Kürzlich beklagte Peer Schader in seiner DWDL-Kolumne zum Thema Julia Leischik berechtigter Weise, dass es bisher verpasst wurde, ihr volles Potenzial durch weitere Formate auszuschöpfen. Er kam zu der treffenden Schlussfolgerung: „Obwohl die Programmfarbe Sat.1 gut zu Gesicht steht, tut sich der Sender bislang schwer, Leischik ein Primetime-Format zu bauen, das ihren Stärken entgegenkommt und gleichzeitig für ein jüngeres Publikum attraktiv wäre“. Im Folgenden eine Format-Idee, die zwar eher kein 20:15-Stoff, aber zusätzlich für Late-Prime oder Vorabend denkbar wäre:
Sie trägt den Arbeitstitel «Nach... (40) Jahren» und könnte dabei ein neues Real-Life-Dokutainment-Format werden, in dem Menschen zum ersten Mal nach langer bis sehr langer Zeit (z.B 40 Jahre) wieder an ihr Geburts-/Jugend-Haus zurückkehren, welches sie entscheidend geprägt hat und welchem sie nach wie vor emotional verbunden sind. Hierbei entlädt sich ein Aufeinanderprallen von Vergangenheit und Gegenwart dieses Ortes. In einer Konfrontation vor Ort soll die Reaktion der Teilnehmer*innen auf die Veränderung oder Gleichheit eingefangen werden. Stimmt die Vorstellung noch mit der aktuellen Verfasstheit und der neuen Identität durch die jetzigen Bewohner*innen überein?
Ausgangspunkt einer jeden Ausgabe «Nach... Jahren» (AT) wäre wie gesagt der Wunsch eines Menschen, nach (sehr) langer Zeit (nach 60, 50, 40, 30, 25 Jahren) noch einmal an sein Eltern-/Jugend-Haus und damit auch an seinen Geburtsort zurückzukehren. Im Vorfeld trifft Julia Leischik pro Ausgabe einen Teilnehmenden zum Kennenlerngespräch. Hier soll die Motivation zur Rückkehr und Hintergrundgeschichte erläutert sowie Ansatzpunkte zur Recherche (z.B. Bilder und geografische Daten) gegeben werden.
Anschließend reist Julia in besagte Gegend, um vor Ort zu recherchieren. Dort inspiziert sie zunächst die aktuellen äußeren Gegebenheiten des ehemaligen Elternhauses, aber auch weitere relevante Institutionen wie dem damaligen Kindergarten, Grundschule, Einkaufsladen, Jugendtreffs, Spielplätze, Discos etc. Im ersten Schritt wird sich bereits herausstellen, ob das Haus überhaupt noch steht. Auch kann sich zeigen, inwieweit sich das Haus und die Gegend verändert/nicht verändert haben, da Julia im Idealfall bereits Fotos besitzt.
Weitergehend nimmt sie - wenn möglich - Kontakt zu den aktuellen Bewohner*innen des Hauses auf, um dessen weitere Entwicklung und Historie über die letzten Jahrzehnte nachzuverfolgen. Im nächsten Schritt macht Julia eine Klingeltour durch die Nachbarschaft, um Berichte und Erzählungen anzuhören. Optimaler Weise aber auch, um alte Fotos oder gar Videoaufnahmen der Gegend/Stadt einzusammeln, um später eine Flashback-Mind-Map erstellen zu können. Dazu hat Julia parallel bereits Aufrufe zu Foto-/Video-Sammel-Aktionen in Lokalpresse und Social-Media geschaltet, sowie zu einer Bilderbörse in einem Cafe vor Ort eingeladen. Im Weiteren nimmt sie Kontakt zu ansässigen Ämtern, Lokalarchiven, Zeitungsarchiven und Stadtführer*innen oder Historiker*innen auf.
Ein zusätzlicher Faktor ist das Ausfindigmachen von Personen, die in dem Vergangenheitskontext der Teilnehmenden eine zentrale Rolle gespielt haben. Dies können ehemalige Sandkasten-/ Jugend-Freunde, Nachbarn, Lehrerinnen, Kindergärtnerinnen, Ladenbesitzer sowie andere Menschen sein, die zur damaligen Zeit in der Gegend aktiv waren und davon berichten können. Auch mit ihnen kann ggf. bei der finalen Rückkehr ein Wiedersehen stattfinden.
