Die westeuropäischen Fernsehserien wie auch die Angebote aus den Vereinigten Staaten von Amerika sind inzwischen ziemlich auf Harmonie getrimmt, oftmals fällt das Wort „woke“ in diesem Zusammenhang. Es ist schon richtig, dass Formate wie die Schul-Mockumentary «Abbott Elementary» mit der netten Lehrerin Janine, die Rathaus-Comedy «Frau Jordan stellt gleich» mit Katrin Bauerfeind als Gleichstellungsbeauftragte Eva oder das Spin-off «How I Met Your Father» mit einer bunten, aber für Disney harmlosen und auf Diversität getrimmte Truppe Harmonie versprühen möchte. Die Gags sollen keine Zuschauer verletzen, weshalb auch das Witze-Potenzial in den Keller schoss. Michael Gl Moye und Ron Leavitt haben «Eine schrecklich nette Familie» Mitte der 80er-Jahre entworfen und wollten damit solche Familien-Sitcoms wie «Die Bill Cosby Show» auf den Arm nehmen.
Christian Ulmens Pyjama Pictures sowie Emil und Oskar Belton und Bruno Alexander haben die Serie «Die Discounter» entworfen, die am 22. November 2023, in die dritte Staffel startete. Im Mittelpunkt der Workplace-Comedy, die in einem Supermarkt gedreht wurde, stehen grenzwertige Mitarbeiter mit einem inkompetenten Chef. Zwar sitzt nicht jede Silbe im Drehbuch, denn viele Teile sind eben auch improvisiert. Auch nicht jeder Handlungsstrang der Serie ist logisch, aber unterm Strich ist die halbstündige Comedy brüllend komisch.
Zum Start der neuen Season wurde Filialleiter Thorsten Kruse (Marc Hosemann) mit seinem Team von Altona nach Billstedt versetzt. Auch wenn das nicht besonders gut erklärt wurde, ist dies kein Vorzeigestadtteil der freien Hansestadt Hamburg. Dort befindet sich kein nennenswertes produzierendes Gewerbe mehr, es herrscht eine hohe Arbeitslosenrate. Die neue Staffel beginnt mit Thorsten, der in seinem Büro verweilt, und Pina Kaiser (Klara Lange), die zu ihrem Vorgesetzten kommt und die Probleme besprechen möchte. Thorsten packt ihre Hände auf den Tisch, stellt zwei Gläser auf ihre Hände und befüllt diese. Das ist also Thorsten Humor – seine Mitarbeiter drangsalieren. Pina teilte mit, sie würde wohl schon bald an einem Burnout leiden – sie arbeitet zu viel, sagt ihr Therapeut.
Schnitt. Titus (Bruno Alexander) und Lia (Marie Bloching) sitzen gelangweilt an ihren Kassen und lesen sich Ausschnitte aus verschiedenen Magazinen vor. Sie müssen erkennen, wann der andere vom Text abweicht und offensichtlichen Bullshit erzählt. Beim Discounter Feinkost Kolinski herrscht eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die einen langweilen sich an der Kasse, die anderen wollen etwas bewegen. Unterdessen geraten Peter (Ludger Bökelmann) und Flora (Rapperin Nura Habbib Omer) aneinander, obwohl sie erst seit Kurzem ein Pärchen sind. Nach dem Streit kommt eine Liebeszene in dem ramponierten Supermarkt. Es wird viel geschrien, das könnte eine spannende Staffel werden.
Die Zuschauer bekommen auch ein Wiedersehen mit Jonas, verkörpert von dem hervorragenden Schauspieler Merlin Sandmeyer, dessen Alkoholprobleme in der zweiten Season ausgeblendet wurden. In der dritten Staffel muss er am Morgen jedes Mal pusten, um zu checken, dass er nichts getrunken hat. Das führt noch zu Problemen, denn zwischenzeitlich versucht sich der Wachmann Jonas als Halbstarker und wird auch noch Darsteller in einem Werbespot, in dem er sich nicht nur kultureller Aneignung, sondern auch des Blackfacings und der Ausländerfeindlichkeit schuldig macht. Das Werk in einer der letzten Folgen der Staffel ist allerdings so skurril, dass selbst die woksten Zuschauer sich das Lachen nicht mehr verkneifen können. Schließlich sind die Kostüme so dümmlich und offensichtlich, dass hier tatsächlich niemand ausgegrenzt wird, sondern der Versuch der Darstellung die scheinbare Lachnummer ist.
Solche Momente gibt es bereits in der ersten Folge: Zum Ende wird nicht nur Thorsten beim offensichtlichen Burn-Out-Schwindel erwischt, sondern auch noch Pina. Die Chefin des Unternehmens Sabine (Catrin Striebeck) hält viel von der jungen Aufsteigerin und hat ein sehr angespanntes Verhältnis zu Thorsten. Doch auch sie weiß, dass sie arbeitsrechtlich wenig in der Hand hat, Thorsten vor die Tür zu setzen, wenn dieser keinen offensichtlichen Blödsinn baut.
Es gibt immer wieder tolle Einzelfolgen oder Gastauftritte: Wie beispielweise „Tatort für Arme“, die dritte Folge der aktuellen Runde. Dort verkörpert Heinz Strunk einen Filialleiter. Der Buchautor ist ein großartiger Schauspieler, von dem man in Zukunft bitte noch mehr sehen muss. Selten kann ein Gastdarsteller so stark interagieren und kann in so kurzer Zeit einen Raum ausfüllen. In dieser Folge versucht Jonas zudem herauszufrieden, welcher Mitarbeiter den Inhalt der Spendenbox im Supermarkt gestohlen hat. Das ist nicht nur besonders kreativ, weil er verschiedene Verhörmethoden anwendet, sondern auch noch überraschend, weil das Ende auch noch genial ist.
Die vorletzte Geschichte „Sturmfrei“ führt dazu, dass Thorsten nicht anwesend ist. Peter übernimmt die Macht im Laden und weist Pina in die Schranken. Mit solch nüchtern Aussagen wie „Peter wäre früher Anhänger der Hitlerjugend gewesen“, fragt sich der Zuschauende, ob er denn richtig gehört habe. Aber das meinte Pia ernst und bringt den Zuschauer zum Grölen.
Zwar gibt es auch schwächere Folgen wie der Ausflug in einen Ski-Dome in Nordrhein-Westfalen, aber insgesamt bleibt «Die Discounter» eine lustige Arbeitsplatz-Comedy. Natürlich sind die Figuren völlig überzeichnet, aber das macht eine gute Sitcom aus. Es darf keine Langeweile aufkommen und deshalb auch die Bitte an die Macher: Stellt unbedingt mehr Folgen her: Amazon könnte doch endlich einen noch größeren Output bestellen. «Die Discounter» ist ein Lichtblick in der deutschen Comedylandschaft und würde vermutlich auch Millionen Menschen ins lineare Fernsehen locken.
Die dritte Staffel von «Die Discounter» ist seit 22. November bei Amazon Prime Video erhältlich.
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