Die Kritiker

«Sie sagt. Er sagt.»: Die Kür vor den Richtern

von

Oliver Berben, Jan Ehlert und das Team von Sarah Kirkegaard haben das dritte Kammerspiel von Ferdinand von Schirach auf die Bildschirme gebracht.

Die Werke von Ferdinand von Schirach sind immer eine Spur besser als die seiner Autoren-Kollegen. Sein erstes Theater-Werk «Terror» behandelte den Fall eines Bundeswehr-Piloten, der ein Flugzeug mit unschuldigen Passagieren abschoss. Wie sich in diesem Fall herausstellte, war dieser Abschuss eine Verkettung von unglücklichen Situationen. So hat keiner der verantwortlichen Politiker im Krisenstab die vollbesetzte Allianz Arena im Münchner Norden räumen lassen, obwohl das entführte Passagierflugzeug den Landeanflug vornahm.

Gerichts-Dramen sind Kammerspiele. Sie können in Minuten zu Ende sein, aber auch Stunden nach sich ziehen. Das echte Leben schreibt spannende Geschichten, weshalb zahlreiche Autoren eigentlich Schlage vor deutschen Gerichtskomplexen stehen müssten, um Material für dieses Genre zu bekommen. Allerdings muss man sagen, dass bislang nur von Schirach Stoff kam.

Wenn ein Staatsanwalt zum Gericht geht und eine Anklage vornimmt, dann muss der Fall schon eine gewisse Beweislast haben. Ein Bauern-Theater wie bei Barbara Salesch gibt es in deutschen Gerichten nicht. Hier wird schon vorher ermittelt, ob der Täter überhaupt Grund hatte. Die Fälle von Salesch würden nicht vor Gericht gehen, vermutlich hätten Salesch und ihre Staatsanwälte auch schnell ihre Jobs los, wenn sich eine solche Routine einschleichen könnte. Sollte ein Gericht ein Strafverfahren eröffnen, dann wird auch hier Substanz vorhanden sein.

Der Autor dieser Zeilen hat fünf Jahre als Schöffe bei Gericht mit einem Co-Schöffen sowie einem bis drei hauptamtlichen Richtern verschiedene Verfahren durchlaufen. Da war beispielsweise die Revision eines Drogen-Konsumenten, der sich mit Speed motivieren konnte. Sein Verfahren wurde erneut verhandelt, weil in einer psychiatrischen Einrichtung festgestellt wurde, dass er vermutlich an einer starken Form von ADHS leidet. Ihm wurde also etwas wie Ritalin verschrieben, wo ein Speed-ähnlicher Stoff enthalten ist. So konnte er die Haft in einem Krankenhaus fortsetzten und musste nicht wieder in eine Strafvollzugsanstalt. Es ist aber auch vorgekommen, dass sich ein versuchter Mord „nur“ als ein Delikt häuslicher Gewalt bei einem Ehepaar herausstellte, bei dem sich ein Schuss löste. Ein drogenabhängiger Wirt fuhr gleich mehrfach unter Alkoholeinfluss. Dieser Fall brachte erstaunliche Ergebnisse zu Tage: Beim Prozess saß er wohl am Ende doch leicht betrunken im Saal.

In «Sie sagt. Er sagt», geschrieben von Ferdinand von Schirach, und verfilmt von Matti Geschonneck, sitzt die Fernsehmoderatorin Katharina Schlüter (Ina Weisse) im Saal und spricht über die Vergewaltigung durch den Wirtschaftsboss Christian Thiede (Godehard Giese). Die Vorsitzende Richterin, verkörpert von Johanna Gastdorf, versucht immer wieder die Zuschauer in die komplexe Reise des Gerichts mitzunehmen. Es werden zunächst die Eröffnungsdialoge gesprochen und schließlich das Publikum für die Aussage der Moderatoren ausgeschlossen.

Zwar ist das Filmen im Fall untersagt, doch Journalisten und andere Besucher können alle Informationen, die gesagt werden, komplett verwenden. Es gibt keine Verschwiegenheitsklausel. Be Gericht kommt dazu, dass jede Akte und auch jedes Foto, das zur Entscheidung des Falles beitragen soll, auch den Zuschauern gezeigt und vorgelesen wird. Das kann mitunter Stunden gehen und mit Hilfe von Smartphones könnten diese Details aufgezeichnet werden, was rechtlich aber nicht erlaubt ist. Aber das ist auch schon vorgekommen.

Die Zuschauer von «Sie sagt. Er sagt.» machen eine wilde Reise durch das Leben der zwei erfolgreichen Menschen durch. Die erfolgreiche Moderatorin bei einem öffentlich-rechtlichen Sender, die dann nicht mehr wirklich arbeiten kann und natürlich auch eine Familie hat. Und der Geschäftsmann, der versucht diese Vergewaltigung abzustreiten. Es wird mit harten Mitteln gekämpft. Anwalt Biegler, dieses Mal verkörpert von Matthias Brandt, ist ein eiskalter Hund, der auch gerne das Geschehen kommentiert und damit natürlich auch die Aussagen von Frau Schlüter untergraben will. Anders als in den Vereinigten Staaten von Amerika muss in Deutschland keine große Jury überzeugt werden, sondern lediglich fünf Personen. Für eine einfache Mehrheit im Richterzimmer reichen dann auch drei Beteiligte, die an die Unschuld glauben.

Autor Ferdinand von Schirach kann es wie kaum ein Zweiter in einem Justiz-Drama immer wieder die Sachlage zu drehen. Der Autor dieser Zeilen kennt dies aus anderen Verfahren, dass Staatsanwälte, Anwälte der Verteidigung, aber auch der führende Richter immer wieder ein Ass aus dem Hut zaubern und der Prozess sich in eine andere Richtung entwickelt. Eine Ermittlungsbeamtin soll in einer Minute noch sagen, ob Katharina Schlüter sich verdächtig verhalten habe, als sie bei der Polizei aussagt. Durchaus, sie habe kaum Emotionen gezeigt. Eine Forscherin sagt schließlich, dass es absolut keine normalen Verhaltensmuster gibt. Ein Mensch wie eine professionelle Moderatorin könne gefasster eine Aussage bei der Polizei tätigen. Es ist ein Katz-und-Maus-Spiel zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidiger, um den Firmenboss Christian Thiede zu überführen.

Bei «Sie sagt. Er sagt.» ist es am Ende irrelevant, ob das Gericht Christian Thiede schuldig spricht. Der Titel zeigt schon, dass es hier um die Aufarbeitung eines Themas gibt. Es gibt Vorwürfe, Beweise und Indizien. Aber kann sich die Moderatorin Schlüter für das Abservieren von Thiede einfach gerächt haben? Der neue Film von Matti Geschonneck zeigt auch dieses Mal kein Bild in das Richterzimmer, in dem Richter mitsamt Schöffen den Fall verhandeln. Aber es wäre nicht von Schirach gewesen, der das Drama geschrieben hätte, denn es endet auf eine ganz besondere Art und Weise.

«Sie sagt. Er sagt.» ist in der ZDFmediathek verfügbar. Der Film läuft am Montag, den 26. Februar, im ZDF.

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