Was hat Sie dazu bewegt, eine dokumentarische Dramaserie über den Zweiten Weltkrieg/Kalten Krieg zu drehen, obwohl es bereits viele Produktionen zu diesem Thema gibt? Gab es eine besondere Inspiration?
Gunnar Dedio, Produzent: Jan Peter und ich haben uns gemeinsam mit einem großen Team auf eine Reise begeben, die Europa ab 1914 erzählt. Mit den Serien «14 – Tagebücher des Ersten Weltkrieges» und «Krieg der Träume» haben wir diese europäische Geschichte filmisch erstmalig transnational, multiperspektivisch und in der bunten Sprachwelt Europas erzählt. «Die Spaltung der Welt» ist die Fortsetzung dieser Erzählung. Es ging uns dabei immer darum die Geschichten unserer Charaktere so auszuwählen, dass wir Zuschauer uns heute in ihnen wiederfinden.
Jan Peter, Head-Autor: Wir haben von Beginn an das Ziel verfolgt, die Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts von 1914 bis in den Kalten Krieg hinein zu erzählen; sozusagen die Selbstzerstörung und Neuerfindung Europas und die Neuordnung der Welt, die mit dem Ersten Weltkrieg ihren Anfang nahm, aber eben mit dem Ende dieses Krieges keineswegs vorüber war.
Weder der Aufstieg von Kommunismus oder Faschismus in den 1920- und 1930er-Jahren, noch der Zweite Weltkrieg und der völlige Zivilisationsbruch unter den Nationalsozialisten sind ohne die tiefen Verheerungen des Ersten Weltkrieges zu verstehen. Somit schließt diese dritte Staffel einen großen Bogen, den wir von Anfang an so gesehen und dessen Umsetzung wir erträumt haben.
Warum haben Sie sich für diesen speziellen Zeitraum zwischen 1939 und 1962 entschieden? Hätten Sie die Dokumentation nicht bis zum Mauerfall 1989 fortführen können, als Sie selbst bereits 20 oder 21 Jahre alt waren?
Gunnar Dedio: Die europäische Geschichte vom Mauerbau bis zum Mauerfall werden wir in der nächsten Serie erzählen.
Jan Peter: Auch hier wieder: Der Krieg in Europa endet weitgehend im Jahr 1945 (was zumindest die nationalen Widerstandsbewegungen in der Ukraine, in Litauen und Polen oder auch die Menschen in Griechenland mit ihrem direkt als Kampf der Großmächte fortgesetzten blutigen Bürgerkriegen anders sehen würden).
Aber die Folgen des Krieges führen weltweit sofort in neue Konflikte, insbesondere in die antikolonialen Befreiungsbewegungen in Asien und Afrika. Nicht nur aus einer (uns in Deutschland bekannten) Perspektive zu erzählen, war von Beginn an unser Ziel. Und so richten wir den Blick auf den antikolonialen Kampf in Algerien, den entstehenden Staat Israel und auf den Aufstieg der kommunistischen Volksrepublik China. Alles Entwicklungen, die unsere Welt bis heute prägen, in einem Maße, das wir erst jetzt vollständig zu verstehen beginnen.
Sie sind in der DDR aufgewachsen – spielte das eine Rolle bei der Entscheidung, diese Serie zu realisieren?
Gunnar Dedio: Ich habe den Mauerfall erlebt und damit große Geschichte vor meinen Augen. Ich habe erlebt, welche vollkommen unterschiedlichen Perspektiven Menschen auf scheinbar ein und denselben Moment einnehmen können, und wie surreal sie oft reagieren. Das hat ganz sicher meine Leidenschaft für Geschichte geprägt, meine nicht endenden Versuche, Menschen und Geschichte besser zu verstehen.
Jan Peter: Es hat dazu beigetragen, früh im Leben schon mindestens zwei oft komplett konträre Interpretationen von Geschichte kennengelernt zu haben; einmal als Schüler in der DDR-Schule, ein weiteres Mal als junger Erwachsener im atemlosen Selbststudium der offenen Archive der 1990er-Jahre.
Das hat mich erkennen lassen, wie sehr Geschichte offen für Interpretationen und gesellschaftliche Einflussnahme ist, wie sie gar als Waffe und zur Verschleierung eingesetzt werden kann.
Daher hat mich an diesem Projekt immer die Offenheit für verschiedene Haltungen, Perspektiven, Sprachen fasziniert, die oft kommentarlos nebeneinander und gegeneinander stehen. Und die es den Zuschauenden ermöglichen, sich selbst Fragen zu stellen und eigenständig Antworten zu finden.
Obwohl Sie erst einige Jahre nach dieser Zeitspanne geboren wurden, haben Sie persönliche Erfahrungen oder Emotionen aus Ihrer Kindheit in der DDR in die Serie einfließen lassen?
