Serientäter

«Alles Licht, das wir nicht sehen» Kritik – Klischeehaftes Hollywoodmärchen

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Für den Roman «Alles Licht, das wir nicht sehen» gewann Anthony Doerr 2015 den renommierten Pulitzer-Preis, doch wie so häufig kann die Verfilmung nicht ansatzweise den Zauber des Buches einfangen.

Roman und Serie erzählen von der schicksalhaften Verbindung zweier sich völlig fremder Menschen, eines blinden französischen Mädchens und eines deutschen Jungen, deren Wege sich letztlich in der kleinen nordfranzösischen Stadt Saint-Malo im Jahr 1944 kreuzen. Geschickt werden in der literarischen Vorlage Themen wie Natur und Wissenschaft miteinander verwebt und die daraus entstehende Magie, die direkt vor unseren Augen stattfindet, aber nur von viel zu wenigen Menschen wargenommen wird, beschrieben. Genau diese Finesse ist es allerdings die der Verfilmung weitestgehend abhandengekommen ist. Stattdessen wird sich viel zu sehr auf althergebrachte Hollywoodmotive konzentriert, ohne den wahren Kern der Geschichte zu vermitteln.

Nazis sind böse. Mit diesen drei Worten scheinen die Autoren der Netflixverfilmung offensichtlich mit dem Script zur Serie begonnen zu haben. Ohne sich allerdings etwas mit der Romanvorlage oder zumindest einem Geschichtsbuch auseinanderzusetzen, wurden scheinbar ein paar Marvel Verfilmungen geschaut, um die Darstellungen der Nazis in Szene zu setzen. Die wie aus einem Comic entflohen wirkenden Bösewichte, ermöglichen es der Serie zu keiner Zeit in einem historischen Kontext auch nur ansatzweise ernstgenommen zu werden. Doch hierin allein liegt noch nicht einmal die Problematik dieser Verfilmung begründet. Denn es sind nicht die eindimensionalen braunen Gestalten ohne Hintergrundgeschichte und Charakteraufbau, die allein für die Oberflächlichkeit dieser Erzählung verantwortlich sind. Es ist die Detailarmut praktisch aller Charaktere vereint, kombiniert mit einem geradezu despektierlichen Desinteresse am Quellmaterial, die die Verfilmung der Magie des Buches berauben und die Serie so im mittelmäßig-vergessbaren Contentbereich versauern lassen.

Weshalb ein mehrfach für den Oscar nominierter Mark Ruffalo und zehnfach für den Emmy nominierter Hugh Laurie in kleinen, beschnittenen Nebenrollen auftauchen, denen es durch fehlende Charakterzeichnung unnötig schwer gemacht wird, ihre schauspielerische Klasse zu zeigen, erscheint zudem äußerst fraglich. Ein Vorwurf kann den Schauspielern zumindest nicht gemacht werden, diese holen aus dem schwachen Skript noch das bestmögliche heraus. Lars Eidinger als durchgeknallter Nazi par excellence spielt groß auf und in Bezug auf die Newcommerin Aria Mia Loberti kann auch der Castingabteilung ein großes Lob zugesprochen werden, denn dieser scheint die Rolle praktisch auf den Leib geschrieben worden zu sein.

«Alles Licht, das wir nicht sehen» wirkt letztlich wie Obst aus Kunststoff. Von weitem, mit einem oberflächlichen Blick betrachtet, mag dies in der Obstschale liegend recht schick aussehen. Man kann sogar näherkommen und das Obst in die Hand nehmen, doch hereinbeißen und die aromatische Essenz im Mund die Geschmacksknospen aktivieren lassen, bleibt verwehrt. Mit etwas mehr Substanz und Verständnis für die Buchvorlage hätte diese Serie das Potential gehabt, lange nachzuwirken. Stattdessen reiht sie sich ins Große Mittelmaß des schnellen Schauens und Vergessens im prall gefüllten Netflix Katalog ein.

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