Interview

Natalia Rudziewicz: ‚Guter Humor schafft es, die Herzen der Zuschauer*innen zu öffnen‘

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Die Schauspielerin, die unter anderem im Dortmunder-«Tatort» mitwirkte, ist seit Donnerstag in «Micha denkt groß» zu sehen. Im Interview verrät Rudziewicz die große Kunst des Improvisierens.

Wie würden Sie Ihre Rolle der Jenny in «Micha denkt groß» beschreiben und was hat Sie an dieser Figur besonders gereizt?
Jenny ist Controllerin in dem Gaming Studio, in dem Micha vor geraumer Zeit Karriere gemacht hat. Sie hat ihr Leben im Griff, ist die 'Erwachsene' in der Beziehung, wohingegen sich Micha immer wieder in seinem kreativen, fast kindlichen Chaos in neuen Game- oder Business-Ideen verliert. Trotzdem ist es eine Beziehung auf Augenhöhe, die beiden lieben sich wirklich und Jenny wünscht sich nichts mehr, als dass Micha mit seinem New-Work-Retreat wieder auf die Beine kommt. Ich mag es, dass der Altersunterschied zwischen Jenny und Micha keine Rolle spielt, da er für die Beziehung der beiden irrelevant ist. Darüber hinaus fand ich es sehr spannend mich mit der Gamingindustrie und dem Beruf der Controllerin intensiv auseinanderzusetzten - beides Welten, zu denen ich davor keinen Zugang hatte. Ich hatte sogar das Vergnügen zur Vorbereitung auf meine Rolle das große Gaming-Studio 'InnoGames' in Hamburg besuchen zu dürfen. Das war sehr eindrucksvoll und super spanend!

Der Film behandelt sowohl humorvolle als auch ernste Themen wie Klimawandel und Gemeinschaft. Wie haben Sie diese Mischung als Schauspielerin erlebt?
Meiner Meinung nach bietet die Verbindung von Humor und ernsten Themen die beste Möglichkeit, ein Publikum für schwere Thematiken zu sensibilisieren, ohne dabei belehrend zu sein. Guter Humor schafft es, die Herzen der Zuschauer*innen zu öffnen und Raum für Empathie zu schaffen. Ich glaube Empathie ist die Grundvoraussetzung dafür, dass eine zu Teilen gespaltene Gesellschaft wieder zusammenfinden kann. Letztendlich stellt "Micha denkt groß" genau diese Frage und liefert dafür, wie ich finde, realistische Lösungsansätze.

Jenny ist eine der wenigen Figuren, die Michas ehrgeizige Pläne unterstützen. Was glauben Sie, warum vertraut sie ihm, obwohl alle anderen skeptisch sind?
Jenny hat Micha zu einer Zeit kennengelernt, als er auf dem Höhepunkt seiner Karriere und einer der angesagteste Game-Designer der Szene war. Sie führten ein Leben in Saus und Braus, jetteten um die Welt und übernachteten in Luxushotels. Irgendwann konnte Micha an seinen alten Erfolg nicht mehr anknüpfen, die neuen Game-Ideen wollten einfach nicht zünden. Seither ist Jenny die Versorgerin, auf die Micha sich stützt. Dennoch bleiben die beiden ein Paar. Anders als die Dorfbewohner*innen hat sie es erlebt, wie Micha mit seinem kreativem Chaos aus einer kleinen Idee große Innovationen geschaffen hat.

Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit Charly Hübner und Jördis Triebel empfunden? Gab es besondere Momente am Set, die Ihnen in Erinnerung geblieben sind?
Die Zusammenarbeit mit Charly und Jördis hat viel Spaß gebracht, ich schätze beide als Kolleg*innen sehr. Ein Moment, der mir besonders im Gedächtnis geblieben ist, war, als Charly vor dem Dreh einer Szene zu mir sagte: "Wir machen die Szene jetzt so, dass es für Deine Figur gut ist." Ich war da ziemlich baff, in 25 Jahren vor der Kamera ist mir so eine Kollegialität noch nicht begegnet.

Die Improvisation scheint eine große Rolle in diesem Film zu spielen. Wie haben Sie sich auf diese spontane Art der Schauspielerei vorbereitet?
Wir haben vor dem Dreh sehr ausführliche Rollenprofile bekommen und uns mehrfach zu intensiven Gesprächen getroffen, in dem wir die ganze Welt der Figuren gemeinsam erschaffen haben. Das hat unfassbar viel Spaß gemacht die eigene Kreativität miteinbringen zu dürfen. Besonders mag ich an dieser Art zu arbeiten, dass man nie weiß, was passieren wird und alles möglich ist. Dadurch kommt man in einen regelrechten Spielrausch, der wirklich elektrisierend ist.

