Hintergrund

Das Jüngste Quoten-Gericht: Hat Joyn eigene Beine?

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Montags blickt Quotenmeter auf aktuelle Quoten-Highlights und Marktanteil-Flops und ordnet diese ein. In dieser Woche werden die neuesten Zahlen von Streamingdienst Joyn analysiert.

Im Vorfeld der Veröffentlichung der Quartalszahlen für die Monate Juli, August und September 2024, die der ProSiebenSat.1-Konzern am Donnerstag, 14. November, bekannt geben wird, wollte die Streamingplattform Joyn positive Stimmung verbreiten. Im Oktober will man den besten Monat seit Bestehen der Plattform gefeiert haben. Joyn ging 2017 als Joint Venture der ProSiebenSat. 1 Media und Discovery an den Start. Inzwischen gehört der Dienst vollständig dem Unterföhringer Unternehmen. Seit August 2023 richtet man „alle wichtigen Programm-Entscheidungen nach der Maßgabe ‚Alles auf Joyn‘“ aus, wie Henrik Pabst betonte, der für alle Inhalte der ProSiebenSat.1 Group verantwortlich ist.

Seither schreibt Joyn eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht – glaubt man den zahlreichen Pressemitteilungen, die seither in die Welt gesetzt wurden. Im Herbst 2023 konzentrierte sich Joyn vor allem auf zahlreiche Reality-Inhalte, die früher oder später auch im Programm der linearen Sender, vor allem ProSieben, landeten. Als „besten Reality-Neustart in der Geschichte von Joyn Plus+“ wurde etwa «Forsthaus Rampensau Germany» bezeichnet. Über konkrete Abrufzahlen schwieg man allerdings. Bei ProSieben siechte die Sendung hingegen nur vor sich hin und erzielte im Schnitt 7,0 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe.

Vier Monate nach der vermeintlichen «Forsthaus Rampensau»-Wasserstandsmeldung wurde über den „erfolgreichsten Reality-Start eines Joyn Originals“ gejubelt: «Big Brother». Fraglich ist dabei aber, ob «Big Brother» auch erfolgreicher performte als «Forsthaus Rampensau», schließlich ging es im März 2024 um den erfolgreichsten Start eines Reality-Programms „im kostenfreien Bereich“, und eben nicht im Bezahlbereich von Plus+. Wieder ließ Joyn konkrete Zahlen vermissen. Während die Verweildauer im «Big Brother – 24 Stunden Livestream» zumindest auf Niveau des 24/7-Livestreams von «Promi Big Brother» Ende 2023 gelegen haben soll, schmierten die Wochen- und Tageszusammenfassungen bei Sat.1 ab.

„Wir investieren deutlich mehr in Eigenproduktionen als in den vergangenen Jahren“, erklärte Henrik Pabst im vergangenen Juni und fügte an: „Wir unterstreichen mit diesem Schritt die Unverwechselbarkeit von Joyn – und stärken unsere linearen Sender.“ Diese Aussage scheint angesichts der beiden genannten Beispiele paradox. Zumal man im April 2024, als man die Quartalszahlen von Q1 vorlegte und vom „stärksten Quartal aller Zeiten“ sprach, als Wachstumstreiber der Plattform das Joyn-Original «Big Brother», die ProSieben-Shows «Wer stiehlt mir die Show?» und «Germany's Next Topmodel», die Reality-Sendung «Forsthaus Rampensau Germany» (die noch im Jahr 2023 debütierte) und Serien wie «Die Landarztpraxis» und «House of the Dragon», die im linearen Fernsehen liefen, als Beispiele anführte. Dadurch sei die Watchtime im ersten Quartal auf 37,4 Millionen Stunden angestiegen – ein Plus von 13 Prozent gegenüber Q1 2023. Im ersten Quartal des Vorjahres traf man in Unterföhring seine Entscheidung aber bekanntlich noch nicht jede Entscheidung unter Berücksichtigung der Streamingplattform. Insofern ist das Wachstum wenig verwunderlich und überwiegend auf Formate aus dem linearen Fernsehen zurückzuführen.

Das änderte sich auch im zweiten Quartal 2024 nicht, als man wieder ein Rekordquartal verbuchte. In den Monaten April, Mai und Juni sei man um 28 Prozent bei der Watchtime im Vergleich zum Vorjahresquartal gewachsen. Gegenüber dem ersten Quartal 2024 sei sowohl die Zahl der monatlichen Video-Nutzer um sieben Prozent als auch die Watchtime um sechs Prozent gestiegen. Als Wachstumstreiber nannte man wieder die ProSieben-Show «Germany’s Next Topmodel» sowie die Sat.1-Serie «Die Landarztpraxis». Neben «Big Brother» seien auch die Bundesliga-Übertragungen in Sat.1 ein gewichtiger Faktor in dieser Zeit gewesen. Außerdem schmückte sich Joyn gewissermaßen auch mit fremden Federn, denn auch die Fußball-Europameisterschaft war auf Joyn besonders gefragt. Der Konzern konnte dank der öffentlich-rechtlichen Sender Das Erste und ZDF die Spiele übertragen - clever kooperiert, aber eben auch wenig Eigenleistung.