Gunnar Dedio: Meine Großeltern, mit denen ich viel Zeit verbracht habe, waren Mitgestalter der Zeit, die «Die Spaltung der Welt» erzählt. Wir haben viel darüber erzählt, ich habe die Fotoalben immer wieder betrachtet – und ich habe ihr Verhalten gesehen, was nur durch die Kriegserfahrungen zu erklären war. Das war eine Form des Miterlebens.
Die Serie wird für ihre außergewöhnliche emotionale Nähe gelobt. Gab es einen speziellen Moment oder eine Episode, in der Sie diese Nähe selbst besonders stark gespürt haben? Wenn ja, welche und warum?
Gunnar Dedio: Wir haben Szenen mit Hedwig Höß in Auschwitz gedreht, dort, wo die Familie Höß mit ihren Kindern gelebt hat: unmittelbar an der Mauer des Lagers. Die Intensität kann ich mit Worten nicht fassen.
Jan Peter: Jeder Moment, in dem die Ereignisse aus den Drehbüchern während des Schreibens plötzlich ihren Widerhall in der Gegenwart fanden. So beispielsweise über die Befreiung von Kiew im Herbst 1943 zu schreiben und zugleich die Bilder des Freiheitskampfes der Ukraine um Kyjiw im Frühjahr 2022 dazu zu sehen; das war fast surreal und schmerzhaft zugleich.
Gibt es eine zentrale Botschaft oder Lektion, die Sie den Zuschauern vermitteln möchten?
Gunnar Dedio: Die Serie ist eher eine Einladung zum Erleben und Entdecken.
Jan Peter: Keine Botschaften, das ist unser Unterschied zur Schule.
Sie haben als Erste Archivmaterial koloriert. War dies vorher technisch nicht möglich, oder gab es andere Gründe für diese Entscheidung?
Gunnar Dedio: Wir haben bereits bei «14 Tagebücher» die ersten Kolorierungen vorgenommen, aber die Technologie war noch nicht soweit. Nun ist die Technik verfügbar. Der Aufwand bleibt enorm, aber er wird belohnt durch eine ungekannte Nähe in die Zeit und zu den Menschen in den Aufnahmen.
Wie haben Sie die Balance zwischen historischer Genauigkeit und erzählerischer Dramatik gefunden?
Gunnar Dedio: In einem ständigen Tauziehen zwischen Recherche, Dramaturgie, Einschätzungen der Historiker und Material. Dreidimensionales Schach, wie Jan Peter es nennt.
Jan Peter: Ein großes Team hat daran gearbeitet. Und wir haben versucht, uns selbst immer wieder in Frage zu stellen: Werden wir den Menschen, die ja diese Dinge wirklich erlebt und durchlitten und gestaltet haben, werden wir ihnen und ihrem Leben, ihrem Handeln und ihrer oft auch Schuld wirklich gerecht – ohne vorschnelle Urteile zu fällen?
Welche Herausforderungen ergaben sich bei der Darstellung so komplexer Themen wie dem Zweiten Weltkrieg und dem Kalten Krieg? Wie sind Sie damit umgegangen?
Gunnar Dedio:Diese Komplexität zu meistern, war nur möglich durch zwölf sehr erfahrene Redakteur:innen, sowie einer Reihe weiterer Historiker:innen, die mit ihren sehr unterschiedlichen Perspektiven und Spezialisierungen über mehrere Jahre die Entwicklung und Produktion der Serie mitgetragen haben.
Jan Peter: Die Antwort füllt zehntausende Bücher und tausende Stunden Film – und noch immer sind zahllose Fragen offen. Wir sind eine Stimme von Vielen; ein kleiner Teil einer Annäherung, die auch in unserer Komplexität immer Verkürzung, Zuspitzung, Vereinfachung ist.
Worauf sind Sie in dieser Serie besonders stolz?
Gunnar Dedio: Dass Jan und ich immer noch zusammen essen gehen😉. So eine Produktion geht über Jahre und immer wieder über die Grenzen der Beteiligten hinaus. Es jedes Mal wiederzuschaffen, in einem wirklich gelebten europäischen Team, darüber freue ich mich. Auch darüber, wieviel Zuspruch wir bekommen von den Beteiligten ebenso wie von den Zuschauer:innen für die sinnstiftenden Momente, die sie erleben.
Jan Peter: Als wir mit der Arbeit an «Die Spaltung der Welt» begannen, waren junge Menschen dabei, die die erste Staffel, die «14 Tagebüchern» im Schulunterricht gesehen haben. Und die wegen dieses Erlebens und ihrer Begeisterung darüber überhaupt zur Beschäftigung mit Geschichte und zum Film gekommen sind. Das war einfach berührend – schön und Verpflichtung zugleich.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
«Die Spaltung der Welt: 1939-1962» ist ab 31. Oktober in der arte Mediathek und in der ARD Mediathek zu sehen. Arte strahlt jeweils drei Episoden am 5. und 6. November um 20.15 Uhr aus, Das Erste zeigt die Episoden eins und zwei am 11. November ab 22.50 Uhr.
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