Welche Aspekte der Geschichte von «Un/Dressed» waren für Sie besonders interessant und inspirierend, dass Sie sich entschieden haben, bei diesem Projekt die Regie zu übernehmen?
Mich hat vor allem die Hauptfigur Elle Tannen angesprochen. Sie ist eine selbstbewusste, erfolgreiche und starke Frau, die jedoch herausfinden muss, dass sie wesentlich weniger selbstbestimmt ist, als sie es bislang angenommen hatte. Um sich zu befreien, muss sie alles riskieren, was ihr bislang wichtig war. Spannend ist, dass diese Befreiung für sie nicht auf vernünftigem, rationellem Weg zu erreichen ist. So folgt sie ihrer Leidenschaft und geht eine gefährliche Affäre ein.
Darüber hinaus hat mir direkt gefallen, dass auch die anderen Figuren vielschichtig und in sich widersprüchlich angelegt sind und aus menschlichen Motiven handeln.
Die filmische Erzählung verbindet Elemente des Erotik-Thrillers mit tiefgreifenden Charakterstudien. Wie wurde die Balance zwischen Spannung und emotionaler Tiefe inszeniert?
Auch wenn man das erst im Verlauf der Handlung erfährt, stecken alle wichtigen Figuren des Films in einem moralischen Dilemma. Der Wunsch diesen Widerspruch aufzulösen, macht ihre Konflikte sehr menschlich, emotional befriedigend, wenn es ihnen gelingt und tragisch, wenn nicht.
Zunächst entsteht die Spannung aus den Handlungen der Hauptfigur Elle und was der Zuschauer für sie befürchtet. Je mehr sich jedoch die Machenschaften entpuppen, in den Elle steckt, umso spannender wird die Frage, ob es ihr gelingt diese aufzudecken und abzuwenden, besonders da der Zuschauer ihr dabei oft ein kleines Stück voraus sein kann.
Interessant ist, dass die Konflikte aus Elles Affäre und der Beziehung zu ihrem Verlobten, sowie die äußere Bedrohung der Firma, deren Führung sie gerade übernimmt, zunächst parallel laufen. Zunehmend verstricken sich diese Handlungsebenen dann aber und bedingen einander.
Es stellt sich die Frage, weshalb man sich heutzutage noch mit einem Erotik-Thriller beschäftigen sollte, anstatt sich den Inhalten auf einschlägigen Seiten im Internet zuzuwenden. Welcher Reiz geht von einem solchen Werk aus?
Der entscheidende und grundlegende Unterschied ist, dass ich in einem Film eine Geschichte erzähle, Menschen näherkomme und ihre Erlebnisse nicht nur intellektuell, sondern auch emotional teilen kann, sei es Freude, Angst, Liebe oder eben auch Leidenschaft.
Besagte Inhalte auf einschlägigen Seiten haben damit in etwa so viel zu tun, wie ein packender Actionfilm mit der Filmaufnahme eines Autos, das bei einer Stuntshow über ein Hindernis springt, oder ein anrührender Liebesfilm mit einer Dating-Reality-Show. Was nicht heißen soll, dass man womöglich dem anderen nicht aus ganz unterschiedlichen Gründen etwas abgewinnen kann.
Die Protagonistin Elle sieht sich mit der Herausforderung konfrontiert, eine Entscheidung zwischen zwei sehr unterschiedlichen Männern zu treffen. Wie wurde die Dynamik zwischen diesen Charakteren entwickelt und welche Aspekte der Dreiecksbeziehung sollten besonders betont werden?
Da man erst nach und nach das Innenleben der beiden Männer verstehen und ergründen kann, war es spannend und wichtig, genau zu überlegen, was der Zuschauer und auch Elle in den beiden sieht, zu Beginn des Films und im Verlauf der Handlung. Die beiden stehen im starken Kontrast zueinander und doch fühlt sich Elle zu beiden hingezogen und das muss nachvollziehbar sein.
Die Modewelt nimmt eine zentrale Rolle in «Un/Dressed» ein. Inwiefern wurde die visuelle und thematische Integration in die Handlung vorgenommen, um die Geschichte zu bereichern?
Abgesehen von den Einblicken in die Welt des Modehauses, das Elle von ihrer Großmutter übernimmt, auf der Modeschau oder im Atelier der Firma, spiegelt sich diese besonders in der Garderobe der beiden Frauen wider.
Für Elle ist klar, dass sie nicht irgendein Unternehmen mit seinen wirtschaftlichen Anforderungen übernimmt, sondern auch die Verantwortung für die Leidenschaft und Kreativität, die darin steckt, das emotionale Erbe ihrer Großmutter.
