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Also galt es, die richtigen Leute für die entsprechenden Aspekte zu akquirieren, was Spürnase Zimmermann in bemerkenswerter Weise meisterte. Ein erster gelungener Schritt war die Installation von Peter Hohl als Hinweiskoordinator, der mit Eloquenz und rhetorischer Gewieftheit punkten konnte. Darüber hinaus wichtig: Die Verpflichtung von Regisseur Kurt Grimm, der seinen artifiziell stilisierten Noir-Vibe in die Fall-Rekonstruktionen einbrachte. Des Weiteren gelang mit der Verpflichtung von Off-Sprecher Wolfgang Grönebaum, der mit seiner tief-volumigen Stimme die Zuhörenden in die Knie zwang, ein wahrer Coup – seine sonore Vertonung dröhnte wohl durch jedes Schlüsselloch.
Durch die Schlüssellöcher der Nation dröhnten aber ebenso die schweren Spannungsmusiken, die die Grusel-Spannung endgültig auf die Spitze trieben – die Kompositionen von Ernst August Quelle prägten das erste Jahrzehnt der Fahndungs-Reihe und wurden für jeden XY-Connaisseur legendär. Sie schufen eine beinah symbiotische Ergänzung zu Zimmermanns Anmoderationen, Grimms Inszenierungs-Stil und Grönebaums Sprechweise. Gekennzeichnet waren sie vom damals gängigen Knackbass, Percussion, eindringlichen Klavier/Orgel-Passagen und kontrastiven Flöten. Nicht zuletzt aber auch von dem innovativen Einsatz des Vibraphons zur Erzeugung elektronischer Klänge, welche den Musiken einen eigentümlich alarmierenden Tenor verleihen.
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Mit der tatkräftigen Unterstützung seiner engagierten Klavierlehrerin in seiner Geburtsstadt Herford schaffte es das Klavier-Talent dann tatsächlich bis an die Musikhochschule Detmold, wo logischer Weise der Abschluss im Fach Klavier folgte. Das Pendeln mit dem Moped wurde dem Musikgenie aber bald zu lästig – die bedrückende Enge der ostwestfälischen Provinz überlagerte die Geborgenheit des Elternhauses. Ernst August musste raus in die Großstadt, dort wo das Herz der Musik pulsierte, dort wo die Orchester durch die abendlichen Gassen hallten. Sein Glück fand er schließlich beim renommierten Orchesterleiter Barnabas von Geczy, der ihn in Düsseldorf vorspielen ließ und Ende der fünfziger Jahre für den Chor seines Tanzlokals in München verpflichtete.
Zusammen mit seiner frisch angetrauten Frau Hannelore ging es also nach Bayern, wo der weitere Weg in die Krimisparte des ZDF geebnet wurde. Durch seine Kollegen im Chor lernte Quelle im Laufe der Zeit Musiker kennen, die im Rundfunkorchester spielten und in Geczys Musikstudio Stücke fürs TV komponierten. „Dort war mein Vater auch dabei und hat Leute vom Fernsehen kennengelernt, die er mit seinen Klavierkompositionen auf sich aufmerksam machte“, berichtet Sohn Alexander Quelle. Und weiter: „Im Zuge dessen fragte man ihn, ob er mal ausprobieren will, für den Krimi-Film «Maigret» eine Melodie zu finden“ (das war 1965). „Die Leute, die für Maigret beim ZDF zuständig waren, haben dann auch den Kontakt zu XY hergestellt, was 2 Jahre später anlief“.
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Im Folgenden noch zwei Film-Beispiele, um die Wirkungserzeugung des 'Angruselns' (wie Alexander Quelle es bezeichnet) zu verdeutlichen. Die Szenen können leider nur mit einem Screenshot angedeutet werden, da die Folgen aus rechtlichen Gründen aktuell nicht verfügbar sind:
Bei dem ersten Fall-Beispiel handelt es sich um eine Verbrechens-Rekonstruktion aus dem Jahre 1970, die in der damaligen März-Ausgabe den ersten Filmfall bildete. In Frankfurt ereignete sich einige Zeit zuvor eine mysteriöse Raubmord-Serie, bei der auch ein Ehepaar im Schlaf erschossen wurde. Der behelfsmäßige Wohnsitz der Opfer – ein schlecht gesichertes Gehöft - wird vom Sprecher Wolfgang Grönebaum zunächst akustisch beschrieben und in einer Frontalaufnahme bei Tageslicht noch ohne Musik abgebildet. Dann ein Schnitt, mit dem sofort Quelles Spannungsmusik „Daylight Robbery“ einsetzt (inzwischen ist es Nacht geworden). Im harten Lichtkegel, der im Noir-Stil die Dunkelheit kontrastiert, wird ein Mann sichtbar, der auf das Haus der Eheleute zuschreitet.
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Im bekannten Jugoslawien-Express-Fall (1969) erfolgt diese melodische Ankündigung des Unheils mit dem zuerst verlinkten Musik-Titel „Operating in the Shadows“, der mit tiefen schweren Klaviertönen ein erdrückend ernstes Szenario unterspielt, das akustisch Grund zur Sorge gibt. Wieder kontrastieren partiell zarte Flöteneinheiten. Eine akustische Symbolik des herannahenden Mordes wird vorweggenommen und mit den Bildern des fahrenden Zuges parallelisiert, die den atmosphärischen Bezug mit ihm in Verbindung bringen. Alles wohlbemerkt bevor das Verbrechen schließlich eintritt – zum ‚Angruseln‘.
Ernst August Quelle verstarb 2022 im Alter von 90 Jahren – seine Gruselmusiken im übergeordneten Sinne der Fahndung und Aufklärung, aber auch sein vielseitiges Schaffen im Bereich der klassischen Musik (u.a Bayern 3), dem dieser Beitrag hier nicht gerecht werden kann, bleiben in Erinnerung.
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