Am 4. März bezogen insgesamt 17 Kandidaten die Kulisse der zurückliegenden «Promi Big Brother»-Staffel für eine Normalo-Variante von «Big Brother». Obwohl die Show als „Joyn-Orignal“ bezeichnet wird, räumte der TV-Sender Sat.1 seine Primetime am Montagabend frei und begrüßte zur besten Sendezeit neben den 17 Container- Bewohnern auch rund eine Million Zuschauer. Mit einem Zielgruppen-Marktanteil von 7,0 Prozent lief es für die Einzugsshow passabel, auch wenn man sich von diesem Prestige-Projekt durchaus mehr Zugkraft hätte versprechen können.
Tatsächlich spielt sich die Verwertung von «Big Brother» vor allem bei Joyn ab, Sat.1 nimmt die Sendung jeweils am späten Montag gegen 22:30 Uhr ins Programm. Für den ProSiebenSat.1-Streamingdienst scheint das Format aber tatsächlich gut zu performen. Eine Woche nach dem Sendestart teilte die Plattform mit, dass es sich um den „erfolgreichsten Start eines Reality-Programms im kostenfreien Bereich von Joyn seit Bestehen“ handele. Bei Konkurrenten wie «Die Obert-Connection» oder «Calvin am Goldstrand» muss die Frage erlaub sein, wie viel das wirklich wert ist. Zu Beginn habe die Verweildauer im «Big Brother – 24 Stunden Livestream» auf Niveau des erfolgreichen 24/7-Livestreams von «Promi Big Brother» Ende vergangenen Jahres gelegen. Konkrete Zahlen nannte das Unternehmen aus dem Münchner Umland natürlich nicht, das gehört im Streamingbereich zur Tagesordnung. Doch zahlreiche Player weißen inzwischen zumindest konkrete Nutzerzahlen aus, Netflix gibt im Wochentakt sogar Abrufzahlen seiner Formate aus. Selbst DAZN arbeitet mit der AGF Videoforschung zusammen, um Reichweiten unabhängig zu messen.
Joyn ist mit seinen Informationen deutlich sparsamer. Thomas Münzner, Vice President Content Joyn, gab im März an, dass der Start von «Big Brother» auf Joyn „gelungen“ sei und die „anvisierten Ziele“ übertroffen habe. Welche Ziele das genau sind, ist nirgends einsehbar. „Die Zahl der neuen Abonnentinnen und Abonnenten, die sich durch «Big Brother» für Joyn PLUS+ entschieden haben, liegt ebenfalls über unseren Erwartungen. Gleiches gilt für unsere «Big Brother»-Inhalte im AVoD-Bereich“, ließ sich Münzner in der am 11. März verschickten Pressemitteilung zitieren.
Unabhängige Zahlen gibt es nur für die Entscheidungsshows, die montags in Sat.1 laufen, sowie die im Anschluss gesendeten Tageszusammenfassungen, die jeden Abend kostenlos bei Joyn erscheinen. Vor allem die Sat.1-Sendungen haben in dem Monat seit dem Start wahrlich keine gute Entwicklung genommen. Was mit der eingangs erwähnten soliden Leistung begann, entwickelte sich schnell zu einem Flop. Die zweite Sendung, gestartet um 22:50 Uhr, erzielte in der werberelevanten Zielgruppe zwar noch 6,8 Prozent, Show drei erreichte nur noch 5,3 Prozent. Die Reichweite sank wegen der späteren Sendezeit selbstverständlich signifikant. 0,53 Millionen Zuschauer reichten zwar zunächst für durchschnittliche 4,5 Prozent beim Gesamtpublikum. Mitte März standen aber schon nur noch 3,4 Prozent zu Buche. Am 25. März begann die Sendung ebenfalls um 22:21 Uhr. Der Sendeplatz etablierte sich aber nicht beim Publikum, das Interesse sank auf 0,35 Millionen. Aus der Zielgruppe stammten weniger als 100.000 Zuschauer. Der Marktanteil hier wurde auf desaströse 2,9 Prozent beziffert. Die bislang letzte Show, die am Ostermontag gesendet wurde, kam um 22:35 Uhr nur noch auf 2,2 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe.
