Interview

Amelie Stiefvatter: ‚80 Millionen Bundestrainer reden mit‘

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Bei der Weltmeisterschaft 2006 war Stiefvater jeden Tag auf der Berliner Fanmeile unterwegs, inzwischen dreht sie eigene Dokumentationen. In diesem Jahr darf Stiefvatter aus Herzogenaurach berichten.

Hallo Frau Stiefvatter, für das ZDF begleiten Sie ihre zweites Männer-Fußball-Turnier. Nach der umstrittenen WM in Katar ist die Stimmung im Vorfeld diesmal eine ganze andere. Wie groß ist die Vorfreude in der ZDF-Redaktion?
Die Vorfreude ist riesig! Es findet wieder ein Großereignis direkt bei uns vor der Tür statt. So ein Heimturnier ist einfach etwas ganz Besonderes. Natürlich kommen da Erinnerungen an das Sommermärchen von 2006 auf. Ich habe damals noch in Berlin gelebt und war täglich auf der Fanmeile am 17. Juni unterwegs. Und, wenn ich so zurückdenke – damals war die Stimmung im Frühjahr, nach einer 1:4 Klatsche gegen Italien, bekanntlich gar nicht so gut. Insofern sind wir in diesem Jahr nach den Siegen gegen Frankreich und die Niederlande schon einen Schritt weiter.

Sie waren für die Mainzer auch bei der Frauen-WM in Australien und Neuseeland aktiv. Für MagentaTV begleiteten Sie die paneuropäische EM 2021. Was war Ihre bislang größte berufliche Herausforderung?
Es gab schon einige berufliche Herausforderungen. Die Größte war wohl der Wechsel aus der Festanstellung in die Selbstständigkeit: 2018/19 habe ich meine eigene Produktionsfirma gegründet. Als Filmemacherin sind es für mich die bewegenden menschlichen Geschichten, die mich herausfordern. Auch die Olympischen Spiele 2016 in Rio würde ich als große Herausforderung auflisten: Es war immer wieder atemberaubend, dieses Ereignis im Begleittross vor Ort miterleben zu können.

Auf Hansi Flick folgte mit Julian Nagelsmann ein wesentlich kommunikativerer und auskunftsfreudigerer Bundestrainer. Fallen Ihnen Ihre Berichte damit leichter als früher?
Bei der Weltmeisterschaft in Katar bin ich mit meinem Kameramann auf eigene Faust durch das Land gereist und habe Geschichten abseits des Sports produziert. Mein Ziel war es, Land und Leute sowie ihre Kultur vorzustellen. Jetzt bin ich erstmals als Journalistin am Quartier der deutschen Nationalmannschaft eingesetzt und freue mich – wie unser ganzes Team – auf unsere EM-Berichterstattung über Julian Nagelsmann und die DFB-Auswahl.

Auch der eher ungreifbare Oliver Bierhoff hat den Verband verlassen. Stattdessen ist der zuweilen hemdsärmelig wirkende Rudi Völler der Sportdirektor. Sind solche nahbaren Persönlichkeiten gut für den Verband?
Ohne Oliver Bierhoff wären das Sommermärchen 2006 und auch der Weltmeistertitel 2014 in der Form sicher nicht möglich gewesen. Rudi Völler versucht auf seine sehr zugewandte, sympathische und eigene Art, das Beste rauszuholen – und wir berichten darüber.

Für das ZDF berichten Sie auch häufig über den Skisport. Interviews mit den Protagonisten sind dort selten glattgebügelt. Wie bewerten Sie die mediale Fehlervermeidung des Fußballs? Schießt man sich damit nicht eher ein Eigentor?
Die mediale Aufmerksamkeit, die auf dem Fußball liegt, ist mit der des Skisports nicht zu vergleichen. 80 Millionen Bundestrainer reden mit. Das ist beim Skifahren nicht so – dementsprechend nahbar und offen sind die Athletinnen und Athleten. Wenn wir auf den Fußball schauen: Es ist bekanntlich nicht jeder ein Thomas Müller, dem der Fußballgott auch das verbale Dribbeln in die Wiege gelegt hat. Ich glaube, dass hier manche Fußballer Angst haben, dass ihnen das Wort im Mund umgedreht werden kann.

Im neuen Rechtezyklus hat die DFL den Sendern umfangreichere Rahmenberichterstattung mit Bildern von der Busankunft oder aus der Kabine. Das klingt nach vielen Bildern mit großen Kopfhörern und Tunnelblick. Ist das trotzdem der richtige Weg?
Ich denke schon. Es ist der berühmte Blick hinter den Vorhang, auch wenn dort vielleicht gar nicht so viel Spannendes passiert. Aber vielleicht entsteht ja doch eine neue Nähe. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier – vielleicht gewöhnen sich die Spieler an die Kameras und setzen die Kopfhörer auch mal ab.

Während der Europameisterschaft berichten Sie zusammen mit Sven Voss vom deutschen Team-Quartier aus Herzogenaurach. Freuen Sie sich auf die Idylle am Adidas-Zentrum? Oder zieht es sie eher in die Nürnberger Großstadt nebenan?
Wir werden Quartier beziehen in der Nähe der DFB-Homebase, um kurze Anfahrtswege zu haben. Sollte dann mal Zeit sein, freue ich mich sehr auf die ein oder andere Sportchallenge unter uns Berichterstattern.

Sprechen Sie sich eigentlich mit Lea Wagner von der ARD ab?
Ich freue mich auf Lea. Und natürlich auf alle anderen, ganz besonders auf meine Ex-Kolleginnen und Kollegen von Magenta TV und SKY. DFB-Q hat wohl ein bisschen was von Wagenburg – hoffentlich ohne Lagerkoller.

Was trauen Sie der DFB-Elf bei der Heim-EM zu?
Ich durfte vor ein paar Tagen eine Talk-Runde mit Sandro Wagner moderieren. Eines ist mir besonders aufgefallen: die Vorfreude, die er schon jetzt ausstrahlt. Und dann geht bestimmt auch etwas beim Turnier! Aber für mich muss es nicht unbedingt der Titel sein. Es geht um die Freude und um die bestmögliche Leistung. Schauen wir mal …

Das ZDF hat die «sportstudio reportage» zu einem regelmäßigen Doku-Format im Hauptprogramm entwickelt. Sie fragten zuletzt, was uns der Spitzensport wert sei und beleuchtete in diesem Zuge Medaillen-lose Disziplinen. Können Sie uns einen Ausblick auf weitere Projekte geben?
Zurzeit arbeite ich an einer Dokumentation über den ältesten Sportwettbewerb der Welt: den America’s Cup. Der Film wird in Österreich zu sehen sein. Und ich drehe in Südafrika für ein zweites Projekt als Teil eines Autorenteams. Des Weiteren darf ich mich als Botschafterin für Right to Play bezeichnen – hier plane ich eine begleitende Reportage.

Wo fühlen Sie sich wohler, auf dem Rasen oder auf der Piste?
Da ich als Halb-Österreicherin leidenschaftliche Skifahrerin bin, fühle ich mich auf der Skipiste ziemlich wohl – fast schon zu Hause. Meine deutschen Anteile stehen eher für Fußball pur. Wobei, die Österreicher machen das ja auch grad gar nicht so schlecht auf dem Rasen, oder? 😉 Fakt ist: Ich liebe die Berge. Und ich liebe das laute, pulsierende Stadionerlebnis. Die richtige Mischung macht’s.

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