Interview

Zeynep Bozbay: ‚Comedy sollte vieles dürfen. Aber auf wessen Kosten?‘

von

Welches Verhalten ist heutzutage angebracht? Das verrät die ZDF-Comedy «Knigge & Co», die der Mainzer Sender mit Bozbay veröffentlicht hat.

Hallo Frau Bozbay! Sie sind Teil des neuen ZDF-Online-Formates «Knigge & Co». Sie möchten damit Verhaltensweisen aufs Korn nehmen. Dann frage ich doch mal direkt: Welche Verhaltensregel ist denn wirklich überflüssig?
Tatsächlich wünsche ich meinen Mitmenschen, wenn sie geniest haben, gerne eine Portion „Gesundheit“, obwohl da die Meinungen ja auseinander gehen, ob das nun unfreundlich ist oder nicht.

Das Benimmbuch Knigge ist immer weniger Menschen bekannt. Sollte man dies wieder in die Gegenwart holen? Knigges Tischordnung hört sich doch recht gut durchdacht an.
Ich finde es wichtig, sich auf Augenhöhe und respektvoll zu begegnen. Wenn ich Personen eine große Freude damit machen kann, mich an eine Tischordnung zu halten, dann sehr gerne. Wenn Menschen zum Lernen über ein gutes Miteinander und Freundlichkeit ein Buch brauchen, finde ich das auch nicht verwerflich. Chacun à son goût, also jede Person nach ihrem Geschmack. Dinge müssen besprechbar bleiben, Regeln müssen gebrochen werden können und Menschlichkeit wird mir immer wichtiger sein, als wann welche Gabel benutzt wird.

Jule Kleinschmidt und Sonni Winkler realisierten das Sketch-Format. Wie lief die Zusammenarbeit aus?
Professionalität meets Utopie meets Augenhöhe meets sehr viel Spaß.

Sie spielen neben zahlreichen Gaststars mit. Können Sie kurz erläutern, wer alles bei den sechs Folgen dabei ist?
Aber sehr gerne, bereichern tun diese Serie außerdem:
Till Reiners, Tarik Tesfu, Peter Lohmeyer, Maximilian Mundt, Jeannine Michaelsen, Gazelle, Julia Knörnschild und The Real Lauri

Die Produktion «Knigge & Co» ist mit einem Awareness-Konzept umgesetzt worden. Können Sie uns verraten, was das ist?
Es gab in erster Linie für alle am Dreh beteiligten Personen die Möglichkeit, anonym Feedback geben zu können. Darauf wurde zum Beispiel mit Schildern hingewiesen und demnach hatten alle zu jedem Zeitpunkt die Möglichkeit, neutrale Ansprechpersonen zu kontaktieren, um Dinge zu besprechen, kritisieren, nachzufragen oder auf etwas hinzuweisen. Außerdem war hin und wieder eine Person von ACT AWARE am Set, die den Dreh als „Outside Eye“ betrachtet hat, an die man sich wenden konnte, die sowohl als Mediator*in oder Ansprechpartner*in hätte agieren können. Durch die Beschreibung der Funktion einer Person und eines QR-Codes (auf den ausgegangenen Schildern) wirkt das Awarness-Konzept jetzt vielleicht größer, als es war. Dabei kann ich nur sagen, dass nur die Möglichkeit einer Auseinandersetzung und der Aussprache dafür gesorgt hat, dass viele sich gleich wohler gefühlt haben. Es brauchte also nicht viel, um den Arbeitenden zu vermitteln: „Du bist nicht alleine, wenn etwas sein sollte.“ oder „Es wird zugehört, wenn du kommunizieren möchtest. Es gibt Lösungen. Man muss nicht alles wegignorieren, weil man Angst vor eventuellen Konsequenzen hat.“ und Ähnliches.

Alleine diese Vorkehrung hat dafür gesorgt, dass wir nicht einen negativen Vorfall hatten bzw. stetig miteinander im Kontakt sein konnten, darüber, ob das Miteinander funktioniert und uns schlussendlich darauf konzentrieren konnten, was wichtig ist: Dass alle ihre Arbeit gut machen können.

