Interview

Dr. Michael Schmid: ‚Sender müssen die für ihr Publikum relevanten Inhalte kaufen‘

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Bei der Beratungsgesellschaft Accenture ist Schmid für Communications, Media & Technology verantwortlich. Mit Quotenmeter spricht er unter anderem über die Auswirkungen der Hollywood-Streiks.

Hallo Herr Schmid! Der Autoren- und Schauspielstreik lähmte Hollywood über mehrere Monate. Warum haben die Werkarbeiter so lange die Arbeit nieder gelegt?
Die Vergütungen waren in einer sich schnell verändernden Marktlandschaft nicht mehr marktgerecht. Insbesondere gab es Regelungsbedarf bei der Vermarktung im Streaming. Außerdem war vieles im Hinblick auf den Einsatz von Künstlicher Intelligenz nicht geregelt: Was passiert beispielsweise, wenn Schauspieler und Schauspielerinnen digital nachgebildet werden?

In Europa wäre solche Rechte doch illegal gewesen. Gleichzeitig saßen die US-Studios auf unzähligen Formaten, die man exklusiv auf den Streamingdiensten hortete. Warum lizenzierte man diese Projekte nicht an die Kunden?
Ich erkläre mir das mit Klauseln in den etwaigen Verträgen auf den unterschiedlichen Seiten sowie mit der Bewertung der kommerziellen Attraktivität unterschiedlicher Szenarien.

Wie löst man sonst das Problem, wenn Monate guter Content fehlt?
Man wird nur bedingt aufholen und nachproduzieren können und hier in eine gewisse Lücke hineinlaufen. Das wird in den Angeboten spürbar sein und mit etwas Verzögerung auf den Plattformen zu Engpässen an Inhalten führen. Klar, man kann versuchen, schnell und leicht produzierten Content zu verwenden, aber wir werden eine Zeit mit weniger attraktiven Inhalten erleben. Das ist insofern besonders relevant, da sich der Streamingmarkt in Deutschland immer weiter fragmentiert und es von zentraler Bedeutung wäre, differenzierende Inhalte anbieten zu können.

Wie bewerten Sie die fiktionalen Produktionen aus den Vereinigten Staaten von Amerika. Man hat das Gefühl, dass Fortsetzungen wie «Criminal Minds: Evolution», «CSI: Vegas» oder die Fortsetzung von «Law & Order» nur mäßige Drehbücher bekommen.
Es gibt einen Trend dazu, sich an starke Content-Brands einzelner Filme oder Serien heranzuhängen anstatt mit großem Aufwand neue Brands zu erschaffen. Es hat sich gezeigt, dass das ökonomisch zumindest kurz- und mittelfristig sinnvoll sein kann und das Risiko eines Flops dadurch mindestens zum Teil mitigiert wird. Am Ende geht es darum, Fans der Serien zu aktivieren. Gute Drehbücher helfen hier natürlich. Die Brands sind aber stark.

Haben sich die deutschen Fernsehsender auch zu entspannt zurück gelegt? Nicht nur in Hollywood werden gute Stoffe gedreht. Trotzdem hat man keine Alternativen eingekauft!
Letztlich kämpfen deutsche Formate mit ähnlichen Herausforderungen wie die US-amerikanischen: Inhalte müssen kosteneffizient produziert werden und entlang erfolgreicher Content-Brands und Formate weiterzuerzählen, kann dabei vielversprechend sein. Der Programmeinkauf und die Produktion folgen dabei den Budgets und prognostizierten Reichweiten.

