Hingeschaut

Neuer «Angela Merkel»-Fünfteiler wird der Kanzlerin nicht gerecht

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Gleich fünf dreißig-minütige Filme hat Tim Evers mit der Produktionsfirma LOOKsfilm produziert. Das Ergebnis ist enttäuschend, da kaum Politik abseits von Klima im Mittelpunkt steht.

Kurz vor dem 70. Geburtstag von Angela Merkel stellte die ARD Mediathek eine fünfteilige Doku-Serie online, ein verkürzter Dokumentarfilm läuft zwei Tage vor dem Geburtstag der ehemaligen Kanzlerin. Nur um wenige Tage hätte die Kanzlerin im Dezember 2021 ihr Vorbild Helmut Kohl eingeholt, ihr Nachfolger Olaf Scholz hätte das Dokument über die Regierungsbildung erst am 19. Dezember 2021 unterzeichnen sollen. Doch Merkel verpasste den Rekord um zehn Tage, weshalb der Ausstrahlung der Dokumentation so kurz vor ihrem Geburtstag etwas Ironisches innewohnt. An ihrem Festtag kann sie dann im Ersten den französischen Film «Monsieur Claude und sein großes Fest» sehen, ehe am späten Abend Filme um Bodybuilder und Handwerker laufen.

«Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin» startet mit der Folge „Start-Up“ und einem der bekanntesten, wie auch wichtigsten Sätze, die im Grunde auch nichts aussagen: „Sie kennen mich“, sagt die frühere Bundeskanzlerin, um zu unterstreichen, dass der Bürger die in Hamburg geborene Angela Dorothea Kasner eigentlich nie wirklich kannte. „Ich glaube, kein Mensch kennt Angela Merkel“, teilt die Kommunikationswissenschaftlerin Samira El Ouassil daraufhin mit. Es folgt der Song „Running Up that Hill (A Deal with Good)“ von Kate Bush aus dem Jahr 1985, der zuletzt durch die Netflix-Serie «Stranger Things» ein Revival erlebte. „Angela Merkel ist ein Rätsel“, sagte die Journalistin Judy Dempsey.

Der Rezipient bekommt schon in der ersten Minute das Thema des Filmes zu sehen: Die ehemalige Kanzlerin hat viele Geheimnis, Angela Merkel hat die Krisen meist nicht gelöst, sondern diese Szenarien verzögert. Themen wurden von der noch 69-Jährigen oftmals mit Geld im Keim erdrückt. Aber die Chemikerin aus der Uckermark war die erste Frau an der Spitze der deutschen Politik. Die ewige Kanzlerin? Die Kanzlerin, die sagte, dass wir das schaffen. Schließlich sagte Merkel bis zum Ende, dass wir sie ja kennen.

Das Opening der Dokumentationsreihe ist schon beeindruckend, schließlich werden Fotos aus den vielen Jahren nacheinander eingeblendet, eine Raute umrahmt diese historischen Aufnahmen. Damit haben die Verantwortlichen der Produktion ihren künstlerischen Auftritt vollumfänglich hinbekommen. Aber der Inhalt? Die ersten Aufnahmen stammen aus dem Juni 1980 in der DDR. Diese Bilder werden untermalt von einem Radio-Interview aus dem Jahr 1992. Merkel hatte ein Leben vor der Politik und tat sich in den Anfangsjahren schwer, den Raum mit fünf Minuten zu füllen. Gegen Ende ihrer Amtszeit konnte sie Stunden reden, wenn auch nie wirklich mit nachhallenden Reden. Das Schweigen bei der Elefantenrunde mit dem ehemaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder wurde ihr Pluspunkt, das möchte auch der zweieinhalbstündige Film aufzeigen.

