Interview

Özden Terli: ‚Meteorologie ist Physik der Atmosphäre‘

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Der Wetterexperte der ZDF-Familie erklärt unter anderem, warum wir den Wind brauchen und zeigt damit auf, wieso der Polarfront-Jetstream wichtig ist.

Sie präsentieren seit über zehn Jahren das Wetter im ZDF. Wie hat sich die Darstellung von Wetter und Klimawandel in den Medien in dieser Zeit verändert?
Als ich beim ZDF angefangen habe, gab es das Pariser Abkommen noch nicht. Bezogen auf die Fakten der Klimawissenschaft gab es dafür viele Desinformationen. Aufgrund der Extremwetter-Ereignisse der letzten gut sechs Jahre haben mittlerweile viele Menschen verstanden, was beim Thema Klimafolgen Sache ist. Es gibt aber immer noch Entscheidungsträger, die das Pariser Abkommen für zu extrem halten oder die Tatsachen ignorieren, die sich aus dem Abkommen ergeben. Der vollständige Verzicht auf fossile Brennstoffe ist ein physikalischer Imperativ, wenn wir uns selbst schützen wollen. Klimaschutz ist Menschenschutz. An Extremwetter-Ereignissen wie Überflutungen, Dürren und Brände sehen wir, dass dieser Schutz versagt. Begriffe wie „globale Erhitzung“ werden mittlerweile in den Medien verwendet, Experten und Themen zudem richtig gesetzt, so dass es eine korrekte Auseinandersetzung mit der Realität gibt. Allerdings existiert immer noch das False-Balancing, das seit Jahren falsche Vorstellungen über Wissenschaft vermittelt und Behauptungen von Wissenschaftsleugnern der physikalischen Realität in falscher Ausgewogenheit gegenüberstellt.

Europa ist zusammen gewachsen, warum stoppt die Darstellung des Wetters zu den Niederlanden oder im Winter Richtung Österreich?
Das stimmt so nicht. Ich spreche oft über Europa und Mitteleuropa, gerade dort, wo es signifikantes Wetter gibt, über das berichtet werden muss, weil es gerade passiert. Dafür nutzen wir in den Wettersendungen meistens zunächst eine Wetterkarte von Europa und erklären, was dort zu sehen ist. Wir haben über die katastrophalen Überschwemmungen in Griechenland im vergangenen Jahr berichtet, aber auch über die Überschwemmungen in Österreich infolge des Tiefs „Boris“ – und sofort einen klaren Bezug der Überflutungskatastrophe zur globalen Erhitzung hergestellt, was die Attributionsforschung im Nachhinein bestätigt hat.

Der Klimawandel ist ein zentrales Thema, das Sie oft ansprechen. Wie wichtig ist es für Meteorologen, nicht nur über das tägliche Wetter, sondern auch über langfristige Klimaveränderungen zu informieren?
Langfristige Klimaänderungen sind, wie der Name schon sagt, langfristig. Wenn ich erkläre, dass die 1,5-Grad-Marke aus dem Pariser Abkommen Anfang der 2030er Jahre gerissen wird, dann ist es nicht das Nächste, was passieren wird. Aber es ist nennenswert, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wo wir stehen. Gerade in Bezug auf die Extremwerte-Ereignisse bedeutet das: Diese werden immer krasser. Die globale Mitteltemperatur steigt weiter, lokal wird es aber noch wärmer. Zum Beispiel in Europa, also direkt vor unserer Haustür. Niemand kann sagen, damit habe er nichts zu tun. Ereignisse wie die Hochwasser-Katastrophe im Ahrtal und die Überflutungen im östlichen Mitteleuropa durch das Tief „Boris“ zeigen, dass die Intensität zunimmt.

