Hallo Frau Rolfes! Sie haben den neuen «Tatort» mit Klaus J. Behrendt und Dietmar Bär gedreht. Worauf können wir uns freuen?
Schon beim ersten Lesen des Drehbuchs war ich sehr angetan von den komplexen Fragen, die die Geschichte stellt. Wann verwandelt sich das Recht auf Teilhabe in Gier? Bedeutet mehr für mich, sofort weniger für die anderen? Und warum verfallen wir einem so brillanten Verführer wie dem Investment-Verkäufer Komann?
Ich habe bis heute keine glasklaren Antworten gefunden und wollte mit der Inszenierung des Films auch keine zu einfachen Antworten geben. Ich wollte Perspektiven öffnen. Zum Beispiel auf Andre und Anja, ein typisches junges Paar, dass sich danach sehnt „einfach normal zu leben“, trotz ihres geringen Einkommens. Dieses Paar macht für die Zuschauer*innen erlebbar, was es bedeutet, ausgeschlossen zu werden. Und dabei wirft ihr Schicksal eine weitere Frage rund um die Chancengleichheit auf. Und ob wir in einer Gesellschaft leben wollen, die nur von Profit und Likes geprägt wird und davon, dass ein paar wenige Menschen viel haben und viele Menschen sehr wenig.
Das Kölner-Team aus Ballauf und Schenk ermittelt seit dem Jahr 1997. Was möchten Sie bei diesem Film anders machen als bei den früheren Werken?
Zunächst einmal wollte ich eine berührende Geschichte erzählen unabhängig von den vorherigen Filmen der Reihe. Und ich wollte meinem Blickwinkel, meiner Vision der Geschichte den nötigen Raum geben. Das war absolut möglich und ich habe die Arbeit an „Pyramide“ von Anfang an, mit allen Gewerken als sehr kollegial und offen empfunden.
Der Film „Pyramide“ wurde bereits vor eineinhalb Jahren gedreht. Würden Sie sich über eine frühere Veröffentlichung freuen?
Ich glaube, ich würde mir eine etwas größere Flexibilität wünschen. Der Film „Pyramide“ spielt im Hochsommer, wird aber im Januar ausgestrahlt. Wäre doch schön, wenn man auf sowas individuell reagieren könnte. Unser Film ist thematisch zeitlos, das Thema hat also auch nach eineinhalb Jahren noch genug Relevanz.
Der WDR hat bereits 92 Spielfilme von Ballauf und Schenk in Auftrag gegeben. Für das kommende Jahr sind weitere Filme geplant. Sind Sie stolz, ein Teil dieses großen Teams zu sein?
Total!
Sie setzen sich für den Verein „Pro Quote Film“ ein. Warum werden nur 20 Prozent der Filme von Frauen gedreht?
Wo berufliche Netzwerke historisch fast ausschließlich von Männern geprägt worden sind, ist es gar nicht so leicht als Regie-Absolventin „einfach einzusteigen“. Ohne den Rückenwind von „Pro Quote Film“ sowie „into the wild - dem Mentoring-Programm für junge Filmemacherinnen“ hätte ich vielleicht bis heute nicht begriffen, wie wichtig berufliche Netzwerke in unserer Branche sind.
Gibt es im deutschsprachigen Film immer noch zu viele Vitamin B-Geschäfte?
Die Frage ist, ob die Filmbranche überhaupt anders funktionieren kann als über persönliche Beziehungen. Schon allein eine künstlerische Vita einer Regisseurin oder eines Regisseurs besteht aus Kurz- und Langfilmen, die mögliche Arbeitgeber (Produzent*innen) ganz individuell für sich beurteilen und danach eine Entscheidung fällen. Objektive Kriterien gibt es einfach weniger als in anderen Branchen. Dennoch ändert sich was: Ich habe in den letzten Jahren an vielen Regie-Castings teilgenommen und das Gefühl, dass dadurch neue Türen auch für Newcomer oder Regisseur*innen aus anderen „Genres“ geöffnet werden. Worüber ich auch sehr froh bin ist, dass Teamgeist, Toleranz und Fairness bei der Jobvergabe immer entscheidender werden.
Sie haben auch mehrere Episoden der ProSieben-Serie «Frau Jordan stellt gleich» inszeniert. War dieses Thema für Sie ein Herzenswunsch?
Hätten Sie die Frage auch einem männlichen Regisseur gestellt?
Ja, durchaus. Sitcoms wie «Frau Jordan stellt gleich» haben zuletzt nicht gut funktioniert. Sollten Comedy-Serien weniger ins Detail gehen? Schließlich waren Versicherungen bei «Stromberg» nie ein Thema…
Das wäre natürlich eine spannende Frage an Ralf Husmann (den Head-Autor und Creator beider Serien), aber letztlich stehen Comedy-Serien ja immer vor der Anforderung, zwischen Klamauk und thematischer Relevanz zu jonglieren. Vielleicht könnten deutsche Comedy-Serien noch mehr ins Detail gehen, was die Darstellung der Figuren angeht. «Stromberg» ohne Christoph Maria Herbst wäre ja genau so undenkbar, wie «Friends» ohne Jennifer Aniston.
Das Erste hat inzwischen zahlreiche Miniserien wie Ihre «Wer wird sind» geordert. Kann man noch davon sprechen, dass das deutsche Fernsehen mutlos ist?
Ich persönlich kann dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht vorwerfen, nicht mutig genug zu sein, da ich mit «Wer wir sind», sowie mit dem Tatort „Pyramide“ das Gegenteil erlebt habe. Dazu gehörten offene Redakteur*innen, die inhaltliche Partner*innen auf Augenhöhe sind und keine Verhinderer von kreativen und anspruchsvollen Ideen. Bei «Wer wir sind» war allen Beteiligten sehr bewusst, dass es linear schwierig werden könnte, dennoch haben wir es versucht. Ich freue mich auf weitere solche mutigen Projekte.
«Wer wir sind» lief im November 2023 mit enttäuschenden Quoten. Warum schrecken so viele Zuschauer vor Mini-Serien zurück?
Mini-Serien haben zunächst „die Hürde des Unbekannten“ zu überwinden. Handlung, Figuren und Setting sind komplett neu für die Zuschauer*innen. Umso mehr haben wir uns über sehr gute Klickzahlen in der Mediathek gefreut. Um eine größere jüngere Zielgruppe effektiv für Mini-Serien wie «Wer wir sind» zu erreichen, bräuchte das öffentlich-rechtliche Fernsehen eine ganz andere Marketing-Strategie. Hier werden viele Chancen aus finanziellen Gründen leider verpasst. Ich freue mich aber, dass wir viele Menschen linear und non-linear erreichen konnten, die sich aktiv mit der sehr gegenwärtigen Serie und ihren Themen auseinandergesetzt haben.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
«Tatort: Pyramide» ist am Sonntag, den 14. Januar, im Ersten zu sehen.
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