Herr Thum, Sie sind nun seit 10 Jahren erfolgreich als Filmkomponist tätig. Wie hat für Sie alles angefangen?
Film und Filmmusik im Besonderen haben mich schon von klein auf fasziniert. Ab 2010 habe ich dann in Trossingen Musik und Komposition studiert - ein Jahr davon auch in Los Angeles. Über einen Professor kam ich dort mit dem Filmkomponisten Lorne Balfe in Kontakt, der bei Hans Zimmers Remote Control Productions arbeitete. Das war 2014. Mir wurde bei Lorne dann eine Stelle angeboten, und damit fing alles so richtig an.
Zwischen 2014 und 2020 waren Sie dann Teil des Teams bei Remote Control Productions in Los Angeles und hatten die Chance, mit Komponisten wie Hans Zimmer und Lorne Balfe zusammenzuarbeiten. Wie war diese Zeit für Sie?
Direkt nach dem Musikstudium war das wie ein Sprung ins kalte Wasser. In den ersten Jahren war ich direkt in große Hollywood-Filme wie «Terminator: Genisys» und «Kung Fu Panda 3» involviert. Über die Jahre folgten dutzende weitere Titel wie «Mission Impossible: Fallout» und «Top Gun: Maverick», und über die Jahre wurde mir als Komponist immer mehr Verantwortung zuteil. Nebenbei entstanden dann auch eigene Projekte wie «Crawl» für Paramount Pictures. Es war eine aufregende Zeit, in der ich unheimlich viel gelernt habe.
Als Mitglied eines großen Teams hatten Sie sicherlich vielfältige Aufgaben. Welche Aufgabe hat Ihnen am meisten Freude bereitet, und auf welche Aspekte muss man besonders achten, wenn man einen Soundtrack komponiert?
Über die Jahre hat sich das immer weiter entwickelt. Nach ersten Anfängen als Arrangeur habe ich später Musik für komplette Filmabschnitte komponiert. Das macht natürlich auch am meisten Spaß. Für «Mission Impossible: Fallout» habe ich bspw. viele der großen Action-Szenen übernommen, für die wir auch auf die klassischen Melodien von Lalo Schifrin zurückgreifen konnten. Wir besprechen vorab im Team, welche Szenen welche Art von Musik brauchen, und arbeiten uns durch den Film. Dabei ist es wichtig, den Film und den Stil der Musik ganzheitlich im Auge zu behalten, damit alles wie aus einem Guss klingt. In Hollywood ist es absolut üblich, in solchen Teams zu arbeiten, und dieses Konzept überträgt sich ja auch auf die Arbeit zwischen Komponist, Regisseur, Cutter und Tonmischer. Filmemachen ist Teamarbeit.
Für einige große Hollywood-Filme kann die Kompositionsarbeit sehr strukturiert ablaufen. Gab es Projekte, bei denen Sie das Gefühl hatten, dass Sie besonders viel Herzblut und Kreativität einbringen konnten?
Die Arbeit als Komponist beginnt üblicherweise sehr spät, wenn der Film schon kurz vor der Fertigstellung steht. Oftmals bleiben mir zwei bis drei Monate Zeit, manchmal aber auch deutlich weniger. Eine gute Organisation und Zusammenarbeit ist dann wichtig, und Zeit für Experimente ist knapp. Bekannte Filmreihen wie «Mission Impossible» oder «Kung Fu Panda» haben zudem auch schon einen etablierten Sound, der als Vorlage gilt. Kreativität ist aber dennoch gefragt, denn man will musikalisch auch nicht auf der Stelle treten. Die reizvollsten Projekte sind für mich aber immer die, die eine offenere Spielwiese und mehr Zeit und Raum für Experimente bieten. «Stockholm Bloodbath», mein neuester Score, ist so ein Beispiel. Ich konnte früh mit ersten musikalischen Ideen beginnen, noch bevor der Film geschnitten wurde, und hatte insgesamt über sechs Monate Zeit, die ich sehr genossen habe. Das Ergebnis ist eine Kombination aus sinfonischem Orchester, skandinavischem Folk und modernen Rock-Einflüssen von Nine Inch Nails bis Velvet Underground.
