Interview

‚Bei «Disko 76» spielt Geld in dem Sinne eine Rolle‘

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UFA Fiction-Produzentin Sinah Swyter erklärte die Dreharbeiten der neuen RTL+-Serie «Disko 76». Die Serie ist ab Donnerstag bei RTL+ zu sehen.

Hallo Frau Swyter. Sie haben eine neue Serie produziert: «Disko 76». Welche Geschichte erzählt das neue Format?
«Disko 76» erzählt in erster Linie die Geschichte von Doro, die sich aus ihrer einengenden Ehe und den an sie gestellten Erwartungen versucht zu befreien und Zuflucht in der lauten, freien und bunten Diskowelt findet, wo sie nicht nur tollen Tänzen und noch nie zuvor gehörter Musik à la Boney M, ABBA und Co begegnet, sondern auch dem Tänzer Robert.

Im weitesten und gleichzeitig engsten Sinne ist «Disko 76» aber auch die Geschichte einer Suche. Der Suche nach der eigenen Identität. Eine schnell und launig erzählte Coming-of-Age Geschichte im Setting des Diskofiebers mitten im Ruhrpott der 1970er Jahre.

Welche Storylines werden erzählt? Eine Liebesgeschichte, eine Geschichte über Musik oder ein Abenteuer der Zeit?
Im Grunde vereint «Disko 76» alle drei und noch mehr. Es ist eine vielseitige und vielschichtige Serie, die mit einem großen Unterhaltungsversprechen aufwartet, trotzdem nicht auf einen gewissen Tiefgang verzichtet. Neben unserer Hauptfigur Doro erzählen wir noch weitere Figuren mit ihren individuellen Geschichten und (gesellschaftspolitischen) Themen.

So geht es auch um ein damaliges Männlichkeitsbild und der Herausforderung diesem zu entsprechen. Wir haben versucht hier nicht nur in „richtig“ und „falsch“ zu erzählen, sondern immer auch eine Ambivalenz und Fehlbarkeit innerhalb der Figuren zu schaffen, die sich dadurch echt und authentisch anfühlen.

Wir erzählen von Doros Schwester Johanna, die unbedingt Linienpilotin werden möchte, was zur damaligen Zeit in Deutschland Frauen verboten war. Oder Robert, den ein Geheimnis aus seiner ostdeutschen Vergangenheit nicht loslässt und dem er versucht in Bochum auf die Spur zu kommen.

Es sind alles unterschiedliche Geschichten des Möglichmachens, immer gepaart mit viel Spaß, Liebe und dem unbändigen Drang nach Freiheit und Aufbruch. Wie das Leben selbst, sind auch unsere Figuren und ihre Geschichten nicht monothematisch, sondern behandeln vieles gleichzeitig. So glaube ich, wird sich auch ein möglichst breites Publikum angesprochen und in diese Welt eingeladen fühlen.

Doro eröffnet mit ihrem Bruder eine Diskothek. Der Betrieb einer solchen Bar ist äußerst stressig. Sieht man auch die Schattenseiten dieses Betriebs?
Unser Ansatz war es immer wahrhaftig zu erzählen, dennoch ist «Disko 76» eine fiktionale Serie, die eine Geschichte erzählt und nicht behauptet dokumentarisch zu sein. Wir erzählen natürlich, welche Aufgaben es zu erledigen gilt, welche Vorbereitungen getroffen werden etc., aber dies findet alles eher auf einem Amateur-Niveau statt. Unsere Charaktere sind ja absolute Anfänger:innen und Pionier:innen in der Welt der Diskothek. Die Schattenseiten des Diskobetriebs beziehen sich bei unserer Serie konkret vielmehr auf die individuellen Storylines unserer Figuren. Doro und Georg starten die Disko im Geheimen, in der Hoffnung, dass der Vater nichts davon mitbekommt. Doro führt zudem ein Doppelleben als vorbildliche Haus-und Ehefrau und Diskoqueen damit auch ihr Ehemann Matthias nicht misstrauisch wird.

Den Rest belassen wir in der Realität und fokussieren uns in erster Linie auf die Höhen, die die Disko mit sich bringt.

Nicht nur der Spaß steht bei einer Diskothek im Fokus, sondern auch die Faktoren Alkohol und Geld. Nehmen diese Themen auch Raum ein?
Diese beiden Faktoren nehmen keinen großen erzählerischen Raum ein. Sie finden zwar statt, werden aber eher nebensächlich bespielt, um in erster Linie auch Zeitkolorit zu veranschaulichen. So finden typische (alkoholische) Getränke der 1970er Jahre Erwähnung in der Serie, wie der Pink Lady, der Sonnenschein Cocktail oder Kalte Ente.
Geld ist irgendwie immer ein Thema, wenngleich es stets ein schwacher erzählerischer Motor ist. Bei «Disko 76» spielt Geld in dem Sinne eine Rolle, als das die Disko Bochum auch eine Einnahmequelle für die Geschwister ist. Unsere Hauptfigur Doro jedoch für ihren finanziellen Anteil, also ihre Teilhabe an der Disko, einstehen und diesen einfordern muss. Hier zeigt sich wiederum das vorherrschende und etablierte patriarchale Verständnis für die Rolle der Frau und damit ihre Ungleichbehandlung.

