Interview

Jennifer Ulrich: ‚Ich fände es falsch da mit Clichés zu spielen‘

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Die Schauspielerin aus «Ostsee für Sturköppe» spricht neben den Dreharbeiten auch über Organspende und Hate Speech in den sozialen Medien.

Hallo Frau Ulrich! Sie spielen in dem Fernsehfilm «Ostsee für Sturköppe» die Tischlerin Eva, die aus Hamburg kommt und für die die deutsche Teilung etwas Abstraktes ist. Wie sieht das bei Ihnen aus? Haben Sie die Teilung mit Ihren sechs Jahren noch wahrgenommen?
Ich denke nicht, dass die DDR für Eva etwas Abstraktes ist. Wie für viele junge Menschen, ist jedoch das Ausmaß an persönlichen Schicksalen, die auch mit z.B. tödlichen Vorfällen verbunden waren, einfach sehr überwältigend. Die Konfrontation mit den wahren Geschichten, die in Zeiten der Teilung, und oft auch noch lange danach, verschwiegen wurden, weil das System, das so verlangt hat, ist oft schmerzhaft und für Menschen, die nicht in der DDR groß geworden sind, sicher auch überfordernd.

Ihr Alter Ego ist Tischlerin. Sollten wir alle eigentlich noch ein Handwerk beherrschen, damit man nicht für jedes Problem gleich einen Handwerker benötigt?
Eine gewisse Unabhängigkeit ist sicher immer von Vorteil, aber ob man dafür unbedingt ein richtiges Handwerk erlernen muss, wage ich zu bezweifeln.

In «Ostsee für Sturköppe» muss sich Eva mit dem Tod ihrer Schwester auseinandersetzen. Wie wird das funktionieren?
Jeder Mensch geht anders mit Trauer, Verlust und dem Tod um. Eva hat sich dazu entschlossen ihr Trauma zu konfrontieren und an den Ort ihrer schönen Kindheitstage zurückzukehren, sich ihren Traum von der Selbständigkeit zu erfüllen und nicht ihr Leben vom Schmerz und der Trauer bestimmen zu lassen. Ihr persönlicher Weg sich mit ihrer Vergangenheit auseinanderzusetzen.

Sind Menschen auf dem Land anders als in der Großstadt?
Menschen sind immer individuell und sehr verschieden, egal, ob sie vom Land oder aus der Großstadt kommen. Ich fände es falsch da mit Clichés zu spielen.

Die Schreinerin Eva ist hartnäckig. Sind Sie ebenfalls so ehrgeizig?
Ich bin sicher ein ehrgeiziger Mensch, der versucht seine Ziele bestmöglich zu erreichen, ja. Ich möchte mein Bestes geben. Dann kann ich mir auch im Falle von Misserfolg nicht vorwerfen ich hätte nicht alles versucht.

Der Spielfilm wurde vor über einem Jahr im Herbst auf dem Darß in Mecklenburg- Vorpommern gedreht. Haben Sie die Zeit vor Ort genossen?
Mein Vater kommt aus Mecklenburg-Vorpommern und ich habe dort als Kind viel Zeit verbracht. Ich habe also selbst eine Verbindung zu diesen Orten und mag die dortige Naturverbundenheit und das "Nordische" gern.

Das Buch hat Sarah Esser geschrieben, die Regie übernahm Joana Vogdt. Ist «Osteee für Sturköppe» ein Film von Frauen für Frauen?
Es ist vor allem ein generationsübergreifender Film. Meine zwei älteren Kollegen des Hauptcasts zeigen offen, verletzlich und ehrlich die Wunden und Narben, die die deutsche Teilung bei vielen ihrer Generation hinterlassen hat, indem sie sich den jüngeren Generationen mit ihren Geschichten öffnen.

Sie standen für den Spielfilm «Die Whistleblowerin» vor der Kamera, der das Leben von Galina Gromoawa zeigte. Sind solche Filme wichtig für das kulturelle Angebot von Fernsehsendern?
In «Die Whistleblowerin» beleuchten wir einen russischen Hackerangriff auf das deutsche Gesundheitssystem. Wir erzählen diese Geschichte aus Sicht des Krisenstabs des Auswärtigen Amtes und einer russischen Whistleblowerin, die sich der Regierung anbietet. Einen solchen Angriff mit Todesfolge gab es bereits tatsächlich in der Düsseldorfer Uniklinik. Und jetzt gerade auch aktuell wieder in Frankfurt und Bremen. Das ist also eine sehr aktuelle Bedrohung, über die wir hier sprechen, die ein Land in ihrer Sicherheit schwächen und als politisches Druckmittel verwendet werden kann. Von daher sehe ich es als essenziell wichtig, dass Fernsehsender solche Vorfälle thematisieren, kritisch besprechen und politisch beleuchten. Cyberangriffe jeglicher Art gehören ja heutzutage zu unser aller Lebensrealität.