Auch die am 23. März eingeführten Livestreams am Samstagmorgen sind quotentechnisch ein Totalausfall. Die rund dreistündigen Sendestrecken zwischen 8:00 und 11:00 Uhr sorgten in den vergangenen drei Wochen für 4,0, 3,8 und zuletzt miserable 1,7 Prozent. Wie zufrieden Sat.1 mit der Performance des Formates ist, bleibt aber unklar. Eine Anfrage dieser Redaktion blieb vielsagend unbeantwortet. Auch zu konkreten Nachfragen zur Performance bei Joyn äußerte man sich nicht.
Ein Lebenszeichen veröffentlichte Joyn am Montag in Form einer Zusammenfassung des ersten Quartals 2024. Man machte nichtssagende Angaben wie „6 Prozent Plus bei den Video-Nutzer:innen. 13 Prozent Plus bei der Watchtime“, verglich die Werte aber nun mit dem Vorjahresquartal. „Joyn bricht im ersten Quartal 2024 alle Rekorde und legt das stärkste Quartal aller Zeiten hin. Insgesamt brillierten die Top-25-VoD-Programme der Streaming-Plattform der ProSiebenSat.1 Media mit 37,4 Millionen Stunden Watchtime“, ließ die Plattform wissen. Weitere Angaben sind Fehlanzeige. Zwar nannte man «Big Brother» als einen der stärksten Wachstumstreiber bei „Nutzer:innenzahl sowie Watchtime“, harte Zahlen ließ man vermissen. Wird der Livestream weiterhin so gut angenommen wie zu Beginn? Konnte «Big Brother» die Leistung der ersten Woche bestätigen oder gar verbessern?
Zumindest in einem Punkt muss man der eingeschlagenen Joyn-Strategie einen Erfolg beimessen: Bert Habets, CEO der ProSiebenSat.1 Media SE, forderte zuletzt „die Nutzung und Nutzerbasis von Joyn mit zweistelligen Wachstumsraten pro Jahr weiter zu steigern“. Diese Vorgabe könnte man zunächst als erfüllt ansehen, doch Joyn veröffentlicht auch erst seit etwas mehr als einem halben Jahr regelmäßig eigenproduzierte Inhalte. Zuvor wurden gefühlt nur alle paar Monate neue Inhalte präsentiert. Wirklich nachhaltig war die Strategie zahlreiche Content Creator für einzelne Events zusammenzutrommeln nicht.
Wachstum im Streamingbereich verzeichnet Joyn ohnehin nicht exklusiv. Auch die ARD Mediathek sprach an diesem Vormittag beim Nutzungsvolumen von einem Plus von 27 Prozent im ersten Quartal gegenüber dem Vorjahresquartal. Im Schnitt hätten die Nutzer täglich rund 3,3 Millionen Stunden Videos in der ARD Mediathek gestreamt. Während Joyn neben «Big Brother» «Wer stiehlt mir die Show?», «Germany's Next Topmodel», das als „Reality-Kracher“ bezeichnete «Forsthaus Rampensau Germany», das bereits Ende 2023 auf der Plattform vollständig abrufbar war sowie die Serien «House of the Dragon» und «Die Landarztpraxis», deren letzten Episoden schon am 8. Januar 2024 erschienen, als Erfolgsformate nannte, wartet die ARD mit einem Füllhorn an Formaten unterschiedlichster Gattungen aufwarten.
Der gefragteste Titel war die achtteilige Mystery-Serie «Oderbruch», die laut ARD-Angaben 10,5 Millionen Streamviews generierte. Selbstverständlich gilt auch hier: Die Daten sind mit Vorsicht zu genießen, schließlich kommen sie vom Anbieter selbst. Im linearen Fernsehen war «Oderbruch» immerhin kein Erfolg. Dies gilt auch für «Haus aus Glas», die Miniserie wurde durchschnittlich von 3,27 Millionen Zuschauern im Ersten gesehen, die sechs Folgen kam in der Mediathek auf 7,8 Millionen Views. „Die ARD Mediathek erreicht täglich 2,8 Millionen Menschen und ist damit das reichweitenstärkste Streaming-Portal der deutschen Fernsehsender“, wie die ARD in ihrer Pressemitteilung betont. Wie weit man damit vor Joyn liegt, wird man vorerst nicht erfahren.
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