Noch in den 90er Jahren konnte man in den Disko-Gängen die Luft mit einem Messer teilen. Wie gehen Sie in der Serie mit dem massiven Konsum von Tabak um? Spielt das eine Rolle?
Natürlich wurde damals mit einer viel größeren Selbstverständlichkeit überall geraucht. Um den Kontrast zu heute, gerade für das jüngere Publikum, zu verdeutlichen, wird in der Serie nicht nur in der Disko punktuell geraucht, sondern auch im Flugzeug, wo es noch bis Ende der 1990er vollkommen normal war zu rauchen. Oder aber beim Arzt – ein gegenläufigeres Bild gibt es wohl kaum. Um diese Gegensätzlichkeiten aufzuzeigen, haben wir uns bemüht, das Rauchen, wenn wir es erzählen, bewusst zu setzen. Aber keine Sorge – keine schauspielende Person wurde gezwungen zu rauchen ;) Wie üblich an Filmsets, sind es auch bei uns Kräuterzigaretten.

Wie schon im Titel angesprochen, spielt die Serie in den 70er Jahren. Was macht diese Zeit so besonders?
Die 70er Jahre stellen in vielen Lebensbereichen wichtige Weichen für unser heutiges gesellschaftliches Miteinander und Selbstverständnis. Zentrale Errungenschaften haben hier ihren Ursprung: allen voran die Frauenbewegung, ein vehementes Einfordern der Selbstbestimmung, aber auch das kritische Auseinandersetzen mit der Nazi-Vergangenheit der eigenen Familie, ein generelles Hinterfragen des Gegebenen und ein großer Freiheitsdrang aus den Zwängen der gesellschaftlichen Normen der Eltern. Da ist die Disko einerseits ein ideales Ventil, andererseits der richtige und sichere Ort, um genau das auszuleben.

Gleichzeitig lassen sich solche fest etablierten Strukturen nicht von heute auf morgen aufbrechen und radikal ändern, dafür profitieren zu viele Personen zu gut aus diesem patriarchalen System. Allein im kleinsten gemeinsamen Nenner, der Familie, wird diese Widersprüchlichkeit sehr deutlich, denn hier prallen die Gegensätze der Generationen und Geschlechter aufeinander und koexistieren eine Zeit lang. Dieser Zustand aus Entfesselung und dem Verharren im Vertrauten macht die 1970er zu einem wahnsinnig spannenden Jahrzehnt.

Und ganz nebenbei bemerkt, setzt dieses Jahrzehnt sowohl modisch als auch musikalisch vollkommen neue Impulse. Der Sound der 70er versprüht eine Lebenslust und Leichtigkeit, die wir auch heute mehr denn je gut gebrauchen können.

Die neue Serie spielt in Bochum. Warum haben Sie sich gegen Hamburg oder München entschieden?
Zum einen stammt der Ideengeber der Serie, Benjamin Benedict, selbst aus Bochum. Da lag die Verbindung nahe. Zum anderen wollten wir keine typische Metropole oder Großstadt als Hotspot der Diskobewegung erzählen, sondern den Pioniergeist von jungen Menschen, die im Herzen Westdeutschlands, im Ruhrpott, vom Diskofieber angesteckt werden. Wir wollten eine andere als die großstädtische Perspektive wählen und was gäbe es Gegensätzlicheres als Kohlenstaub und Diskoglamour?

Für die neue UFA Fiction-Serie haben Sie unter anderem Jannik Schümann, Luise Aschenbrenner, Merlin Sandmeyer und Natalia Wörner unter Vertrag genommen. Warum fiel die Wahl auf dieses Ensemble?
Neben der Musik, den Tänzen und den tollen einzelnen Storylines, die unser großartiger Writers‘ Room entworfen hat, ist das große Pfund dieser Serie ganz eindeutig unser Ensemble! Wir haben damals sehr breit gecastet und hatten für keine der Rollen bereits eine klare Besetzung vor Augen. So romantisch und idealistisch es auch klingt, als wir dann die Castingvideos erhielten, war bei so gut wie allen Rollen ziemlich schnell klar: Nur du kannst Doro sein oder Robert oder Frank, usw. Es hat sofort Sinn ergeben, wenngleich es im Nachhinein auch ein Wagnis war, da wir alle Schauspielenden nur durch eCastings besetzt und sich die meisten Paare oder unsere Serien-Familie erst bei den Proben kennengelernt haben. Die Not (Corona-Lockdown) macht’s möglich.

Musikrechte in Serien sind nicht immer einfach zu lizenzieren. Haben Sie die dauerhaften Rechte sichern können? Oder klingt «Disko 76» in fünf Jahren anders?
Dadurch, dass ich als Produzentin der UFA Fiction diese Serie als vollständige Auftragsproduktion für RTL produzieren durfte und sie am 1. April bei NITRO ausgestrahlt wird, konnten wir musikalisch aus dem Vollen schöpfen. Insbesondere für eine Disko-Serie, die den Anspruch verfolgt, nicht nur wahrhaftige und authentische Figuren zu erzählen, sondern auch den Diskosound von damals in die Wohnzimmer von heute zu holen, alternativlos. Soundalikes von Ikonen wie ABBA, Boney M., Donna Summer und Co. wären einfach nicht dasselbe.

Gibt es Möglichkeiten einer Fortsetzung der Serie?
Erzählerisches Potenzial für eine Fortsetzung gibt es mit Sicherheit. Wir haben viele Figuren, aber auch noch viele weitere gesellschaftspolitische Themen nicht auserzählt bzw. überhaupt erzählt. Wir hoffen nun erst einmal auf einen erfolgreichen Start der ersten Staffel bei RTL+.

Danke!

«Disko 76» ist ab 28. März bei RTL+ zu sehen und läuft am Ostermontag ab 20.15 Uhr bei Nitro.

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