In der kommenden Weltklimakonferenz wird viel über Maßnahmen gegen den Klimawandel diskutiert. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Aufklärung in den Medien für den Klimaschutz?
Selbstverständlich spielt sie eine große Rolle. Schauen Sie gerne mal, was auf 3sat und ARTE sowie in den Mediatheken der ZDF-Familie dazu zu finden ist. Das 3sat-Wissenschaftsmagazin «nano» berichtet das ganze Jahr über von den verschiedenen Aspekten der globalen Erhitzung – und nicht nur anlässlich der Weltklimakonferenz. Es ist das Querschnittsthema, das alle Bereiche betritt: Ein stabiles Klima ist der Garant für die Erhaltung unserer Existenzgrundlage. Und nur, wenn man die Fakten verstanden hat, kann man gegen die Gefahr etwas unternehmen. Nur dann kann man auch die Ablenkungsmanöver von fossilen Lobbygruppen erkennen und deren Versuch, Debatten zu führen, die die Ursache missachten – dass das CO2 aus fossiler Verbrennung unsere Atmosphäre aufheizt.

In dem Dokumentarfilm «Wind» (21. Oktober) beleuchten Sie die Auswirkungen von Wind weltweit. Welche Erkenntnisse haben Sie dabei besonders beeindruckt?
Für mich war das körperliche Empfinden der arktischen Kaltluft besonders beeindruckend. Als Meteorologe spreche ich von „arktischer Kaltluft“, die uns erreicht und in Deutschland für eine starken Temperatursturz sorgt. Es ist aber tatsächlich etwas anderes, wenn man in der Arktis auf Spitzbergen ist, das ganze Eis um einen herum, und der Wind die Temperatur noch weiter sinken lässt. Da stellt sich das Gefühl ein, dass die Situation feindlich ist und sogar lebensbedrohlich werden kann.

Welche Rolle spielt der Wind in Bezug auf den Klimawandel und wie kann er zukünftig besser genutzt werden, etwa in der Windenergie?
Das sind zwei Fragen. Die Windsysteme verändern sich, also der Polarfront-Jetstream, das Starkwindband, was in etwa neun Kilometer Höhe weht und die Tiefs vor sich herschiebt. Dieses Starkwindband mäandert stärker und damit gehen gleichzeitig Verstärkungen der Hochs einher. Da gibt es Unterschiede zwischen Winter und Sommer, aber die Tiefs nehmen mittlerweile nicht mehr selbstverständlich die West-Ost-Zugbahn. Besonders in diesem Jahr, aber auch in den Jahren zuvor gab es immer wieder meridionale, also den Längengraden entlang ziehende Tiefs. Diese gehen meist mit heftigen Unwettern bis hin zu Katastrophen einher. Es wird also nicht einfach etwas wärmer und wir bekommen mollige Verhältnisse, sondern die globale Erhitzung führt zu einer Veränderung des gesamten Gefüges auf dem Planeten. Das ist ein Kernpunkt, der nicht begriffen wird, denn sonst wären die Handlungen von Gesellschaft und Politik anders. Die Windenergie ist notwendig, um von den fossilen Emissionen wegzukommen. Nach Jahren der Verzögerungen und des Blockierens tut sich mittlerweile bei den Erneuerbaren Energien sehr viel. Allerdings ist auch der internationale Druck enorm gestiegen. Die Preise für Solarzellen oder Batteriespeicher fallen im rasanten Tempo und könnten sich rasch durchsetzen.

«WissenHoch2» zeigt am 21. November wissenschaftliche Arbeiten zur Messbarkeit von Wind und Wetter. Wie weit ist die Forschung in diesem Bereich fortgeschritten, und was könnte sie für den Klimaschutz bedeuten?
Unsere Vorhersagen werden dank besserer Computer und Wettermodelle immer präziser. Wenn wir die physikalische Realität so getreu wie möglich in den Wettermodellen abbilden können, kommen wir zu besseren Vorhersagen. Die Messnetze und deren Wichtigkeit werden im Film gezeigt. Klimaleugner behaupten, die globale Erhitzung wäre nur eine Computersimulation. Nein, wir messen die Veränderung und modellieren sie mit Computern, die die Physik als Grundlage haben.

