Vier Deutsche Filmpreise gab es für Matthias Glasners «Sterben», und damit war das dreistündige Familiendrama der große Abräumer der Verleihung am 3. April in Berlin. Die Lola in Gold gab es für den ‚Besten Film‘, Corinna Harfouch gewann als ‚Beste Hauptdarstellerin, Hans-Uwe Bauer als ‚Bester Nebendarsteller, und Lorenz Dangel für die ‚Beste Filmmusik‘. «Sterben» erreichte auch sofort die Spitze der deutschen Arthouse-Kinocharts. Dabei war es gerade der Filmtitel, der immer wieder Kopfzerbrechen verursachte. Wer würde sich schon einen Film ansehen, der «Sterben» heißt. Aber Regisseur und Drehbuchautor Matthias Glasner beharrte darauf, schließlich ließ er sich von der eigenen Familie inspirieren und setzt sich quasi mit der eigenen Vergangenheit auseinander.
Verwicklungen einer verkorksten Familie
Mit 70 geht es für Lissy (Corinna Harfouch) kontinuierlich bergab. Ihr Ehemann Gerd (Hans-Uwe Bauer) hat eine fortschreitende Demenz und seine Frau ist sichtlich überfordert. Ihr Sohn Tom (Lars Eidinger) lebt als Dirigent sein eigenes Leben und probt hat an dem Konzertstück „Sterben“, geschrieben von Bernard (Robert Gwisdek), der zugleich Toms bester Freund ist. Aber an sich zweifelt und selbstmordgefährdet ist. Seine alkoholkranke Schwester Ellen (Lilith Stangenberg) ist Zahnarzthelferin, die eine Affäre mit ihrem Chef Sebastian (Ronald Zehrfeld) beginnt. Als das Werk „Sterben“ erstmals aufgeführt wird, ist es ausgerechnet Ellen, die im Konzertsaal ein Chaos verursacht. Schließlich zeichnet sich ab, dass der Vater tatsächlich bald sterben wird.
«Sterben» macht sprachlos
Es sind die großen menschlichen Themen, die hier unter einen Hut gebracht werden. Dafür erscheinen drei Stunden fast schon als zu wenig und sie vergehen schneller als man denkt. So sehr wird man an die Figuren gefesselt, die einen manchmal so weit weg erscheinen, aber im nächsten Moment gleich wieder so nah dran an das eigene Dasein mit all seinen Fragen. Emotional ist «Sterben» oftmals auch fürs Publikum schmerzhaft. Besonders eine Szene sorgte bereits bei der Uraufführung von «Sterben» auf der Berlinale für angespannte Sprachlosigkeit. 25 Minuten dauert die Aussprache zwischen Mutter und Sohn, zwischen Corinna Harfouch und Lars Eidinger, in der die ganze Lieblosigkeit in dieser Familie hochkocht. Harfouch und Eidinger spielen diese Szene grandios. Es ist vor allem die Ruhe und Kälte, die die emotionale Sprengkraft zündelt. Das ist zutiefst aufwühlend und für manche womöglich kaum auszuhalten.
Eine Prise Galgenhumor muss sein
Nicht nur die Mutter-Sohn-Situation erzeugt Fassungslosigkeit. Wenn etwa die Schwester Ellen ihre Alkohol-Eskapaden durchlebt, setzt ebenso ein Gefühl von Bedauern bis Beschämung ein. Oft ist das so tragisch, dass es auch schon wieder komisch ist. Zumindest erlaubt Glasner Prisen von Galgenhumor. Denn manche Schilderungen erreichen eine emotionale Angespanntheit oder Absurdität, dass es zur eigenen Befreiung ein innerliches Lachen braucht. Glasner erzählt seine Geschichte in mehreren Kapiteln, um die Figuren nacheinander einzuführen, um sie anschließend kollidieren zu lassen. Das ist dramaturgisch clever gelöst, um eine Vertrautheit zu ihnen aufzubauen, womit ihre emotionalen Krisen umso heftiger miterlebt werden. Das ist deutsches Kino, wie man es sich öfters wünschen würde.
Fazit: Ein heftiges Familiendrama, dass zur emotionalen Achterbahn wird und ein brillantes Schauspielensemble aufweisen kann (180 Min., frei ab 16).
«Sterben» ist seit 25. April in den deutschen Kinos zu sehen.
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