Der Film thematisiert auch die Probleme eines kleinen Dorfs, das mit Trockenheit und Verschwörungstheorien zu kämpfen hat. Welche Relevanz haben diese Themen Ihrer Meinung nach in der heutigen Gesellschaft?
Leider sind diese Themen aktueller, denn je und waren auch der Grund, weshalb Charly, Lars und Jan «Micha denkt groß» machen wollten. Deutschland hat in 20 Jahren Wasser im Umfang des Bodensees verloren und gehört damit zu den Regionen mit dem höchsten Wasserverlust weltweit (Quelle: National Geographic). Die Präsenz von antidemokratischen Verschwörungstheorien hat seit der Coronapandemie deutlich zugenommen und selbst faktenbasierte Realitätschecks können gegen die steigende Beliebtheit der Theorien nur wenig ausrichten. Diese Entwicklungen sind besorgniserregend und umso wichtiger ist es, dass sie thematisiert werden.

Was glauben Sie, ist die zentrale Botschaft von «Micha denkt groß» und was hoffen Sie, dass das Publikum aus dem Film mitnimmt?
Für mich ist die zentrale Botschaft des Films, dass wir nur gemeinsam den großen Herausforderungen dieser Zeit begegnen können, da wir sonst alle - so unterschiedlich die Weltanschauungen auch sind - bald wortwörtlich „auf dem Trockenen sitzen“. Es war wirklich schön mitzuerleben, wie bei der Weltpremiere auf dem Filmfest München und den Special Screenings der Kinotour das Publikum mit dem Film in Resonanz gegangen ist und mit wieviel Interesse bei den Q&A's Fragen gestellt wurden.

Wie haben Sie die ländliche Kulisse des Films beeinflusst? Hat die Umgebung Ihre Darstellung der Jenny in irgendeiner Weise verändert?
Jenny ist Großstädterin durch und durch, wenn sie ihren Koffer packt um "aufs Land zu fahren" wählt sie Looks im angesagtesten Country-Style. Sie sieht das Projekt New-Work-Retreat als ein großes Abendteuer und visualisiert es als den nächsten Life-Style-Hotspot für gestresste Großstädter. Dort angekommen trifft sie auf einen heruntergekommen alten Gasthof, der alles andere als Country-Charme versprüht und dann lauern im hohen Gras auch noch überall Zecken. Daraus resultierte eine schöne Fallhöhe, die viele Spielangebote bot.

Die Beziehung zwischen Jenny und Micha steht im Zentrum der Handlung. Wie haben Sie die Dynamik zwischen den beiden Figuren entwickelt?
Wie bereits erwähnt hatten Charly und ich mit Lars, Jan und Christian, unserem Regie- & Autorenteam, intensive Vorgespräche, bei dem wir versucht haben die Beziehung der beiden zu "finden". Allerdings entstand die eigentliche Beziehung erst vor der Kamera. Die Impro-Szenen liefen manchmal über eine halbe Stunde, so dass wir uns als Paar - anders als es in geskripteten Filmen oftmals der Fall ist - wirklich "begegnen" konnten. Diese Unmittelbarkeit und die große schauspielerische Freiheit, die uns geschenkt wurde, haben die Arbeit an «Micha denkt groß» zu einem ganz besonderen Dreherlebnis gemacht.

Was war für Sie die größte Herausforderung bei den Dreharbeiten zu «Micha denkt groß» und was hat Ihnen am meisten Spaß gemacht?
Improvisieren zu dürfen, das hat mir unfassbar viel Spaß gemacht, denn für einen Moment lebt man wirklich in einer anderen Realität. Die größte Herausforderung war es für mich, während einer Spielpause nicht in die Szene der Anderen "hineinzuplatzen". Wir haben auf dem Gelände eines Klosters gedreht und fast das gesamte Anwesen war zur Spielfläche eingerichtet worden. Dh. z.B. während man sich beim Catering gerade einen Kaffee geholt hat und über das Gelände zur Maske schlenderte, konnte es sein, dass auf einmal spielende Kolleg*innen an einem vorbeirauschten und man plötzlich ungewollt mitten in ihrer Szene stand.

Vielen Dank für die ausführlichen Einführungen zum Thema Improvisation und für Ihre Zeit!

«Micha denkt groß» ist seit 22. August im Kino zu sehen. In der ARD Mediathek erscheint der Spielfilm am 30. Oktober 2024, die Free-TV-Premiere läuft am 1. November um 20.15 Uhr im Ersten.

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