Hingeschaut

«Hart aber fair»: Eine enttäuschende Sendung über Enttäuschung

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Gleich acht Gäste hatte Louis Klamroth in seiner ersten neuen Ausgabe, in der er Grundsatzdiskussionen anbieten wollte. Der Rezipient vor dem Fernseher blieb hilflos zurück.

Innerhalb von acht Tagen hatte Das Erste gleich zwei Premieren am späten Abend. Die ehemalige «Tagesthemen»-Moderatorin Caren Miosga ging am 21. Januar als «Tatort»-Nachfolgeprogramm auf Sendung und will seither ein intimes Gespräch mit maximal drei Gästen pro Woche anbieten. In die andere Richtung ging das Team um Louis Klamroth und dessen eigener Produktionsfirma Floria Factual, die Frank Plasbergs Ansager & Schnipselmann ablöste.

Klamroth, der eigentlich ein Jahr lang «Hart aber fair» im Ersten moderierte und zwischen 2016 und 2021 «Klamroths Konter» bei ntv moderierte sowie mehrere Ausgaben «Die ProSieben-Bundestagswahl-Show» drehte, sollte eigentlich ein Händchen für politische Talkshows haben. Doch der 34-Jährige musste in den vergangenen Monaten viel Kritik einstecken.

„Wut, Proteste, neue Parteien: Wer hält unser Land noch zusammen?“ ist ein Thema, das mit acht verschiedenen Gästen nicht in 75 Minuten besprochen werden kann. Durch den überaus langen Einspielfilm der selbständigen Frisörmeisterin Zuhra Visnjic wird das Thema auch nicht wirklich besser aufgefächert. Die Remscheiderin bekommt einen Film von ihrer Arbeit im Saloon gezeigt, eine Kundin kommt zu Wort und auch ihr Ehemann, ein Busfahrer, darf seinen Unmut über die allgemeine Preissteigerung mitteilen. Es dauert sechs Minuten und zwölf Sekunden, ehe zum Gespräch zwischen „Bürger“ und den drei eingeladenen Politkern kommt. Mit Carsten Linnemann hat man den CDU-Generalsekretär bekommen, Carsten Schneider (SPD) ist Beauftragter der Bundesregierung für Ostdeutschland und Sahra Wagenknecht hat mit BSW erst kürzlich eine neue Partei aus dem Boden gestampft.

Doch Tacheles wird bei «Hart aber fair» nicht gesprochen. Der Friseurin und Arbeitgeberin bleibt nach Abzug der Kosten kaum etwas zum Leben übrig. Die Erhöhung des Mindestlohnes findet sie schwierig, denn sie könne ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen und müsse sich von einem trennen. Das Problem an der Konfrontation von Zuhra Visnjic mit den drei Polikern: Sie stellt keine konkrete Frage. Klamroths Moderationsfähigkeiten beschränken sich in diesem Punkt „Herr Schneider“ zu erwähnen. Das nutzt natürlich der Politiker, indem er sich in typischem Politiker-Sprech für die Wählerstimme von Frau Visnjic bedankt und dann Binsenweisheiten erzählt („Die wirtschaftliche Lage ist aktuell besser als die emotionale Wahrnehmung“), er zollt den Menschen Respekt für die Arbeit. „Er will sie noch nicht als Wähler verloren geben, aber wie sieht’s bei der neuen Partei von Sahra Wagenknecht aus?“, so Klamroth und der dann auch eine Frage präsentieren kann: „Wie würden Sie konkret dafür sorgen, dass Frau Visnjic mehr Geld in der Tasche hat?“ Man muss Wagenknecht diesen Punkt lassen, sie spricht ein paar wichtige Dinge an. Das wird sogar durch einen Einspielfilm bestätigt, den die Redaktion produzieren ließ. Die Steuererhöhungen, Angleichungen und Umverteilungen führen dazu, dass Singles mit schlechteren Einkommen unterm Strich weniger übrig haben.

