Im Frühjahr 2023 teilte Anne Will mit, dass sie ihre gleichnamige Talkshow beenden möchte. Fast 20 Jahre talkte die frühere «Sportschau»- und «Tagesthemen»-Moderatorin am Sonntag- und am Mittwochabend. Will war stets bemüht, eine sachliche Diskussion zu führen, aber einige Ausgaben fühlten sich wie ein Schlafmittel an. Wenig überraschend fiel die Wahl der neuen Talkshow-Gastgeberin am Sonntag auf Caren Miosga, weil sie die dienstälteste Moderatorin der «Tagesthemen» ist.
Die Hamburgerin ist also jetzt in Berlin und interviewt die Top-Leute aus der Politik. In der Premierenfolge hatte sie Friedrich Merz zu einem halbstündigen Vier-Augen-Gespräch geladen, dessen Inhalt wirklich bemerkenswert war. Die Zuschauer bekamen Antworten auf die Frage, wie die CDU mit der Problematik umgeht, dass sie sich gleichzeitig von der Alternative für Deutschland (AfD) abgrenzen müsse, aber gleichzeitig auch deren Wähler möchte. Miosga selbst wirkte in diesem Gespräch bestens vorbereitet und ließ Merz nur in den wenigsten Fällen ausweichen. Die Wahl der weiteren Gäste war wirklich gut durchdacht, indem man „Zeit“-Journalistin Anne Hähnig und den Soziologen Armin Nassehi nach einem längeren Einspieler in die Runde platzierte.
Mio Media GmbH lässt «Caren Miosga» im Studio Berlin Adlershof produzieren. Auf derselben Fläche nahmen vorher schon viele Politiker bei Miosgas Vorgängerin Platz. In der dritten Ausgabe musste sich Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) rechtfertigen, warum die Politik mehrere Milliarden an erfolgreiche Unternehmen verteilt, die ihre Werke in Deutschland ansiedeln, während in der Ampel um jede Erhöhung des Bürgergelds gerungen wird. So musste sich Habeck auch der Diskussion stellen, warum der fast preiswerte Agrardiesel für 450 Millionen Euro nicht mehr steuerfrei gemacht werden sollte. Schlussendlich setzten sich die Landwirte durch und der Staat, vor allem der Minister, verteilt Geld an die Großen, während die Kleinen weiter leer ausgehen. An der einen oder anderen Stelle müsste Miosga durchaus kritisch noch länger nachfragen, wie sinnvoll Maßnahmen immer wieder sind.
Mit Bodo Ramelow ging Miosga seine Biografie durch, Markus Söder spielte das Talkshow-Adventure nicht mit. Er teilte ordentlich gegen die Grünen aus, aber verteidigte seine Strategien. Während in Berlin Milliarden an die ausländische Wirtschaft verteilt werden, müsse man so etwas in Bayern nicht machen. München ist beliebt, lebenswert und bietet Fachkräfte. Dort kommen die Menschen und die Unternehmen gerne hin. Söder möchte TikTok nicht der AfD überlassen, schließlich müsse für junge Menschen ein Angebot aufgebaut werden. Das hat die CSU durchaus früh erkannt, Söder polarisiert. Der gebürtige Franke lässt sich aber dann doch immer wieder ein Hintertürchen offen. Er teilte stolz mit, dass die Kandidatur „formal“ bei der CDU liege. Natürlich nicht ausgeschlossen, dass er sich das überlegen würde, wenn Friedrich Merz ihm diesen Posten geben würde. Söder weiß, dass er mit Merz einen starken Gegner hat, der Ambitionen auf dieses Amt hegt.