Sie haben auch an Videospielen wie FIFA 19 und Marvel's Spiderman 2 mitgewirkt. Empfanden Sie diese Arbeit als grundlegend anders im Vergleich zu Film- und Fernsehprojekten, oder sehen Sie mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede?
Ein wichtiges Element in FIFA 19 war ja der Story-Modus, in dem viel über Cutscenes erzählt wurde. Im Prinzip sind das nichts anderes als Szenen in einem Film. Sie laufen linear ab, da ist dann kein großer Unterschied. Anders funktioniert natürlich die Arbeit an einem Spiel wie „Spiderman 2“, wo sich der Spieler frei durch eine Großstadt bewegen kann. Hier muss sich die Musik den Entscheidungen des Spielers fließend anpassen können, und muss dementsprechend auf eine ganz bestimmte Art und Weise komponiert werden, um das zu gewährleisten.
Sie haben vorhin gesagt, dass Filmemachen Teamarbeit ist. Wie gestaltet sich diese Zusammenarbeit, wenn es z.B. um die Entwicklung der musikalischen Ideen in großen Filmen wie «Top Gun: Maverick» geht?
«Top Gun» war ein besonderer Fall. Zum einen war klar, dass wir die ikonische Musik von Harold Faltermeyer aus dem ersten Film aufgreifen würden. Ohne sie ist es nicht «Top Gun». Hans Zimmer und Lorne Balfe haben dazu beiderlei neue Ideen hinzugefügt, und auch der Song, den Lady Gaga für den Film geschrieben hat, hatte Einfluss auf die Filmmusik. Im Team haben wir also all diese Ideen miteinander verwoben, die klassischen Melodien modernisiert und in einen neuen Kontext gesetzt.
Nach insgesamt sieben Jahren in Los Angeles hat es Sie wieder zurück nach Deutschland gezogen. Wie kam es zu dieser Entscheidung?
Die Zeit in LA war eine unheimlich wertvolle Erfahrung, aber es hat mich persönlich tatsächlich immer wieder zurück nach Deutschland bzw. Europa gezogen. Ich hatte zu der Zeit einfach das Gefühl, der Zeitpunkt für etwas Neues war gekommen. Andererseits war durch die Streaming-Dienste neue Bewegung in der europäischen Film- und Serienlandschaft zu sehen, was ich reizvoll fand. Das war Anfang 2020. Und dann kam Corona, was natürlich keiner planen konnte. Genau diese Zeit hat mir aber bewiesen, dass die Arbeit an Hollywood-Filmen auch auf Distanz problemlos funktioniert. Ich arbeite nun von Berlin aus, kann mich auf europäische Projekte konzentrieren und habe trotzdem weiterhin die Möglichkeit, nebenbei noch große US-Produktionen wie zuletzt «Aquaman 2» zu begleiten.
Nach den vielen Jahren in Los Angeles: Wie sehen Sie die deutsche Filmindustrie, insbesondere im Hinblick auf die Verwendung von Soundtracks? Gibt es Unterschiede in der Herangehensweise, die Ihnen besonders auffallen?
Die Filmindustrie ist ständig im Wandel, und zwar weltweit, und damit sind auch immer wieder andere Trends im Kommen und Gehen. Was in den letzten Jahren zu beobachten war, ist eine gewisse Abkehr der rein bombastischen Orchester-Musik (oder auch "epic music"), die durch die Masse an Superhelden-Filmen allgegenwärtig wurde. Natürlich werden die weiterhin produziert, aber es gilt jetzt mehr denn je, musikalisch kreativer und einzigartiger zu sein. Jede Produktion will irgendwie aus der Masse herausstechen. Natürlich passt so ein "Bombast-Soundtrack" auch nur zu den wenigsten Filmen - in der Regel die mit Budgets um die 200 Mio. US-Dollar - und die gibt es in Europa ohnehin nicht. So wie die Filme hierzulande anders gemacht und erzählt werden, so ist auch die Herangehensweise an die Musik eine andere. Die Klanggestaltung darf hier reduzierter und feinfühliger sein, und das finde ich ebenso reizvoll.
Vielen Dank in die tiefe Einblicke!
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