Interview

Marc Brasse: ‚Wir zeigen was war und ist, den UserInnen obliegt die Bewertung‘

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Am Montag blickt die Dokumentation «Operation D-Day» auf den Einmarsch der Alliierten auf die besetzte Normandie. NDR-Redakteur Brasse erklärte die Herangehensweise zur Produktion.

Hallo Herr Brasse. Am 6. Juni 1944 fand der D-Day in der Normandie statt. Wann haben Sie das erste Mal von diesem Einmarsch gehört?
Die Geschichte und der Zweite Weltkrieg haben mich schon in der Schulzeit interessiert. Hier hörte ich das erste Mal vom D-Day und seiner Bedeutung für die Befreiung Westeuropas und Deutschlands durch die Alliierten.

1998 kam «Der Soldat James Ryan» in die Kinos. Die ersten Minuten des Films, die Landung in der Normandie, wirkten auf mich schockierend, beklemmend, erschütternd. So hatte ich Krieg noch nie gesehen. Schon damals stellte ich mir die Frage, existiert dokumentarisches Material vom 6. Juni 1944? Und wer waren die Männer, die damals erbittert gegeneinander kämpfen mussten? Wie alt waren sie? Wie haben sie den D-Day erlebt?

Für die neue Dokumentation «Operation D-Day» wurde Originalmaterial hochauflösend abgetastet und handkoliert. Wie muss man sich dieses Verfahren vorstellen? Mussten Sie eigentlich auch die Geschwindigkeit verlangsamen? Schließlich arbeitete man früher mit weniger Bildern pro Sekunde?
Diese Dokumentation ist eine Produktion von Spiegel TV, Michael Kloft, in Kooperation mit Impossible Factual, einem auf historische Dokumentationen spezialisiertem Produzenten aus England. Die Arbeit von Jonathan Drake und Eddy Strickland und ihren Teams ist einzigartig. Nachkolorierungen von schwarz-weißem Archivmaterial gibt es zwar schon seit vielen Jahren. Das Problem war aber immer die Qualität der Farben und der Verlust von Schärfentiefe. Auch die neuen Möglichkeiten der Nutzung von KI haben daran nichts geändert. Im Fall von «24h D-Day» begann der eigentliche Prozess mit einer unglaublich aufwändigen Recherche zu den einzelnen Szenen. Für 300 Einstellungen wurden die originalen Farben der Uniformen, der Waffen und des militärischen Geräts bestimmt. Dazu kamen genaue Informationen zum Beispiel über Wetter, Sonnenstand und Gezeiten am 6. Juni 1944. Zu jeder Einstellung wurden die entsprechenden Parameter in das System eingegeben. Der Rechner benötigte dann eine sehr lange Rechenzeit. Die erste Version wurde intensiv geprüft und dann in mehreren Schritten korrigiert. Schaut man sich das Ergebnis an, kann man sich nicht vorstellen, dass das Ausgangsmaterial einmal schwarz-weiß war.

Die Dokumentation wird von NDR, SWR, WDR und BR zum 80. Jahrestag bereitgestellt. Mischen dort vier Anstalten mit, weil die Produktion so teuer war?
Auf dem Gebiet der Geschichte arbeiten die Häuser der ARD bereits seit Jahren eng zusammen. Gemeinschaftsproduktionen, an denen sogar alle Landesrundfunkanstalten beteiligt sind, schmücken seit Jahren das Programm der Mediathek und von Das Erste. Wir bündeln unser redaktionelles Knowhow und stärken so auch unsere finanziellen Möglichkeiten. In dieser Tradition entstand auch «24h D-Day», eine Produktion vom NDR, SWR, WDR und BR.

