Der Autor Bartholomäus Grill ist nicht irgendwer, sondern sammelte in über 25 Jahren speziell zu afrikanischen Themen seine Erfahrung und Sensibilität hierzu, während Tätigkeiten als Korrespondent und Berichterstatter für deutschsprachige Medien. Vor diesem Hintergrund vermag er wie wenig andere die gegenwärtigen Verhältnisse mit dem kolonialen Erbe abzugleichen und Rückschlüsse zu ziehen auf die Befindlichkeiten zum Thema in Deutschland selbst, als ehemaliger Kolonialmacht. Gemäß dem Umfang dieses Kolonialreiches aus der Zeit der 1880er bis zum Ersten Weltkrieg beschränkte Grill seine Recherchen nicht auf Afrika selbst, sondern besuchte auch die ehemaligen deutschen Besitzungen in China und in der Südsee. Er spürte den Hinterlassenschaften und Spuren der recht kurzen, aber zuweilen recht intensiven Herrschaft in diesen so unterschiedlichen Gebieten auf und illustriert die Haltung der Deutschen von damals wie die von heute zu diesem Abenteuer. Besondere Aktualität erhält das Werk, das schon 2019 erschienen ist, durch die gegenwärtige Debatte um Wiedergutmachung und Rückgabe kolonialer Exponate aus deutschen Museen.
Das Deutsche Reich kam nach der Gründung 1871 erst spät zu kolonialen Erwerbungen. Anfangs widersetzte man sich sogar Wünschen aus der Kaufmannschaft, die angesichts Nachteilen, übermäßig Zoll auf Waren aus Kolonien anderer Nationen zahlen zu müssen, politische Erwerbungen in unterentwickelten Zonen der Erde forderten. Erst Anfang der 1880er schwenkte Bismarck auf den kolonialistischen Zeitgeist um und setzte Erwerbungen in Afrika in Gang. Dabei folgte er dem Rezept der Briten, vorangegangene Handelsposten unter staatlichen Schutz zu stellen und Handelsinteressen militärisch zu schützen. Es kam zur Einrichtung von Deutsch-Südwestafrika, Togo (1884), Kamerun, ein Teil Neuguineas, das Bismarck-Archipel und Deutsch-Ostafrika (1885), Marshall-Inseln und Salomon Inseln (1886). Nach dem Ende der Kanzlerschaft Bismarcks und mit Beginn der impulsiven Regentschaft Wilhelms II. setzte vollends der typische chauvinistisch-nationalistische Überschwang des 19. Jahrhunderts im Wettstreit um das größte Kolonialreich ein. Das Kaiserreich setzte sich an der Seite anderer europäischer Mächte nun auch an der chinesischen Küste fest. Das Gefühl einer rassischen Überlegenheit über Eingeborene war an allen diesen Orten üblich und musste zu Übergriffen und Strafaktionen bei Ungehorsam führen. Größere Konflikte gab es aber erst mit dem Boxeraufstand (gegen alle Europäer) in China 1901, dem Herero-Aufstand (1904) und dem Maji-Maji-Aufstand (1905). Sie alle wurden mit grausamen Methoden niedergeschlagen, jedoch ist auch von der Kolonialverwaltung zu vermerken, dass angesichts des Grauens ein Umdenken einsetzte und in den Folgejahren bis zum Verlust der deutschen Kolonien versucht wurde, humanere Bedingungen einzuführen.
Bartholomäus Grill rekapituliert die Eingriffe der Kolonialbeamten und Militärs in die einheimischen Strukturen, was die rigorose Einrichtung von Plantagen bedeutete, die traditionelle Anbauformen verdrängten. Er sprach mit den letzten Überlebenden von Tätern wie Opfern. Eingriffe in ethnische Zugehörigkeiten durch die Neuordnung sieht Grill als Ursache von heutigen Problemen bis hin zum Massaker der Hutus an den Tutsis (in Ruanda). Trotz des Fingerzeigs auf die katastrophalen Auswirkungen des Kolonialismus will Grill das Vorgehen der Truppen gegen die Hereros nicht als Völkermord bezeichnen. Betrachtungen zu der Beständigkeit von Klischees zu Rassen und den Gründen, sich gegen andere Ethnien über ein 'wir' gegen 'die' Gefühl abzugrenzen, runden die selbstkritischen Reflexionen ab. Die 'Herrenmenschen'-Sicht mit moralischer Überlegenheit, ob es nun um die Verteilung von mildtätigen Gaben, die Missionierung mit Religion, oder die Geringschätzung von Fähigkeiten geht, etwas aus dem Land zu machen, ist bequem und wird daher immer noch kultiviert.
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