Im dritten Quartal 2024 verpasste Joyn offenbar ein weiteres Rekord-Quartal, jedenfalls gab es in dieser Hinsicht keine Kommunikation. Stattdessen wies man auf ein zweistelliges Wachstum im Vergleich zu Q3 2023 hin. Der selbsternannte „Superstreamer“ legte um 52 Prozent bei den monatlichen Video-Nutzern sowie um 33 Prozent bei der Watchtime zu. Neben dem Joyn-Original «Good Luck Guys» waren dafür aber wieder vorwiegend Formate, die im linearen Fernsehen beheimatet sind, verantwortlich. Joyn nannte unter anderem die ProSieben-Reality «Beauty & The Nerd», den ProSieben-Hit «Wer stiehlt mir die Show?» mit Joko Winterscheidt sowie die Sat.1-Serien «Die Landarztpraxis» und «Die Spreewaldklinik».

Im Oktober gab es dann aber wieder einen neuen Rekord: der beste Monat in der Joyn-Geschichte. Im Vergleich zum Oktober 2023 wuchs die Watchtime „um herausragende 60 Prozent – der Bestwert in 2024“, so die euphorische Pressemitteilung aus der vergangenen Woche. Die Zahl der monatlichen Video-Nutzer habe sich „um sehr starke 45 Prozent“ gesteigert. Als Treiber des Wachstums nannte man die Shows «Promi Big Brother», «Wer stiehlt mir die Show?» und «The Voice of Germany», wobei nur «TVOG» auch im Oktober 2023 auf Sendung waren. «Promi Big Brother» lief erst im November 2023 an, genauso wie «Wer stiehlt mir die Show?». Außerdem sollen weiterhin die Sat.1-Serien «Die Landarztpraxis» und «Die Spreewaldklinik», die Ende August in Sat.1 debütierter, zum Erfolg beigetragen haben. Ein Joyn-Original fehlte diesmal in der Auflistung.

Joyn-CEO Katharina Frömsdorf sagte über den Erfolg: „Der Oktober 2024 war unfassbar erfolgreich für Joyn. Wir wachsen um superstarke 60 Prozent bei der Watchtime. Das bedeutet, die Nutzer:innen verbringen immer mehr Zeit mit unseren Inhalten. Dieses sehr gute Ergebnis zeigt, dass wir mit unserer Streaming-Plattform die richtige Strategie verfolgen.“ Tatsächlich dürfte aber eher Henrik Pabst den Kern der Wahrheit getroffen haben, indem er sagte, dass „ProSieben, Sat.1 und Kabel Eins mit ihren Programmen starke Stützen für das Wachstum von Deutschlands Superstreamer“ seien. Insofern geht die Strategie „Alles auf Joyn“ derzeit tatsächlich auf. Das Wachstum gibt den Verantwortlichen jedenfalls recht. Man investiert viel in Joyn, deshalb sind die Zahlen aktuell so gut. Schließlich verglich man die Werte zuletzt mit Ergebnissen aus einer Zeit vor der großen Joyn-Offensive. Ob im kompletten vierten Quartal, ohne vollständige Staffel-Erstausstrahlungen von «Wer stiehlt mir die Show?» und «Promi Big Brother» die Ergebnisse nach wie vor so hoch bleiben, steht dagegen auf einem anderen Blatt.

Mit Blick auf die Programmmarken der AGF, die die Gesamtnutzung eines bestimmten Formats über TV und Streaming für jeweils eine Woche ausweisen, hinkt der angebliche „Superstreamer“ der Konkurrenz jedoch mächtig hinterher. In den Top20 der Kalenderwoche 43 schafften es nur zwei Formate der ProSiebenSat.1-Gruppe in die Top20: « Promi Big Brother» belegte Platz acht, während «The Voice of Germany» auf den 16. Platz kam. Nicht nur Joyn feierte im Oktober Rekorde. Wie RTL+ mitteilte, verbuchte der Kölner Streamer ebenfalls Bestwerte.

Der Streamingdienst von RTL Deutschland konnte in allen Zielgruppen neue Bestwerte im Nutzungsvolumen erzielen und sicherte sich damit den ersten Platz in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen und 14- bis 49-Jährigen – bei den 14- bis 49-Jährigen bedeuten die 52,34 Millionen Stunden sogar ein Alltime-High unter allen von der AGF gemessenen Anbietern. Blickt man auf das laufende Jahr (Januar bis Oktober), erzielte RTL+ insgesamt eine dreimal so hohe Nutzung wie der private Konkurrent Joyn (RTL+: 512,14 Millionen Stunden / Joyn: 180,74 Millionen Stunden). Das Problem von Joyn liegt darin, dass die vielen Eigenproduktionen – vor allem im Reality-Bereich – nicht jene Fangemeinde vorweisen können wie Formate der RTL-Konkurrenz. So sind es immer dieselben etablierten TV-Formate wie «(Promi) Big Brother», die Joyns Wachstum antreiben. Das zeigt zwar, dass das Zusammenspiel zwischen linear und on Demand in Unterföhring funktioniert, auf eigenen Beinen steht Joyn damit aber noch lange nicht.

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