Am 10. Oktober 2024 wurde die südkoreanische Schriftstellerin Han Kang mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet. Die schwedische Akademie würdigte damit eine Autorin, die mit ihrer poetischen und zugleich tiefgründigen Prosa nicht nur die Grenzen literarischer Ausdruckskraft verschiebt, sondern auch grundlegende Fragen zu Menschlichkeit, Gewalt und Identität stellt. Mit ihrer Entscheidung setzt die Akademie ein starkes Zeichen, indem sie eine Schriftstellerin ehrt, deren Werk stark in der koreanischen Kultur verwurzelt ist, aber zugleich universelle Themen anspricht.
Han Kang wurde 1970 in Gwangju, Südkorea, geboren und begann ihre literarische Laufbahn in den frühen 1990er Jahren. Sie ist die Tochter des bekannten Schriftstellers Han Seung-won, was ihr frühes Interesse an Literatur prägte. Nach ihrem Studium der koreanischen Literatur an der Yonsei-Universität veröffentlichte sie zunächst Gedichte, bevor sie sich der Prosa zuwandte. Internationale Aufmerksamkeit erlangte sie 2015 mit ihrem Roman „Die Vegetarierin“ („채식주의자“), der 2016 den Man Booker International Prize gewann und in viele Sprachen übersetzt wurde. Der Roman beschäftigt sich mit einer Frau, die beschließt, kein Fleisch mehr zu essen, und entfaltet dabei eine komplexe Auseinandersetzung mit Themen wie Rebellion, Identität und dem Körper als Austragungsort von Machtverhältnissen.
Die Vergabe des Literaturnobelpreises an Han Kang würdigt nicht nur „Die Vegetarierin“, sondern auch ihr Gesamtwerk, das eine bemerkenswerte Tiefe und Bandbreite aufweist. In ihren Erzählungen und Romanen geht es immer wieder um die menschliche Erfahrung von Gewalt und die Suche nach einem moralischen Kompass in einer oft grausamen Welt. Insbesondere ihre Bücher, die sich mit den traumatischen Folgen des Gwangju-Aufstands von 1980 beschäftigen, zeugen von ihrem politischen Bewusstsein. In dem Roman „Human Acts“ („소년이 온다“), der ebenfalls international gefeiert wurde, erzählt sie von den blutigen Ereignissen dieses Volksaufstands gegen die südkoreanische Militärdiktatur und beleuchtet dabei die psychischen und emotionalen Narben, die die Gewalt bei den Überlebenden hinterließ.
Han Kangs Stil zeichnet sich durch eine karge, fast minimalistische Sprache aus, die jedoch mit tiefen poetischen Bildern arbeitet. Oft verwendet sie stille, präzise Sätze, um existenzielle Fragen zu stellen. Diese Zurückhaltung macht ihre Texte umso eindringlicher und hinterlässt einen bleibenden Eindruck beim Leser. Sie beschäftigt sich in ihren Werken auch immer wieder mit der Frage nach dem Körper und dessen Verhältnis zur Gesellschaft. Ob in „Die Vegetarierin“, „Human Acts“ oder „The White Book“ – Han Kang untersucht die Grenzen und Fragilität des Körpers als Mittel, die Brutalität der Welt zu verhandeln.
Mit dem Literaturnobelpreis wird Han Kang nun auf einer Bühne geehrt, die weit über die Literaturwelt hinausstrahlt. Der Preis ist auch eine Anerkennung der aufstrebenden Rolle der südkoreanischen Kultur in der globalen Kunst- und Literaturszene. Han Kang reiht sich damit in die Riege bedeutender Nobelpreisträger ein, die mit ihren Werken tiefe menschliche Abgründe und zugleich die Fähigkeit zu Mitgefühl und Heilung beleuchten.
Die Bedeutung ihrer Auszeichnung reicht jedoch noch weiter. Angesichts der globalen Herausforderungen, vor denen die Menschheit steht, wie Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit und politische Gewalt, ruft Han Kangs Werk dazu auf, innezuhalten und über die grundlegenden Fragen unserer Existenz nachzudenken. Ihre stille, doch unmissverständliche Botschaft von Menschlichkeit und Mitgefühl ist gerade heute von besonderer Relevanz. Han Kang hat mit ihrer literarischen Stimme nicht nur eine neue Perspektive in die Weltliteratur eingeführt, sondern bietet auch eine radikale, poetische Antwort auf die Grausamkeiten der modernen Welt.
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