Anfang April nahm sich Caren Miosga FDP-Chef Christian Lindner zur Brust. Doch die Sendung begann mit einem Gespräch über dessen Jagdausbildung und Erfahrung als Jäger. Er erzählte davon, dass man stundenlang auf der Pirsch sein müsse, ehe man den Tötungsschuss abgeben könne. Damit könnte man auch das ständige Hin und Her in der Koalition beschreiben, und dass Lindner eines Tages für seine Liberalen das Kanzlerleben von Olaf Scholz metaphorisch beendet. Ein schöner Start in eine starke Sendung, die die Gräben zwischen den FDP-Spitzenkandidaten Thomas Kemmerich in Thüringen zeigte. Dieser hatte sich – so sagt es die AfD – mit ihr zum Ministerpräsidenten wählen lassen. Es wurde ein Rücktritt eingeleitet, die Mutterpartei will Kemmerich bei der aktuellen Wahl gar nicht mehr unterstützen. Zusammen mit „Redaktionsnetzwerk Deutschland“-Autorin Kristina Dunz wurde der Bruch in der zweiten Hälfte diskutiert und da kam das eigentliche Problem zum Vorschein: Kommt die FDP überhaupt noch in den Bundestag? Schießt der Finanzminister also nur mit Platzpatronen? Zumindest bis heute steht die Regierung noch.
Richtig agil war die «Caren Miosga»-Redaktion vor eineinhalb Wochen, als sie binnen eines Tages die Sendung umschmiss. Weil der Iran mehrere hunderte Raketen auf Israel abfeuerte, war unter anderem der Islamwissenschaftler Guido Steinberg im Publikum. Der brachte die Thematik auf den Punkt, dass «Caren Miosga» auch nach 15 Minuten Sendezeit hätte beendet werden können. Die wesentlichen Punkte waren geklärt, aber so funktioniert Fernsehen schließlich nicht.
Den Endgegner Björn Höcke von der AfD holte sich Miosga noch nicht ins Studio, stattdessen durfte Bundessprecher Tino Chrupalla Platz nehmen. Im ersten Teil des Gespräches, das Miosga oft nutzt, um Hintergründe des Gastes herauszufinden und selbst große Politiker als normale Menschen erscheinen zu lassen, wurde auch Chrupalla zum netten Mann aus der Provinz. Das Gespräch verlief durchaus positiv, sodass man den Politiker fast mochte. Andererseits stellt sich die Frage, ob Miosga ein solches Gespräch verwehren kann, wenn alle Parteien die Chance bekommen. Wie immer man es macht, es wird Kritik hageln.
Doch mit Siemens-Energy-Aufsichtsrat-Chef Joe Kaeser und Deutschlandfunk-Journalistin Nadine Lindner wurde die Lage für Chrupalla schließlich ernster. Der Politiker wiegelte immer wieder ab, wenn es um Maximilian Krahs Ansichten ging. Doch ein Bundessprecher sollte seinen Laden endlich in Ordnung bringen. In der Partei gibt es schon sehr viele Ausrutscher mit der Maus, Missverständnisse und Einzelmeinungen, die komischerweise alle rechts angesiedelt sind. Selbst Menschen, die sich nicht für Politik interessieren, sollten dieses Muster erkennen.
Chrupalla wolle mehr deutsche Kinder, Ex-Siemens-Chef Kaeser teilte mit, man müsse die Rahmenbedingungen zunächst verbessern, alles andere müssen Frauen klären. Kaeser machte ohnehin eine sehr gute Figur und betonte, dass Geschäftsbeziehungen erschwert würden, wenn die AfD abfällig über Ausländer redet. Kurz vor Ende der Sendung verlor Chrupalla schließlich die Nerven und wurde richtig trotzig, wenn Kaeser und Lindner mit dem AfD-Politiker reden wollten. Mit rechten Politikern auf großer Bühne zu reden, macht also doch Sinn, aber nur wenn die beteiligten Personen gut vorbereitet sind. Bei «Caren Miosga» waren sie es.
Mit den ersten zehn Sendungen hat Caren Miosga eine wirklich gute Arbeit hingelegt. Es bleibt zu hoffen, dass «Caren Miosga» auch in Zukunft eine solche Leistung abliefern kann. Vielleicht sollte die frühere «Tagesthemen»-Moderatorin aber nicht versuchen, dass sie ihre Vorgängerin überholen kann. Mit ihrer neuen Sendung hat sie einen spannenden und interessanten Ansatz, doch das Rückspiel wird künftig anders aussehen müssen. Schließlich kann man in den kommenden fünf Jahren mit Christian Lindner nicht noch vier Mal über das Jagen sprechen. Dennoch: Es gibt noch viele Politiker der ersten Reihe, die bei Miosga Platz nehmen können. Vielleicht kommt auch Bundeskanzler Olaf Scholz vorbei und ist dort ein wenig aufgeweckter als bei seinen TikTok-Videos.
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