Carsten Linnemann platzt in Minute elf schon das erste Mal metaphorisch der Kragen, weil er die Gesprächssituation auf den Tisch bringt, die Klamroth selbst nicht unter Kontrolle bekommt. Der CDU-Generalsekretär spricht „selbstkritisch“, wie er betont, dass das Land zu viel Geld abnimmt und dann wieder unter den gesamten Akteuren verteilt. Zahlreiche Wirtschaftsjournalisten beklagen ohnehin, dass die Bundesregierung ein Steuersystem geschaffen hat, dass dem Mittelstand erst hohe Abgaben verlangt, aber diese durch die gesamten Steuerrückerstattungen wieder vermehrt zurückbekommt. Als Linnemann das Bürgergeld schlechtredet, greift Klamroth nicht ein. Schließlich sind Menschen, die nicht arbeiten wollen, eine kleine Randgruppe in Deutschland. Auf Bürgergeld-Niveau zu leben, ist für viele weiterhin kein Zuckerschlecken.

Schließlich geschieht in Minute elf schon der erste Fauxpas, wenn Linnemann seine Argumentation zu Ende bringen möchte. „Sind wir noch da, wenn Sie anfangen?“, fragt die Friseurmeisterin, „oder sind wir schon kaputtgewirtschaftet?“ Das kann Linnemann natürlich nicht beantworten. Der CDU-Generalsekretär erzählt dann noch die Geschichte, dass er auf einen Metzgermeister traf, der seinen Laden abschloss und sich eine andere Arbeit suchte. „Er sagte, das sei die beste Entscheidung gewesen“. Obwohl das durchaus Sinn ergibt, bittet Linnemann die Friseurin trotz schwankenden Umsatzes weiterzumachen. Linnemann betonte, dass er in einem Land mit starkem Mittelstand leben möchte. Warum seine Union 16 Jahren die Regulierungsauflagen auf ein neues Maß nach oben schraubte, Gebühren anhob und weitere Hürden aufstellte, fragte Klamroth nicht. Stattdessen warb Linnemann weiter für die Abschaffung des Bürgergelds, obwohl diese Forderung überhaupt nichts mit dem Thema zu tun hatte. Punkt für Klamroth, er fragte Visnjic sehenden Auges, ob ihr damit überhaupt geholfen sei. „Nein, ich bekomme kein Bürgergeld.“ Punkt versenkt, Linnemann abgewürgt.

Nach 40 Minuten Tristesse sieht man Louis Klamroth bei den Bauern-Protesten, in Minute 48 ist er beim Bündnis Sahra Wagenknecht. „Deutschland habe die dümmste Regierung aller Zeiten“, hat Klamroth vom Parteitag aufgegriffen. Man kümmert sich bei «Hart aber fair» weiter um Nebenschauplätze und vor allem soll Louis Klamroth stets in Szene gesetzt werden.

Besonders der zweite Teil ist doch verwunderlich, wenn der Soziologe Nils Kumkar über die Politik-Verdrossenheit spricht. Dazu kommt schließlich gegen Ende der Sendung auch Maria Fichte, die eine Demonstration gegen Rechts in Freiberg organisierte. Doch den Cut, den die Redaktion in der Mitte der Ausgabe machte, wäre nicht nötig gewesen. Stattdessen hätte man sich nicht im Klein-Klein über die Probleme eines Friseurladens unterhalten müssen, ehe man eine Art zweite Folge einführt. Vor allem macht es sich Klamroth sehr einfach, künftig als außenstehender Moderator zwischen den Seiten zu vermitteln, statt harte Fragen an die Politiker zu stellen. So ist Zuhra Visnjic nicht nur die schlecht bezahlte Frau aus Remscheid, die vor ihrem Auftritt gar nicht überblicken kann, dass sie mit ihren Aussagen, die Erhöhung des Mindestlohns sei falsch, einen Shitstorm in Remscheid bekommen könnte. Journalistische Verantwortung? Fehlanzeige. Aber was will man schon erwarten, wenn das Thema „Wut, Proteste, neue Parteien: Wer hält unser Land noch zusammen?“ heißt und damit Alles und Nichts gemeint ist. Vielleicht sollte die ARD endlich mal nach Talkshow-Moderatoren suchen, der auf eine bessere Vita zurückblicken kann. Markus Feldenkirchen talkt beispielsweise wunderbar bei Spiegel.de. «Hart aber fair» ist der schlechteste aller Polittalks im Ersten – auch schon unter Plasberg war dies keine wirklich gute Sendung gewesen.

Aber wenigstens ist das Studio schön.

«hart aber fair» läuft montags um 21.00 Uhr im Ersten.

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