Formate wie die Sketch-Reihen von Loriot haben kaum Personen weh getan. Auf der anderen Seite gab es auch sehr harte Comedy-Strecken. Wie sollte Comedy im Jahr 2024 aussehen?
Das löst bei mir direkt eine ganze Lawine an Gedanken aus und ich würde gerne direkt eine Gegenfrage stellen:
Sie schreiben, die Sketch-Reihen von Loriot haben „kaum Personen weh getan“ – da würde ich gerne gucken, wer davon angegriffen war und weitergucken, ob das z.B heißt, dass Comedy immer auch einen Finger in Wunden legen muss? Gibt es Comedy, die nicht verletzt?

Dann würde ich weiterschauen und untersuchen: Wer macht Comedy? Wird sich lustig gemacht? Wenn ja: Wer über wen und was? Wem wird die Bühne gegeben? Wer vergibt diese Bühnen, Formate, Plattformen. Welche alten Bilder werden auch im Comedy-Bereich reproduziert, von denen wir uns lösen müssen, unter denen nur bestimmte Gruppen leiden? Ist es nur witzig, weil sich jemand herausnimmt, nach unten zu treten? Oder tut es weh, weil da jemand wirklich versucht, gesellschaftliche Missstände zu reflektieren?

Comedy sollte vieles dürfen. Aber auf wessen Kosten?

Comedy kann so vieles sein. Beispielsweise und ich werfe nur ein paar Worte in die Luft:
Billig. Rassistisch. Unreflektiert. Stumpf.
Oder unterhaltend, herzlich, zum Nachdenken anregend.
Oder eine Ablenkung, Flucht, Auszeit.
Comedy kann einem den Tag retten oder politisch, hässlich oder ehrlich sein. Oder, oder, oder.

Also ich habe keine Antwort, ich versuche mich nur stetig damit auseinanderzusetzen, weil es wichtig ist. Wie so viele Themen gerade, auf die es eben nicht nur eine Antwort gibt.
Hier deshalb vielleicht ein Zitat als Antwort auf Ihre Frage, wie Comedy im Jahr 2024 aussehen könnte: „If nothing changes, nothing changes.“

Für die Amazon-Serie «Damaged Goods» wurden Sie als Hauptdarstellerin besetzt. Waren Sie enttäuscht, dass die Serie nicht fortgesetzt wurde?
Ja, absolut. Ich hätte gerne diese Geschichte über Freundschaft, die so viele Facetten und Phasen durchmacht, weitererzählt.

Die achtteilige Serie wurde von der ARD eingekauft und auch in der ARD Mediathek ausgestrahlt. Gab dies noch einmal einen Reichweitenschub?
Dazu kann ich nichts sagen. Aber ich bin froh darum, dass Menschen, die die Serie aus monetären oder politischen Gründen nicht auf der Streaming-Plattform gucken konnten/wollten durch die ARD Zugang dazu bekommen haben.

Sie haben zwei Staffeln des Podcasts „Das Neue“ gemacht. Kommen demnächst neue Folgen?
Es werden noch eine kleine Handvoll Folgen kommen – mit tollen Gästen und guter Literatur – mit denen wir uns parallel zu der im nächsten Jahr endenden Intendanz des fantastischen Theater Neumarkt Trios Milz/Erdogan/Reichert auch von diesem Format leider verabschieden werden. Aber ich hab mal gehört „Wo sich eine Tür schließt, öffnet sich ein Fenster.“ Ich freu mich auf die Fenster!

Vielen Dank für Ihre Zeit!

«Knigge & Co» kann in der ZDFmediathek und bei YouTube abgerufen werden. Außerdem ist Bozbay auch in der ZDFneo-Serie «Push» zu sehen.

Mehr zum Thema... Damaged Goods Knigge & Co Push
Kurz-URL: qmde.de/147528
Finde ich...
super
schade
50 %
50 %
Teile ich auf...
Kontakt
vorheriger ArtikelSarnau und Wnuk drehen Silvesterfilm-Nachfolger «Rosen und Reis»nächster Artikelntv startet «Tierische Killer»
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel

Optionen

Drucken Merken Leserbrief



Heute für Sie im Dienst: Fabian Riedner Veit-Luca Roth

E-Mail:

Quotenletter   Mo-Fr, 10 Uhr

Abendausgabe   Mo-Fr, 16 Uhr

Datenschutz-Info

Letzte Meldungen

Werbung

Mehr aus diesem Ressort


Jobs » Vollzeit, Teilzeit, Praktika


Surftipp


Surftipps


Werbung