Vor einigen Jahren haben Sie die Filme «Die Wolke», «Wir sind die Nacht» und «Diaz» gedreht. War das Zufall, dass Sie so viele gute Rollen bekommen haben?
Ich hoffe doch, dass es vor allem ein Zeichen von guter schauspielerischer Leistung meinerseits war (lacht). Meine Besetzung für «Diaz» war direkt an meine Arbeit in «Die Welle» gekoppelt. Der italienische Regisseur Daniele Vicari hatte mich in «Die Welle» gesehen, fand meine schauspielerische Arbeit toll und wollte mich daher für «Diaz» unbedingt besetzen, weil er eine Stärke in mir und meiner Rolle sah, die er sich wünschte. Für «Wir sind die Nacht» habe ich damals etliche Castings durchlaufen und mir meinen Platz im Film, wie normalerweise üblich, erkämpft. Also grundsätzlich wurde mir beruflich nichts geschenkt und ist immer mit harter Arbeit und guter Leistung verbunden, aber ein wenig Glück hier und da muss natürlich auch immer dabei sein.

Kommen wir zum Thema Organspende. Wieso schafft es die Politik nicht, eine Widerspruchslösung zu schaffen? Wie können wir die Organspende vorantreiben?
Das Thema Organspende ist für viele Menschen ein sehr sensibles Thema, weil es eben immer auch in Verbindung mit dem Tod steht, obwohl es ja in erster Linie dabei um das Leben geht. Es gibt viele Mythen, Angst vor "medizinischem Missbrauch" und einfach viel Nichtwissen zum Thema. Und das kommt daher, dass wir in unserer deutschen Gesellschaft nie darüber reden und auch schulisch oder gesellschaftlich keine Aufklärung zur Organspende betreiben. Gäbe es diese, müsste es gemeinnützige Vereine, wie Junge Helden e.V., gar nicht geben. D.h. also, ist man nicht direkt betroffen, muss man sich in Deutschland damit auch nicht auseinandersetzen. Das ist ein strukturelles Problem, das wir mit z.B. der Widerspruchsregelung zumindest verbessern könnten. Dafür muss die Politik aber klar Haltung beziehen und Gesetze verabschieden. Solche "unbequemen" Themen sind bei vielen Politiker:innen nicht sonderlich beliebt, vor allem nicht, wenn sie auf Wählerfang sind.

Außerdem muss ich ehrlich sagen, dass mir in den Jahren auch aufgefallen ist, dass die Politiker:innen, die NICHT aus dem Gesundheitssektor kommen, meist selbst sehr schlecht aufgeklärt sind was dieses Thema betrifft und auch wenig offen sind da in eine Diskussion zu gehen ohne sich auf ihre persönlichen Ängste und Befindlichkeiten zu berufen. Und auch diese Politiker:innen stimmen ja im Bundestag eben für oder gegen etwas wie die Widerspruchsregelung. Nichtsdestotrotz werden wir mit Junge Helden e.V. in Zukunft weiterhin für eine neue, bessere und gerechtere Regelung kämpfen.

Sie waren Opfer von Hassrede bei Facebook & Co. Hat sich – Ihrer Meinung nach – die Lage inzwischen gebessert?
Also, im Gegensatz zu damals 2016, gibt es mittlerweile wenigstens Gesetze, die auch Firmen mit Hauptsitz im Ausland in die rechtliche Verantwortung nehmen. Aber wie wir auf den sozialen Plattformen sehen, gibt es immer noch viel Raum für Hassrede, Straftaten und ein politisches Vakuum. Ich denke wir haben den Moment damals schlichtweg verpasst diese Onlineplattformen gesetzlich zu regulieren. Es ist für Behörden, wie der Polizei etc, immer noch technisch schwer in einen direkten Austausch mit Verantwortlichen dieser Medien zu kommen. Die Reichweite und der Konsum dieser Plattformen sind weltweit so groß, dass ich bezweifle, dass wir jemals aufholen können, was wir da gesetzlich, rechtlich und gesellschaftlich verschlafen haben. Aber zumindest habe ich das Gefühl, dass es für viele mittlerweile ein Bewusstsein dafür gibt welche Gefahren diese Plattformen bieten und das auch als ernstzunehmende potenzielle Bedrohung verstehen, auch in Bezug auf Missinformation, Fake News und als Radikalisierungsort. Das wurde damals noch stark unterschätzt und weggelächelt. Ob es inzwischen so viel "besser" oder "sicherer" ist, wage ich jedoch zu bezweifeln.

Hoffen wir auf bessere Zeiten!

«Ostsee für Sturköppe» ist für Freitag, den 5. Januar 2024, um 20.15 Uhr terminiert.

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