Der starke Stilwille der Großmutter, dem Elle folgt, setzt sich auch in ihrem Zuhause fort. Ganz im Gegensatz dazu steht die Welt aus der Ben kommt, mit dem Elle eine Affäre eingeht. Dieser Kontrast macht den Film unter anderem visuell so spannend.
Ben, einer der Hauptcharaktere, ist mit einer dunklen Vergangenheit konfrontiert. Wie wurde die Figur des Ben gestaltet, um ihre komplexe Natur für die Zuschauenden nachvollziehbar zu machen?
Im Laufe des Films versteht man die tragischen Hintergründe von Bens Leben und warum er Teil der Welt ist, die Elles Leben bedroht und auf den Kopf stellt. Auch wenn Ben zunächst undurchsichtig bleibt, trägt er eine kindliche Unschuld und einen Schmerz in sich. Auch ohne die Hintergründe zu kennen, spürt Elle und der Zuschauer Bens Verletzlichkeit und dass ihm die Maske, seine unnahbare Art, zum Schutz dient.
Das Drehbuch wurde von Stefanie Sycholt verfasst. Wie gestaltete sich die Kooperation mit der Drehbuchautorin und inwiefern flossen eigene konzeptionelle Ansätze in die Umsetzung des Drehbuchs ein?
Das Drehbuch war schon weit fortgeschritten, als ich auf das Projekt kam. Trotzdem hatte ich das Glück, an den letzten Zügen des Drehbuchs teilhaben zu können und mit Stefanie Sycholt eine großartige Autorin, die meinen Beiträgen offen gegenüberstand, wie im kreativen Prozess des Filmemachens üblich.
Wurde bei der Umsetzung des Projekts mit einer Intimitätskoordinatorin zusammengearbeitet?
Selbstverständlich. Ich arbeite schon seit einigen Jahren mit einer Intimitätskoordination, wenn es die Szenen und ihre Inszenierung erfordern. Bei diesem Projekt hat eine solche Betreuung einen besonderen Stellenwert und wir hatten das Glück, eine sehr gute, renommierte Intimitätskoordinatorin an Bord zu haben. Sie stand uns nicht nur an den Drehtagen zur Seite, sondern hat das Projekt auch im Vorfeld begleitet, sich inhaltlich mit den Szenen auseinandersetzt und mich kreativ beraten.
Im Grunde ist die Rolle einer guten Koordination ganz ähnlich zu der eines Stuntkoordinators, der sich zunächst gemeinsam mit mir der Frage widmet, was der Film inhaltlich braucht und sich dann um den guten Drehablauf kümmert und für die Sicherheit und Schutz der Darsteller und aller anderen Beteiligten sorgt.
Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit an einem Erotik-Thriller wie «Un/Dressed» von Ihren früheren Projekten wie «Biohackers» oder «Drift»?
Die Arbeit an «Un/Dressed» unterscheidet sich von meinen anderen Projekten insofern, als dass jedes Projekt neue Herausforderungen mit sich bringt. Bei diesem Film war eben eine Herausforderung der Dreh äußerst intimer Szenen. Bei «Drift» waren es Stuntszenen und bei wieder anderen Projekten zum Beispiel die Arbeit mit Tieren oder die besonderen Auflagen und Einschränkungen beim Dreh mit Kindern und Jugendlichen.
In der Regel sind es aber dann gar nicht diese Aufgaben, die einen Dreh herausfordernd machen, da man sich ja gut darauf einstellt und entsprechend vorbereitet und plant, im Gegensatz zu den schwierig planbaren Faktoren, wie beispielsweise dem Wetter.
Des Weiteren thematisiert der Film den Schutz von Familienwerten und Traditionen, verkörpert durch die Figur der Margot Tannen. Inwiefern ist diese Thematik für das Gesamtbild des Films von Relevanz?
Familienwerte und Traditionen sind ein übergeordnetes Thema des Films und betreffen alle Figuren. Sie sind ein wichtiges Motiv für Margot, aber auch für Elle, die lernen muss, sich von den, wenn auch geschätzten Werten und Traditionen, nicht daran hindern zu lassen, ihr Leben selbst zu bestimmen. Der Film stellt diese Werte und oft auch Pflichten dem Anrecht und Bedürfnis gegenüber, sich selbst zu entfalten und seine eigene Identität zu finden.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
«Un/Dressed» startet am Freitag, den 20. September 2024, bei Amazon Prime Video.
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