Hingeschaut

«Cyberbunker»: Verbrechen und böse Gedanken

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Die bildundtonfabrik hat eine neue Dokumentation für Netflix gedreht. Diese hätte man durchaus auch im Ersten erwarten können, schließlich ist die filmische Umsetzung gelungen.

Flussabwärts von Trier befinden sich zahlreiche kleine Orte, die mit Wein und wunderbarem Ausblick glänzen können. Es gibt zahlreiche Schleifen, an denen die Mosel fließt. Leiwen, Bernkastel-Kues, Zell, Cochem oder eben auch Traben-Trarbach. Der Ausblick von der Ruine Grevenburg auf die Kleinstadt ist hervorragend. Aber wenn man den Kopf wieder hebt und auf die gegenüberliegende Anhöhe blickt, kann man sich nicht vorstellen, dass hinter dem Gewerbegebiet ein ehemaliger Bunker liegt, der aus fünf Stockwerken besteht.

Im Frühjahr und Sommer hat die frühere Heimat von Jan Böhmermann, die bildundtonfabrik eine neue Dokumentation gedreht. Daraus ist kein sechsteiliges Werk geworden, das die Informationen auf mehrere Folgen auswalzt, sondern ein 101-minütiger Film, der bestimmt auch im Ersten laufen könnte. «Cyberbunker: Darknet in Deutschland» heißt die deutsche Produktion, die von einer Hackegergruppe in einem Bunker erzählt, der im Kalten Krieg von Soldaten genutzt wurde. Der Zuschauer der Dokumentation macht schnell Bekanntheit mit einer örtlichen Friseurin, einem Mitglied des Stadtrates, dem Bürgermeister und einem einheimischen Lokalreporter.

Im Mittelpunkt des Dokumentarfilms steht der Niederländer Hermann Johan Xennt, dessen Geschichte schon im Jahr 1996 startet. In der Nähe des niederländischen Dorfes Kloetinge (in der Provinz Zeeland) wurde ein erster Bunker gekauft und umgerüstet. Zahlreiche Hacker und Computerspezialisten sollten dort leben und arbeiten. Xennt, der früher auch Computer verkaufte, wurde mit dem Verkauf reich. Doch im ersten Cyberbunker kam es zu einem Feuer und Feuerwehr und Polizei entdeckten ein Drogenlabor. Der Besitzer Xennt soll davon nichts gemerkt haben, dass seine Büro-Kollegen Drogen angerührt haben.

Wo geht man hin, wenn einem die Behörden auf der Spur sind? Richtig: Nach Deutschland! Obwohl die Polizei Rheinland-Pfalz die Bundesbehörde vor dem Käufer warnte, wurde die Fläche mit über 5.000 Quadratmetern für 450.000 Euro verscherbelt. Ab 2015 ermittelte dann das Landkriminalamt gegen den Betreiber des Bunkers. Tim Henkel, seines Zeichens Ermittler beim LKA, und Oberstaatsanwalt Jörg Angerer spielen in dieser Dokumentation eine große Rolle und geben immer wieder interessante Infos aus. Aber neben dem in Haft sitzenden Xennt, der für das Interview vor die Kamera durfte, packen zahlreiche Weggefährten aus. Auch seine früheren Mitarbeiter sind mit von der Partie. Sie erzählen alle die gleiche Geschichte: Man habe Webhosting für Firmen angeboten, das war verhältnismäßig günstig, Kinder-Pornografie und Terrorismus durfte nicht gehostet werden. Nur das sahen die Kunden leider nicht immer so, die Ermittler haben zum Schluss auch noch Kinder-Bilder gefunden, die selbstverständlich nicht gezeigt werden.

«Cyberbunker: Darknet in Deutschland» ist an sehr viel Originalmaterial gekommen. So kann man auf zahlreiche Videoaufnahmen aus den 90er-Jahren aus den Niederlanden zurückgreifen, sowie auf Material aus dem zweiten Bunker in Traben-Trarbach. Außerdem stellt das Landeskriminalamt sehr viele Aufnahmen bereit, denn seit Herbst 2023 ist die Revision von Xennts Verfahren abgewiesen und somit auch rechtskräftig. Doch überhaupt muss man sagen, dass der verurteilte Verbrecher tatsächlich angenehm aus der Sache hinausgekommen ist. Zwar wurde er zu fünf Jahren und neun Monaten verurteilt, doch die meisten Verfahren wurden im großen Stil abgewiesen. Die Richter sahen es nicht so, dass man Unternehmen wie The Pirate Bay und Wall Street Market unterstützt habe.

Visuell macht die Dokumentation viel her. Die Unternehmensstruktur ist nicht nur gut aufgebaut, sondern immer wieder sind die Aufnahmen vor Ort toll eingefangen. Man kann sagen, dass die Verantwortlichen der bildundtonfabrik ein Händchen für bildgewaltige Kameraführung haben. Schon bei diversen Studioproduktionen und Serien wie «How to Sell Drugs Online (Fast)» und «King of Stonks» zeigte sich, dass auch Außenaufnahmen wunderbar abgelichtet werden. Für die Dokumentation hat man auch auf schauspielerische Elemente gesetzt, schließlich wollte man die Erstürmung der Bunker-Anlage im Jahr 2019 dokumentieren. Zwar hat auch das Landeskriminalamt zum Teil Aufnahmen angefertigt, doch diese hätten nicht so gut in die hochwertigen 4K-Szenen gepasst. Das ist aber auch gar nicht schlimm, denn bereits in der Eröffnungssequenz werden die Zuschauer darauf hingewiesen.

Das war’s dann auch schon? Nein, da wäre noch die Geschichte von George Mitchell, einem Iren, der als „Pinguin“ bezeichnet wird. Der Mafia-Boss tauchte schließlich in Traben-Trarbach auf und machte wohl mit Xennt Geschäfte. Schließlich mischt auch noch die FBI-Außenstelle Los Angeles an dem Fall mit. Leroy Shelton, FBI-Sonderermittler, gehört ebenfalls zu dieser Dokumentation. Außerdem werden mehrere Spione in das Umfeld von den Cyberbunkern-Mitarbeiter geschleust und ein Interviewzeuge, der früher ein leitender Angestellter war, läuft straffrei herum. Warum? Das wissen nur die Staatsanwälte und Gerichte, die Sven Olaf Kamphuis nie anklagten. Am Ende des Filmes läuft es einem auch noch einmal eiskalt den Rücken herunter, denn Kamphuis sagt, dass Kinderpornografie-Bilder kein Kinderporno seien, schließlich sei dies nur ein Foto und der Akt schon lange vorbei. Kein angenehmer Kollege.

«Cyberbunker: Darknet in Deutschland» ist seit 7. November 2023 bei Netflix.

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