Wann haben die ersten Arbeiten an «Operation D-Day» begonnen?
Vor zwei Jahren berichtete mir Jonathan Drake auf einem internationalen Kongress von seinen Möglichkeiten zur Kolorierung. Zu Anfang war ich skeptisch. Dann zeigte mir Jonathan erste Entwürfe und ich war fasziniert. Doch was hilft die modernste Technik, wenn es am Inhalt mangelt. Michael Kloft war die ideale Ergänzung. Kaum einer kennt die Archive dieser Welt so gut, zudem hatte er sich bereits mehrfach intensiv mit dem D-Day beschäftigt. Seit knapp eineinhalb Jahren arbeiten wir nun als Team zusammen.

Sie haben sich gegen einen Kommentator in den Film entschieden. Wieso?
Der Ansatz der Doku ist es, den D-Day so authentisch wie heute möglich zu erzählen. Aus der Sicht derer, die diese Schlacht in der Normandie erlebt haben. Amerikanische, kanadische und deutsche Soldaten berichten direkt. Nur sie erzählen, auf Historiker verzichten wir, um das erlebte der Augenzeugen in den Vordergrund zu stellen und Krieg als das zu zeigen, was er ist, grausam. Ein Alptraum, die diejenigen, die ihn als junge Männer überlebt haben, bis zu ihrem Lebensende nicht vergessen konnten
.
Das schwarz-weiß Originalmaterial der an der Invasion beteiligten Kameraleute, das nicht von der US-Zensur vernichtet wurde, haben wir dafür aufwendig kolorieren lassen. Das Ergebnis sind Bilder von einer beeindruckenden Qualität und Tiefenschärfe. Wir gucken nun direkt in die Augen dieser so jungen Soldaten, die sich am 6. Juni in der Normandie bekämpften. Wir sehen ihre Ahnungslosigkeit, wir sehen ihre Ängste, wir sehen ihre Verzweiflung. Das Gesicht des Krieges bekommt im wörtlichen Sinn eine neue Farbe und dadurch auch Wirkung.

Die Erzählungen der Überlebenden haben wir durch unseren Fachberater prüfen lassen, notwendige Informationen zum Kontext ergänzen überschaubar eingesetzte Grafiken. So wenig wie möglich, soll von dieser Produktion als Zeitzeugendokument derer, die es erlebt haben und die Kraft hatten darüber zu berichten, ablenken.

Ist es Aufgabe der ARD-Anstalten mit solchen Dokumentationen immer wieder vor Kriegen zu warnen?
Wir wollen über Geschichte informieren. Unser Anspruch dabei ist es, gerade mit Blick auf jüngere Generationen, Geschichte lebendig zu erzählen, Geschichte erlebbar zu machen und sich die Frage zu stellen, was hat das mit mir im hier und heute zu tun.
Die Mittel dazu sind Interviews mit den letzten Zeitzeugen, Archivmaterial, aufwendige Produktionen auf Spielfilmniveau und neue technische Möglichkeiten, so wie in unserem Fall in Form der aufwendigen Kolorierung. Wir zeigen was war und ist, den UserInnen obliegt die Bewertung.

Das Erste sendet «Operation D-Day» zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr. Schätzen Sie diesen Vertrauensbeweis?
Die ARD sendet am Montag, direkt nach der Tagesschau, um 20:15 Uhr. Also zur besten Sendezeit. Sie stellt «24h D-Day» damit ins Schaufenster. Das zeigt einmal mehr welchen Stellenwert Dokumentation im Allgemeinen und die Geschichte im Besonderen in der ARD genießen.
Theoretisch lässt sich die Doku ja auch am späten Abend platzieren. Doch Christine Strobl und ihre PlanerInnen haben sich bewusst dagegen entschieden. Um die Wertigkeit dieser Doku und des Themas zu unterstreichen. Dieser Vertrauensbeweis macht alle Beteiligten natürlich happy. Besser geht es nicht.

Danke für das Gespräch!

Das Erste strahlt die Dokumentation «Operation D-Day» am Montag, den 27. Mai, um 20.15 Uhr aus.

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