Jene konkrete Rückkehr an den Ort vollzieht sich dann im 2.Hauptteil einer jeden Ausgabe, der mit der Abholung der Teilnehmenden von (Bus-)Bahnhof, Flughafen oder Hotel seitens Julia eingeleitet wird. In Auto/Bus/S-Bahn, zu Fuß oder gar per Helikopter nähern sich die beiden nun zwiebelartig dem ehemaligen Wohngebiet. Zwiebelartig deshalb, weil sie auf ihrem Weg zum ultimativen Ziel (dem ehemaligen Elternhaus) unterschiedliche Zwischenstopps einlegen, an Stationen, die eine wichtige Rolle im Leben der Rückkehrer*innen eingenommen haben. Hier, bspw. an ehemaliger (Grund-)Schule, Kindergarten, Diskothek, Spielplatz, Einkaufsladen, Marktplatz etc., kommt es zu ersten Flashbacks. Gegebenenfalls auch inklusive Begegnungen mit damaligen Personen (ehemalige Klassenlehrerin/ Schulkameraden).
Diese kammerspielartige Verdichtung wird dann mit dem finalen Zuschreiten auf das ehemalige Elternhaus auf die Spitze geführt, welchem sich Teilnehmer*in und Julia Leischik nun zu Fuß nähern. Folglich kommt es zur Hauptkonfrontation - dem energetischen und emotionalen Kern der Sendung - dem Erblicken des Eltern-/Jugendhauses bzw. des ggf. nicht mehr existenten Hauses. Erinnerung der Vergangenheit und aktueller Ist-Zustand prallen aufeinander. Vergangenheit und Aktualität vermischen sich miteinander und verändern das Gefühl zu diesem Ort. Vertieft wird diese Wiederkehr mit dem Hereintreten in das Innere des Hauses und dem Überraschungstreffen mit den momentanen Bewohner*innen. Mit einem Mal bekommt dieser eine Platz zwei Identitäten, die einander gewahr werden. Sie können sich entweder entsprechen, aber auch widerstreben.
Unterstützt wird dieser Prozess durch ein anschließendes gemeinsames Gespräch, indem die Rückkehrenden ihre Erlebnisse/Erfahrungen mit dem Haus erinnern. In Ergänzung schildern die aktuellen Anwohner*innen ihre Erlebnisse/Erfahrungen. Vor allem geht es dabei aber auch darum, zu klären, was mit dem Haus und der Geburts-/Jugend-Gegend in den letzten Jahrzehnten passiert ist. Dafür können auch Vor-Bewohner*innen und (ehemalige) Nachbar*innen dazustoßen. Sollte das Haus nicht mehr existieren, ist alternativ denkbar, den Neu-Bau auf dem Grundstück zu erkunden, oder eine Art Nachbarschaftscafe mit ehemaligen Anwohner*innen zu veranstalten, bei dem diese dann über den Abriss aufklären können.
Sollten genug Fotos zusammengekommen sein, führt Julia Leischik die Rückkehrer*innen zu guter letzt dann noch in einen Ausstellungsraum, wo sie und ihr Team eine Foto- und Video-Collage zu einer Art Vergangenheits-Mosaik zusammengestellt haben, um die rückblickhafte Erinnerung visuell zu konservieren und sinnlich aufzuladen. Je nach technischen Möglichkeiten wäre auch eine digitalisierte Variante mit Virtual-Reality-Brille o.ä vorstellbar.
Insgesamt soll sich der kammerspielhafte Slow-TV-Charakter des Konzepts zeigen, das sich Zeit nimmt, um ein örtliches Aufgehen, aber auch ein Innehalten zu ermöglichen. Das Kernelement ist hierbei, sehnsüchtige Zusammenhänge aus der Vergangenheit wieder greifbar zu machen, was dem Prinzip anderer Leischik-Formate entspricht. In diesem Sinne könnte das vorgestellte Konzept dem charakteristischen leischikschen Narrativ und ihrer typischen Recherchemanier aber neue Facetten hinzufügen, indem es die Konfrontation/das Aufeinanderprallen von Vergangenheit und Gegenwart an einen konkreten relevanten Ort bindet. Dies kann auch von den Zuschauer*innen bildlich nachvollzogen und nachgefühlt werden. Somit bekommt das Reaktionsmoment von Überraschung, Wiedererkennen und Rückkehr eine noch plastischere Dimension.
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