Mit «Presumed Innocent» bringt AppleTV+ eine Serie auf die Bildschirme, die nicht nur durch ihre packende Handlung und die beeindruckenden Leistungen ihres Casts um Hauptdarsteller Jake Gyllenhall besticht, sondern insbesondere auch durch die Handschrift von David E. Kelley. Kelley, der bereits mit Serien wie «Ally McBeal» und «Big Little Lies» über Jahrzehnte Maßstäbe im amerikanischen Fernsehen gesetzt hat, beweist nun erneut sein Talent für die Schaffung komplexer Charaktere und spannender Erzählbögen. Dabei gelingt ihm das Kunststück, seine unverkennbare Handschrift behutsam an die gesellschaftlichen Umstände der heutigen Zeit anzupassen, ohne dass das Format dabei an Tiefe oder Spannung einbüßen würde.
Die Serie basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Scott Turow und folgt der Geschichte von Rusty Sabich, einem stellvertretenden Bezirksstaatsanwalt, der des Mordes an einer Kollegin beschuldigt wird. Kelley gelingt es, die düsteren und intensiven Momente des Buches in die Serie zu übertragen und gleichzeitig neue Akzente zu setzen, um den Stoff telegener als in der sehr introspektiven literarischen Vorlage zu machen. Besonders beeindruckend gerät dabei, wie es ihm gelingt, die klassischen Themen von Schuld und Unschuld in einen geradezu philosophischen Kontext zu setzen, ohne dabei die Essenz der ursprünglichen Geschichte zu verwässern.
Die Charakterzeichnung in «Presumed Innocent» offenbart sich dabei schnell als eine der großen Stärken der Serie. Rusty Sabich, brillant gespielt von Jake Gyllenhaal, wird als vielschichtiger Protagonist dargestellt, dessen innere Zerrissenheit und moralische Ambivalenz den Zuschauer fesseln. Die Serie verzichtet auf einfache Antworten und zeigt stattdessen die komplexe Realität der menschlichen Natur und der enormen Komplexität des amerikanischen Justizsystems. Besonders bemerkenswert ist, wie Kelley Themen wie Machtmissbrauch, Geschlechterdynamiken und die #MeToo-Bewegung subtil in die Handlung integriert, ohne dass diese Themen aufgesetzt oder belehrend wirken. Sie sind vielmehr organischer Bestandteil der Geschichte und verleihen ihr eine zusätzliche relevante Ebene.
David E. Kelley offenbart somit erneut sein feines Gespür für die Balance zwischen Tradition und Innovation. Seine Handschrift ist so individuell wie eh und je – man erkennt die typischen dynamischen Dialoge, die psychologische Tiefe und die komplexen Handlungsstränge sofort –, doch zugleich merkt man, dass er sich den neuen gesellschaftlichen Realitäten öffnet. Die Welt hat sich verändert seit «Ally McBeal», «Picket Fences» und «Boston Legal», und Kelley hat gut daran getan, sein Justizdrama diesen Veränderungen Rechnung tragen zu lassen. So beleuchtet «Presumed Innocent» insbesondere auch moderne Themen wie die Herausforderungen des digitalen Zeitalters im Kontext von Rechtsstreitigkeiten oder die veränderte Wahrnehmung von Macht und Autorität in einer hektischen Phase des sozialen Wandels. Diese Themen werden jedoch nicht mit dem Holzhammer serviert, sondern subtil und elegant in die Story eingeflochten.
Neben Gyllenhaal überzeugt zudem das gesamte Ensemble durch starke Darstellungen. Besonders hervorzuheben ist Renate Reinsve in der Rolle der ehrgeizigen und kompromisslosen Staatsanwältin Caroline Polhemus. Ihre Darstellung verleiht der Serie eine zusätzliche Dynamik und sorgt für spannende Konfrontationen. Die Chemie zwischen den Schauspielern ist spürbar stark und trägt somit maßgeblich zur dichten Atmosphäre der Serie bei.
«Presumed Innocent» ist damit ein beeindruckendes Beispiel dafür geworden, wie sich eine betont klassische, vom Network-Fernsehen geprägte Erzählkunst mit modernen Themen und zeitgemäßen Charakteren verbinden lässt. David E. Kelley zeigt so erneut, dass er ein Meister seines Fachs ist und bleibt, und schafft es schier mühelos, seine einzigartige Handschrift in eine neue Ära zu überführen. Damit entstand ein echtes Highlight im Angebot von AppleTV+ sowie ein Muss für alle Liebhaber guter Krimiserien.
Die Serie «Presumed Innocent» wird von AppleTV+ ausgestrahlt.
Schreibe den ersten Kommentar zum Artikel