Müssen deutsche Sender auch Serien und Filme kaufen, die es nicht bei Netflix & Co. gibt?
Deutsche Sender müssen die für ihr Publikum relevanten Inhalte kaufen, die einerseits die erforderliche Attraktivität am Zuschauermarkt einbringt als auch ökonomisch sinnvoll einzukaufen sind. Der Wettbewerb um Zuschaueraufmerksamkeit findet dabei zunehmend auch mit den Streaming-Anbietern statt. Ein sich differenzierendes Programm wäre da durchaus hilfreich, aber nicht um jeden Preis. Vielleicht erleben wir durch die zunehmende Dominanz der Streaminganbieter aber auch eine Bedeutungsveränderung des klassischen Fernsehens: Filme und Serien könnten in Zukunft im Vergleich zu anderen Formaten eine andere Bedeutung im Programm einnehmen. Factual Entertainment könnte beispielsweise an Bedeutung zunehmen. Klassische Fernsehsender haben aber auch einige Vorteile: Sie kuratieren Inhalte und nehmen den Nutzern die Entscheidung zum Teil ab, was im Programm am Abend läuft. Unsere Erhebungen haben gezeigt, dass zirka 80 Prozent aller Streamingnutzer von der großen Auswahl an Inhalten überfordert sind und viel zu viel Zeit damit verbringen, den passenden Inhalt für den Abend zu finden.

Warum gründen europäische Fernsehsender nicht eine Gemeinschaftsproduktion und stellen exklusiven fiktionalen Content her?
Die Koordination unterschiedlicher Interessen und möglicherweise auch unterschiedlicher nationaler oder regionaler Fördermittelprogramme ist nicht so einfach. Dazu kommt, dass kulturell entlang der Sprachgrenzen doch einige Unterschiede im Bedarf existieren. Nichtsdestotrotz sehe ich diese länderübergreifende Zusammenarbeit, etwa bei öffentlich-rechtlichen Programmveranstaltern etwa bei Arte und Co. oder bei einem länderübergreifenden TV-Netzwerken. Sky strahlt «Das Boot» ja nicht nur in Deutschland aus. Bei «Babylon Berlin» haben sogar öffentlich-rechtliche und private Veranstalter zusammengearbeitet.

Wohin entwickelt sich Streaming im westeuropäischen Raum. Werden bald schon einige Dienste schließen oder fusionieren?
In Westeuropa und insbesondere in Deutschland erleben wir immer neue Streamingplattformen, die an den Start gehen. Der Markt fragmentiert sich immer weiter. Aus meiner Sicht wird das nicht ewig so weitergehen: Bereits heute ist im Streamingmarkt ein einsetzendes Plateau in der Nutzung erkennbar. Einige Zielgruppen wenden sich von klassischen Streamingangeboten zu Gunsten von TikTok und Co. schon wieder ab. Während es also ständig mehr Angebote gibt, ist der Markt tendenziell schon gesättigt. Ich rechne fest damit, dass wir eine Konsolidierung des Marktes sehen werden. Wie schnell, das hängt davon ab, wie viel Geduld die Investoren hinter länderspezifischen negativen Gewinnrechnungen ihrer Angebote mitbringen.

Die Tagesprogramme deutscher Sender werden immer älter. Viele Serien haben ein bis zwei Jahrzehnte auf dem Buckel, neue Formate kommen kaum nach. Treibt das Rezipienten zum Streaming?
Wie bereits gesagt, rechne ich damit, dass sich die Nutzung von TV-Angeboten verändern wird. Streaming hat Vorteile bei der Aggregation von Filmen und Serien und internationaler Skalierung. Klassisches TV ist stark im Kuratieren, in lokalen und regionalen Inhalten und vielleicht auch beim Schaffen und Übertragen von Events – auch jenseits von Sport.

Amazon, Netflix & Disney bieten Werbestreaming-Abos an. Könnten diese neue Angebote Milliarden von Werbegeldern vom linearen Fernsehen ins Streaming verschieben? Müssen ProSieben & Co. Angst haben?
Es findet bereits heute eine Verschiebung der Werbeumsätze über Cross-Media-Budgets statt. Der Markt ist hier extrem im Wandel und natürlich wird Werbung im Streaming zu Veränderungen führen. Durch die bessere Adressierbarkeit kann es effizienter werden, die gewünschte Zielgruppe per Online-Video-Werbung oder per Streaming-Video-Werbung zu erreichen. Stand heute glaube ich aber noch an einen komplementären Effekt von eher auf die Masse ausgerichteter Werbung im klassischen Fernsehen vs. solcher mit genauem Targeting auf der anderen Seite. Aber ja, der Markt ändert sich hier und klassische Anbieter werden zunehmend unter Druck geraten.

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