Wie wichtig sind präzise Wettervorhersagen in Zeiten des Klimawandels, in denen Extremwetterlagen häufiger werden? Und hängen diese Extremwetterlagen mit dem Klimawandel zusammen? Oder könnte dies auch daran liegen, dass sie inzwischen zwei Milliarden Menschen mehr sind?
Sie sind sehr wichtig. Wir Meteorologen haben die Daten als erstes auf dem Tisch und können das Ausmaß eines Ereignisses abschätzen und kommunizieren. Hinzu kommen langjährige Erfahrung und gute wissenschaftliche Ausbildung. Davon profitieren Wetterberichte, denn so gibt es eine Verbindung zur Wissenschaft. Letztendlich ist Meteorologie Physik der Atmosphäre und selbst eine Wissenschaft. Was wir machen, ist Wissenschaftskommunikation, aber sehr vereinfacht, damit es alle verstehen können. Und die Physik ist hier die Grundlage. Mehr Wärme bedeutet mehr Verdunstung, dadurch mehr Feuchtigkeit in der Luft, was wiederum zu mehr Regen und heftigeren Stürme führt. Die Messmethoden beruhen ebenfalls auf Prinzipien der Physik. Und was wir messen, ist eine Veränderung dieser physikalischen und meteorologischen Parameter. Die Anzahl der Menschen hat insofern damit zu tun, dass eine relativ geringe Anzahl von Menschen mehr CO2 ausstößt als ihr zusteht. Die Ursache ist die Verschmutzung der Atmosphäre durch CO2 – und das ist eine historische Last, die die Industrieländer tragen. Damit geht die Verantwortung einher, besonders dort sich intensiv um den Klimaschutz zu kümmern. Dieser Aspekt ist seit Jahren Bestandteil von Verhandlungen auf den Weltklimakonferenzen.

Viele Menschen verwechseln Wetter und Klima. Wie gehen Sie als Meteorologe mit dieser Herausforderung in der öffentlichen Aufklärung um?
Indem ich so viel wie möglich darüber rede und darüber berichte.

Sie haben bereits Auszeichnungen für Ihre Vermittlung von Klimawissen erhalten. Was motiviert Sie persönlich, sich so stark für dieses Thema einzusetzen?
Es ist ein erweiterter Lebenserhaltungstrieb. Wenn man einmal verstanden hat, was uns das Leben ermöglicht – ein stabiles Klima und die feinen Gleichgewichte in der Natur –, dann kann man die Veränderungen und Zerstörungen nicht ignorieren, die einem epochalen Umbruch gleichen. Das mache ich also, weil es ganz pragmatisch mein Job ist, darauf hinzuweisen, und weil es erforderlich ist.

Was denken Sie, sollten die Zuschauer aus Ihrer Arbeit mitnehmen, wenn es um die Vorbereitung auf den Klimawandel und dessen Auswirkungen geht?
Zwei Sachen: 1.: Nicht den Klimaleugnern und deren Desinformationen oder den Ablenkungsdebatten auf den Leim zu gehen. Das Wissen in der Gesellschaft ist unterschiedlich, aber wer sich aktiv gegen Klimaschutz positioniert, ignoriert die physikalische Realität. 2.: Alle Maßnahmen müssen den Fokus darauf haben, das fossile CO2 auf null zu reduzieren. Das ergibt sich aus der Physik und ist im Pariser Klimaabkommen so festgehalten – mit entsprechenden Zeiträumen für die Klimaneutralität. Und was man noch wissen sollte: Klimaschutz ist Menschenrecht, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte festgestellt hat.

Herzlichen Dank für Ihre Zeit!

«Wind - Die Vermessung des großen Luftozeans» ist am Montag, den 21. Oktober, um 22.50 Uhr bei 3sat zu sehen. «WissenHoch2» läuft am 21. November 2024, um 20.15 Uhr bei 3sat.

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