Debatte

Werbeverbot von Süßigkeiten: Saure Gurke?

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Der Verband Privater Medien schlug schon wieder Alarm. Man könnte meinen, dass ohne Süßigkeiten-Werbung dem Privatfernsehen das Aus drohe.

Schon im Koalitionsvertrag zwischen der SPD, Bündnis 90/Die Grünen und der FDP wurde eine Einschränkung ungesunder Lebensmittel beschlossen. Der Grünen-Politiker Cem Özdemir arbeitet die Agenda ab, die Bundeskanzler Olaf Scholz und seine Partner im Dezember 2021 festlegte. Im Februar dieses Jahres folgte der erste Vorstoß, der Werbung für Produkte mit zu viel Zucker, Fett und Salz täglich von 6 bis 23 Uhr verbieten sollte. In weiteren Änderungen sollte dies nur von 17 bis 22 Uhr an Werktagen beschlossen werden. Da Politik ein laufender Prozess ist, sind mit weiteren Lockerungen zu rechnen.

In Deutschland ist bereits fast jedes fünfte Kind übergewichtig, zahlreiche Familien konsumieren Fertiggerichte oder Fast-Food-Alternativen. Diese Unternehmen spülen ordentliche Umsätze ein. Nicht nur im Fernsehen, selbst Influencer, Litfaßsäulen-Betreiber und Internetkonzerne verdienen mit ungesunden Lebensmitteln. Es ist offensichtlich, dass ein Supermarktbetreiber wie Rewe nicht unbedingt eine grüne Paprika als Snack für den abendlichen Spielfilmgenuss bewirbt.

Im Vorfeld der Medientage München schlug der Verband Privater Medien (VAUNET) einmal mehr Alarm. „Die Vielfalt privatwirtschaftlicher Medien ist keine Selbstverständlichkeit, sondern maßgeblich abhängig von den Refinanzierungsmöglichkeiten. Unsere Branche verträgt keine zusätzlichen Belastungen mehr, wie sie aktuell mit bundespolitischen Initiativen zu Werbeverboten für Lebensmittel oder Investitionsverpflichtungen in der Filmförderung vorbereitet werden“, sagte Vorstandsvorsitzender Claus Grewenig, der zugleich auch für RTL Deutschland arbeitet. Doch diese Argumente sind fadenscheinig und lassen an eine dunkle Zeit zurückblicken: Seit den 70er Jahren ist in Deutschland die Zigarettenwerbung im Fernsehen verboten. Nach Argumentation der Werbeindustrie, dass also Chips und Co. gar nicht so schädlich seien, könnte man auch wieder die Kippen-Spots einführen. Schließlich mache die Dosis das Gift. Überspitzt formuliert: Von nur einer Zigarette wird man keinen Lungenkrebs bekommen.

Schließlich ist Werbung eine treibende Kraft: In den 90er Jahren unternahm der Konzern Coca-Cola einen Feldversuch und stoppte seine milliardenschweren Werbe-Investitionen. Schließlich kenne jeder den Limonadenhersteller und das Hauptprodukt kaufen zahlreiche Kunden. Dennoch brachen die Absatzzahlen von Coca-Cola ein, weshalb die Industrie gelernt hat: Werbung muss immer und kontinuierlich laufen. Seither ist Coca-Cola nicht nur immer wieder in Werbespots vertreten und sponsert der US-Konzern unter anderem zahlreiche Fußball-Turniere, um präsent zu sein. Ein weiterer Punkt ist auch, um den Mitbewerber Pepsi diese Aufmerksamkeit nicht zu ermöglichen.

Während die Medien beklagen, die Regierung könnte sie in den finanziellen Ruin treiben, sind diese Unternehmen in einer beklemmenden Situation. In zahlreichen Ländern wandern die Fernsehzuschauer zu Streamingdiensten ab und sind bereit eine monatliche Summe für den Genuss von Unterhaltung ohne andauernde Werbepausen zu bezahlen. Es ist nicht nur so, dass sämtliche Fernsehsender das Maximum der gesetzlich erlaubten zwölf Minuten Werbezeit pro Stunde herausholen, selbst in den TV-Shows wird man mit Product-Placement penetriert. Der Lebensmittelkonzern ALDI sponsert ein Team bei der «WOK WM», innerhalb von «Promi Big Brother» können die Kandidaten Lebensmittel in einem Penny-Supermarkt erwerben und seit Jahren bekommen Stars im Dschungelcamp einen Pick-up-Snack von Bahlsen als Belohnung.

Diese ausufernden Werbungen der Fernsehsender führt dazu, dass vor allem die Privatfernsehsender vor 17:00 Uhr inzwischen mickrige Zuschauerzahlen vorweisen. Die Marktanteile von ProSieben sind in den vergangenen Monaten so sehr gesunken, dass sich die hippste TV-Station unter den privaten Programmen im August hinter dem Sender RTL up einreihen musste. Gewiss dieser RTL-Sender strahlt nur Wiederholungen aus und tagsüber laufen dort alte Gerichtsshows, die bereits 20 Jahre auf den Buckel haben.

Im linearen Fernsehen gab es schon seit Jahren keine Feldversuche, die Werbezeiten zu senken. Weder arbeitet man an Ideen, dass man die Zahl der Unterbrechungen erhöht und die Werbepausen verkürzt, sodass die Fernsehzuschauer nicht umschalten, noch haben RTL Deutschland und ProSiebenSat.1 ein Interesse, die maximalen zwölf Minuten nicht auszukosten, um so das Angebot attraktiver zu machen und somit die Reichweiten und infolgedessen auch die Werbepreise zu erhöhen.

Die Mitarbeiter von Netflix haben sich vor vielen Jahren entschieden, dass der Streamingdienst ein eigenes Kinderprogramm produziert. Der Grund ist simpel: Warum sollen die Kinder mit zahlreichen Werbespots für ungesunde Lebensmittel, teuren Spielproduktionen wie Lego oder gar Kino-Werbung beschallt werden? Es entstand ein breites Angebot, das in Deutschland ebenfalls viele Kinder erfreut. Die privaten Fernsehsender haben sich ohnehin schon seit Jahren vom Kinderfernsehen verabschiedet, lediglich Nickelodeon und Super RTL würden unter einem Werbeverbot von ungesunden Lebensmitteln leiden. Vielleicht lässt sich Cem Özdemir auch auf einen kleinen Kuhhandel ein: Die Werbeagenturen könnten aufzeigen, dass sich ohnehin kaum ein Kind zum ProSieben-Boulevardmagazin «taff.» oder zu «RTL Explosiv» verirrt.

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