Gerade die erste der fünf Folgen springt immer wieder in der Zeit herum. Man könnte meinen, dass die Filmemacher nicht genügend Material gefunden hätten, um die entsprechenden Stellen zu füllen. Allerdings gibt es auch immer wieder interessante Details wie Merkels erste Ehe, ihren Start beim Demokratischen Aufbruch (DA) neben ihrer Arbeit und schließlich ihre Pressearbeit für diesen Verein. Sie wurde immer wieder weiterempfohlen, ehe sie nach der Wiedervereinigung bei Helmut Kohl landete und schließlich im Kabinett für Frauen und Kinder verantwortlich war.

Mit der zweiten Folge entsteht ein riesiger Zeitsprung, schließlich behandelt die Episode „Unter Männern“ das Problem mit der Abwahl des damaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl, der als graue Eminenz weiterhin im Bundestag aktiv war. Als die schwarzen Kassen aufflogen, musste Merkel nicht nur ihren Förderer, sondern auch Mitstreiter wie Friedrich Merz und CSU-Chef Edmund Stoiber in die Schranken weisen. Während sie einen entsprechenden Tie-Break gegen Merz hatte, musste sie Stoiber hofieren. Schließlich war die Wahl zur Bundeskanzlerin für viele Deutsche einfach unmöglich.

„An der Macht“ behandelte ihre Wahl zur Bundeskanzlerin, „Welt aus den Fugen“ spricht die zahlreichen Krisen an. Davon hatten die vier Kabinette von Merkel zahlreiche: Es ging los mit der Bankenkrise, dem Euro-Rettungsschirm, dem Flüchtlingsstrom aufgrund der Kriege im Nahen Osten und schließlich die Corona-Pandemie, für die aber wenig Platz gelassen wurde. Die Alternative für Deutschland (AfD) machte Merkel ordentlich Druck und mit dem damaligen 27-jährigen YouTuber LeFloid versuchte Merkel sich bei den jungen Leuten beliebt zu machen. Auch ein kleiner Bürgerdialog mit einem jungen Mädchen aus Palästina wurde hervorgekramt, der tatsächlich Merkel zur Eiskönigin – im negativen Sinne – werden ließ. Nur kurze Zeit später öffnete die damalige Bundeskanzlerin die Grenzen für die Geflüchteten.

In der Dokumentationsreihe sind zum einen politische Wegbegleiter wie Annegret Kramp-Karrenbauer und Thomas de Maizière sowie „Zeit“-Korrespondent Christoph Dieckmann und Merkel-Biografin Everlyn Roll zu Wort gekommen. Die meisten Aussagen der jungen Kommentatoren, Komikerin und Autorin Samira El Ouassil, der YouTuber LeFloid, Journalist Tilo Jung, die ukrainisch-deutsche Politikerin Marina Weisband, die Klimaschutzaktivistin Carla Reemtsma und vor allem Parodistin Antonia von Romatowski, konnten der Reihe nur wenig Informationen bieten.



Die Gemeinschaftsproduktion aller ARD-Anstalten in Zusammenarbeit mit der Produktionsfirma LOOKsfilm hat aber eine große Schwäche: Angela Merkel hatte für die Macher scheinbar keine Zeit – oder einfach keine Lust. Man kann Angela Merkel durchaus attestieren, dass sie als Chemikerin viel zu wenig für den Umweltschutz und die Flüchtlinge getan hat. Dass der Film aber gerade in den späteren Episoden immer wieder auf Verfehlungen hinweist, die kaum einer kommen sah, ist aber gerade in Sachen 16 Jahre Kanzlerschaft unfair. Bevor Merkel abtrat, war ein Krieg zwischen Russland und der Ukraine nicht wirklich ein Thema. Das Behördenversagen, dass Akten von Flüchtlingen nicht bearbeitet werden, ist keine Bundesaufgabe. Eine wirklich gute neutrale Aufarbeitung ist «Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin» nicht geworden. Nach dem Konsum der fünfteiligen Reihe fragt man sich zuweilen, ob die vierfache Bundeskanzlerin überhaupt etwas geleistet hat.

«Angela Merkel – Schicksalsjahre einer Kanzlerin» ist in der ARD Mediathek zu sehen. Der Dokumentarfilm ist am Montag, den 15. August 2024, um 22.30 Uhr zu sehen.

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