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Seither schreibt Joyn eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht – glaubt man den zahlreichen Pressemitteilungen, die seither in die Welt gesetzt wurden. Im Herbst 2023 konzentrierte sich Joyn vor allem auf zahlreiche Reality-Inhalte, die früher oder später auch im Programm der linearen Sender, vor allem ProSieben, landeten. Als „besten Reality-Neustart in der Geschichte von Joyn Plus+“ wurde etwa «Forsthaus Rampensau Germany» bezeichnet. Über konkrete Abrufzahlen schwieg man allerdings. Bei ProSieben siechte die Sendung hingegen nur vor sich hin und erzielte im Schnitt 7,0 Prozent Marktanteil in der Zielgruppe.
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„Wir investieren deutlich mehr in Eigenproduktionen als in den vergangenen Jahren“, erklärte Henrik Pabst im vergangenen Juni und fügte an: „Wir unterstreichen mit diesem Schritt die Unverwechselbarkeit von Joyn – und stärken unsere linearen Sender.“ Diese Aussage scheint angesichts der beiden genannten Beispiele paradox. Zumal man im April 2024, als man die Quartalszahlen von Q1 vorlegte und vom „stärksten Quartal aller Zeiten“ sprach, als Wachstumstreiber der Plattform das Joyn-Original «Big Brother», die ProSieben-Shows «Wer stiehlt mir die Show?» und «Germany's Next Topmodel», die Reality-Sendung «Forsthaus Rampensau Germany» (die noch im Jahr 2023 debütierte) und Serien wie «Die Landarztpraxis» und «House of the Dragon», die im linearen Fernsehen liefen, als Beispiele anführte. Dadurch sei die Watchtime im ersten Quartal auf 37,4 Millionen Stunden angestiegen – ein Plus von 13 Prozent gegenüber Q1 2023. Im ersten Quartal des Vorjahres traf man in Unterföhring seine Entscheidung aber bekanntlich noch nicht jede Entscheidung unter Berücksichtigung der Streamingplattform. Insofern ist das Wachstum wenig verwunderlich und überwiegend auf Formate aus dem linearen Fernsehen zurückzuführen.
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Im dritten Quartal 2024 verpasste Joyn offenbar ein weiteres Rekord-Quartal, jedenfalls gab es in dieser Hinsicht keine Kommunikation. Stattdessen wies man auf ein zweistelliges Wachstum im Vergleich zu Q3 2023 hin. Der selbsternannte „Superstreamer“ legte um 52 Prozent bei den monatlichen Video-Nutzern sowie um 33 Prozent bei der Watchtime zu. Neben dem Joyn-Original «Good Luck Guys» waren dafür aber wieder vorwiegend Formate, die im linearen Fernsehen beheimatet sind, verantwortlich. Joyn nannte unter anderem die ProSieben-Reality «Beauty & The Nerd», den ProSieben-Hit «Wer stiehlt mir die Show?» mit Joko Winterscheidt sowie die Sat.1-Serien «Die Landarztpraxis» und «Die Spreewaldklinik».
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Joyn-CEO Katharina Frömsdorf sagte über den Erfolg: „Der Oktober 2024 war unfassbar erfolgreich für Joyn. Wir wachsen um superstarke 60 Prozent bei der Watchtime. Das bedeutet, die Nutzer:innen verbringen immer mehr Zeit mit unseren Inhalten. Dieses sehr gute Ergebnis zeigt, dass wir mit unserer Streaming-Plattform die richtige Strategie verfolgen.“ Tatsächlich dürfte aber eher Henrik Pabst den Kern der Wahrheit getroffen haben, indem er sagte, dass „ProSieben, Sat.1 und Kabel Eins mit ihren Programmen starke Stützen für das Wachstum von Deutschlands Superstreamer“ seien. Insofern geht die Strategie „Alles auf Joyn“ derzeit tatsächlich auf. Das Wachstum gibt den Verantwortlichen jedenfalls recht. Man investiert viel in Joyn, deshalb sind die Zahlen aktuell so gut. Schließlich verglich man die Werte zuletzt mit Ergebnissen aus einer Zeit vor der großen Joyn-Offensive. Ob im kompletten vierten Quartal, ohne vollständige Staffel-Erstausstrahlungen von «Wer stiehlt mir die Show?» und «Promi Big Brother» die Ergebnisse nach wie vor so hoch bleiben, steht dagegen auf einem anderen Blatt.
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Der Streamingdienst von RTL Deutschland konnte in allen Zielgruppen neue Bestwerte im Nutzungsvolumen erzielen und sicherte sich damit den ersten Platz in der Altersgruppe der 14- bis 29-Jährigen und 14- bis 49-Jährigen – bei den 14- bis 49-Jährigen bedeuten die 52,34 Millionen Stunden sogar ein Alltime-High unter allen von der AGF gemessenen Anbietern. Blickt man auf das laufende Jahr (Januar bis Oktober), erzielte RTL+ insgesamt eine dreimal so hohe Nutzung wie der private Konkurrent Joyn (RTL+: 512,14 Millionen Stunden / Joyn: 180,74 Millionen Stunden). Das Problem von Joyn liegt darin, dass die vielen Eigenproduktionen – vor allem im Reality-Bereich – nicht jene Fangemeinde vorweisen können wie Formate der RTL-Konkurrenz. So sind es immer dieselben etablierten TV-Formate wie «(Promi) Big Brother», die Joyns Wachstum antreiben. Das zeigt zwar, dass das Zusammenspiel zwischen linear und on Demand in Unterföhring funktioniert, auf eigenen Beinen steht Joyn damit aber noch lange nicht.
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