird immer beliebter in Deutschland. Haben wir einen Wunsch Kriminalfälle mit echten Schicksalen zu kreuzen?
Offensichtlich ist man immer mit mehr Interesse und mehr Emotionen bei der Sache, wenn man weiß, dass diese Verbrechen auch tatsächlich in der Realität so abgespielt haben. Aber in Deutschland funktionieren ja auch fiktionale Krimiformate nach wie vor sensationell. Es gibt hier also offensichtlich eine große Lust an Thrill und Suspense.
«Mord. Macht. Medien. Der Fall Jens Söring» läuft auch im NDR Fernsehen, aber eben vor allem in der ARD Mediathek. Welcher Ausspielweg ist inzwischen wichtiger?
Mir persönlich ist die Ausspielung in der Mediathek viel wichtiger, weil ich selbst eine leidenschaftliche Mediatheken- und Streaminguserin bin.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
«Mord. Macht. Medien. Der Fall Jens Söring» ist ab 31. Oktober 2023 in der ARD Mediathek zu sehen. Am 1. November läuft der Film um 22.45 Uhr im NDR Fernsehen. Der Podcast ist bei allen Portalen abrufbar.
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